Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1)


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aber aus seinem Mund kamen keine Worte mehr. Für Woodward und Matthew war es offensichtlich, dass seine durch den Alkohol wandernde Aufmerksamkeit von den Geschehnissen in Fount Royal abgelenkt worden war. Er bewunderte wieder die golddurchwirkte Weste. »Das ist aber auch ein schönes Stück«, sagte er und wagte es erneut, mit seinen schmierigen Fingern über den Stoff zu fahren. »Wo habt Ihr es her? Aus New York?«

      »Es ist … ein Geschenk von meiner Frau. Aus London.«

      »Ich war mal verheiratet. Und einmal hat gereicht.« Er gab ein schroffes, humorloses Lachen von sich. Zu Woodwards Verdruss streichelte er weiter über das Material. »Eure Frau ist in Charles Town?«

      »Nein.« Woodwards Stimme klang belegt. »Meine Frau … ist in London geblieben.«

      »Meine liegt auf dem Grund des verdammten Atlantiks. Sie ist bei der Überfahrt gestorben, hat sich zu Tode geschissen. Sie haben sie in ein Laken gerollt und über die Reling gehievt. So eine Weste … was meint Ihr, wie viel so eine wohl wert ist?«

      »Mehr, als ein Mann zahlen sollte«, sagte Woodward und rückte dann seinen Stuhl betont einige Zentimeter von Shawcombe weg. Die Finger des Wirts griffen ins Leere.

      »Platz jetzt! Passen's auf'e Ellbogen auf da!« Maude knallte zwei mit einem dunkelbraunen Eintopf gefüllte Holzschalen vor Shawcombe und dem Richter nieder. Matthews Schale wurde von dem Mädchen gebracht, das sie vor ihn hinstellte und sich dann schnell umdrehte, um wieder ans Feuer zu flüchten. Dabei berührte ihre Kleidung Matthew am Arm, und der durch ihre Bewegung verursachte Luftzug wehte ihm einen starken Geruch vor die Nase: Den Geruch eines ungewaschenen Körpers, aber noch etwas anderes, das diesen übertönte. Es war ein moschusartiger und süßsaurer Geruch von bezwingender Schärfe. Die Erkenntnis, dass es das Aroma ihrer intimsten Stelle war, traf ihn wie eine Faust vor die Brust.

      Shawcombe atmete heiser ein. Er warf einen Blick auf Matthew, dessen Augen groß geworden waren und der noch immer dem Mädchen nachschaute. »He«, fuhr Shawcombe ihn an. »Was guckt Ihr so?«

      »Nichts.« Matthew senkte den Blick auf die Schale mit dem Eintopf.

      »Na klar.«

      Das Mädchen kam wieder und brachte ihnen die Holzlöffel. Wieder berührte ihr Kleid seinen Arm, und er zuckte zurück, als hätte ihn eine Hornisse in den Ellbogen gestochen. Der Geruch trieb ihm in die Nase. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er nahm den Löffel und merkte, wie feucht seine Handfläche war. Dann spürte er, dass Shawcombe ihn musterte.

      Die Augen des Wirts glitzerten im Kerzenlicht. Er leckte sich die Lippen, bevor er sprach. »Die ist nicht übel, findet Ihr nicht?«

      »Bitte?«

      Shawcombe grinste leicht; es war ein gemeines und spöttisches Lächeln. »Nicht übel«, wiederholte er. »Wollt Ihr Euch ihren Austernkorb mal angucken?«

      »Mr. Shawcombe!« Woodward begriff, worum es ging, und fand es ganz und gar unakzeptabel. »Wenn wir jetzt bitte …«

      »Na, Ihr könnt beide Spaß mit ihr haben, wenn Ihr wollt. Kostet für Euch zusammen nur einen Guinea.«

      »Niemals!« Woodwards Wangen brannten. »Ich sagte bereits, dass ich ein verheirateter Mann bin!«

      »Schon, aber die Frau ist in London, nicht? Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass Ihr Euch ihren Namen auf den Schwanz tätowiert habt?«

      Wenn es draußen nicht so gestürmt hätte, die Pferde nicht in der Scheune gestanden und es eine andere Unterkunft gegeben hätte, wäre Woodward vielleicht mit aller Würde aufgesprungen, der er Herr war, und hätte sich von diesem widerwärtigen Rüpel verabschiedet. Am liebsten hätte er Shawcombe mitten ins lüsterne Gesicht geschlagen. Aber er war ein Gentleman, und Gentlemen taten so etwas nicht. Stattdessen bezwang er seine Wut und seinen Abscheu, und sagte knapp: »Sir, ich bin meiner Frau treu. Ich würde es schätzen, wenn diese Tatsache akzeptiert werden kann.«

      Shawcombes Antwort war, auf den Boden zu spucken. Seine Aufmerksamkeit war wieder ganz auf den jüngeren Mann gerichtet. »Na, und wie steht's mit Euch? Wollt Ihr gern ran? Für zehn Shilling?«

      »Ich … ich wollte sagen …« Matthew sah Woodward hilfesuchend an, denn er wusste nicht, was er eigentlich hatte sagen wollen.

