Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1)


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dass ihr dieses Gesprächsthema aus irgendeinem Grund wichtig war.

      »Natürlich ist das ein Bär!«, sagte Shawcombe. »Was soll er denn sonst sein, wenn nicht ein Bär?«

      »Des is nich nua 'n Pär«, stellte sie richtig. »Ich hebb en g'sehn. Du nich. Ich wees, wassa is.«

      »Die ist genauso weich im Kopf wie die andern«, meinte Shawcombe achselzuckend zu Woodward.

      »Ich hebb 'n g'sehn«, wiederholte die alte Frau nachdrücklich. Sie hatte inzwischen den Tisch erreicht und stellte sich neben Matthew. Kerzenschein flackerte über ihr runzeliges Gesicht, doch ihre tief in den Höhlen versunkenen Augen blieben im Dunkeln. »Ich wa anne Tüa. Gleich da anne Tüa. Meen Joseph kam heem. Unsa Junge ooch. Ich hebb se g'sehn, wie se ausm Walt komme, übas Felt. Hatte 'nen Hirsch zwische sich hänge. Ich hebb de Latärn hochgehobbe und hebb g'rufe … und denn iss plötzlich dies Ding zwische dene g'wese! Des is eenfach hochkomme, von nirjewo.« Sie hatte die rechte Hand gehoben und die dürren Finger um den Henkel einer Geisterlaterne gekrallt. »Ich hebb versuch, meen Mannes Name zu schreie … aba ich hebb nichts ausse Mund gekriegt«, sagte sie. Ihr Mund verspannte sich. »Ich hebb's versuch … aba Gott hat mir meen Stimme g'stole.«

      »War wohl eher dieser miese Fusel, der sie dir gestohlen hat!«, gab Shawcombe mit einem rauen Lachen von sich.

      Die alte Frau antwortete nicht. Sie schwieg. Regen hämmerte aufs Dach, und ein Scheit knallte in der Hitze des Feuers. Schließlich holte sie lange und holperig Luft, ein Geräusch, in dem eine furchtbare Traurigkeit und Resignation lagen. »Hat unsern Junge g'tötet, eh der Joseph sich hatte umdrehe könne«, sagte sie zu niemand bestimmten. Matthew hatte das Gefühl, dass sie ihn ansah, doch sicher war er sich nicht. »Des hat eem den Kopf abbehaun, mit eem Schlag von da Pranke. Denn isses üba meen Mann herg'falle … und da konnte man nichts mache. Ich bin hing'rannt, hebb de Latärn of es g'schmisse, aba der wa groß. Schrecklich groß. Der hat bloß de große schwatte Schultern g'schüttelt, und denn hatta den Hirsch weggeschleppt und mich da g'lasse mit dem, was übrich wa. Joseph wa vonne Kehle bis zum Bauch aufg'risse. Seen G'därm hing raus. War'n drei Tage, die er zum sterbe g'braucht hat.« Sie schüttelte den Kopf und Matthew konnte es in ihren Augenhöhlen feucht glitzern sehen.

      »Himmel Herrgott!«, sagte Woodward. »Gab es denn keine Nachbarn, die zur Hilfe kamen?«

      »Nachbahn?«, fragte sie ungläubig. »Da gibbes keene Nachbahn hier. Meen Jospeh wa een Trappa un hat mitte Indiana g'handelt. So lebe ma hier. Was ich sach is, des Jack One Eye nich bloß 'n Pär is. Alles, was in dies'n Land dunk'l is … alles, was grausam un bös is. Wenn ma denkt, der Mann un Sohn komme heem un man hebbt de Latärn und will ene zurufe. Dann springt des Ding hoch und plötzlich hebbt man nichts mehr. Des is, was Jack One Eye is.«

      Weder Woodward noch Matthew wussten, was sie zu dieser elenden Geschichte sagen sollten, aber Shawcombe, der noch immer an seinem Eintopf schlürfte und sich Maisbrot in den Mund stopfte, hatte eine Antwort. »Au, Scheiße!«, schrie er auf und fasste sich ans Kinn. »Was ist in diesem gottverdammten Brot, du Weibsstück?« Er griff sich in den Mund, fühlte darin herum. Dann kamen seine Finger mit einem kleinen dunkelbraunen Etwas wieder zum Vorschein. »Hab mir fast meinen