      »Sir«, sagte Woodward. »Es ist eine unangenehme Situation für uns. Dieser junge Mann … hat den Großteil seines Lebens in einem Waisenhaus verbracht. Daher …« Er runzelte die Stirn und überlegte, wie er es am besten sagen konnte. »Deshalb … sind seine Erfahrungen sehr begrenzt. Er ist noch nie in den Genuss …«

      »Heilige Mutter Gottes!«, unterbrach Shawcombe ihn. »Ihr wollt sagen, dass ihm noch keine an den Schwanz gegangen ist?«

      »Nun … wie ich sagte, seine Erfahrungen haben ihn noch nicht …«

      »Ach, jetzt redet doch nicht um den heißen Brei herum! Ihr wollt mir sagen, dass der immer noch nicht entjungfert ist?«

      »Das ist im Grunde schon, was ich … damit meinte.«

      Shawcombe pfiff erstaunt, und unter seinem Blick lief Matthew blutrot an. »Na, so einen hab ich ja noch nie gesehen! Gott verdamm mich, wenn mir so was schon mal zu Ohren gekommen ist! Wie alt seid Ihr?«

      »Ich bin … zwanzig Jahre alt«, brachte Matthew heraus. Sein Gesicht brannte.

      »Zwanzig Jahre alt und noch nie gerammelt? Wie könnt Ihr überhaupt noch Luft holen, ohne dass Euch die Eier platzen?«

      »Wenn ich kurz fragen dürfte, wie alt das Mädchen ist«, warf Woodward ein. »Sie ist noch keine fünfzehn, oder?«

      »Welches Jahr haben wir?«, fragte Shawcombe.

      »1699.«

      Shawcombe begann, an den Fingern abzuzählen. Maude brachte ein mit dicken braunen Kornbrotscheiben beladenes Brett an den Tisch und hastete sofort wieder davon. Der Wirt hatte offenbar Schwierigkeiten mit seiner Fingerarithmetik, ließ die Hand fallen und grinste Woodward an. »Egal, sie ist jedenfalls reif. Grad richtig, um gepflückt zu werden.«

      Matthew griff nach dem Schlangenbiss und trank den Humpen fast aus.

      »Wie dem auch sein mag«, erwiderte Woodward, »wir werden die Einladung beide ausschlagen.« Er nahm seinen Löffel und tauchte ihn in den wässerigen Eintopf.

      »Eine Einladung war das nicht, sondern ein geschäftliches Angebot.« Shawcombe trank einen weiteren Schluck Rum und widmete sich dann auch seinem Essen. »Das Verrückteste, was ich je gehört hab!«, sagte er mit vollem Mund, aus dessen Winkeln die Suppe rann. »Als ich zwölf war, hab ich die Mädels schon durchgenommen!«

      »Jack One Eye«, sagte Matthew. Das war etwas, wonach er hatte fragen wollen, und der jetzige Augenblick schien ebenso gut geeignet wie jeder andere zu sein, um Shawcombes Gedanken vom momentanen Thema abzulenken.

      »Was?«

      »Ihr habt vorhin Jack One Eye erwähnt.« Matthew tunkte ein Stück Maisbrot in seinen Eintopf und aß. Das Brot schmeckte mehr nach verrußten Steinen als nach Mais, aber an der Suppe gab es nicht viel auszusetzen. »Wen habt Ihr damit gemeint?«

      »Das wildeste aller Tiere.« Shawcombe nahm seine Schale in die Hand und schlürfte. »Steht sieben bis acht Fuß hoch und ist so schwarz wie die Haare am Arsch des Teufels. Der Pfeil einer Rothaut hat ihm eins seiner Augen weggeschossen, aber ein einziger Pfeil hält ihn nicht auf. Nein, Sir! Es heißt, das hat ihn nur noch böser gemacht. Und hungriger. Der würde Euch mit einer Pranke das Gesicht vom Schädel reißen und Euer Hirn zum Frühstück fressen.«

      »Jack One Eye ist 'n gottverdammter Bär!«, meldete sich Abner in seinen dampfenden Kleidern am Kamin zu Wort. »Und zwar 'n großer! Größer als 'n Pferd! Größer als die Faust Gottes ist er!«

      »Des is keen Pär.«

      Shawcombe warf der Verkünderin dieser letzten Worte einen Blick zu. Auf seinem bartstoppeligen Kinn glitzerte Suppe. »Hä? Was sagst's?«

      »Sach, des is keen Pär.«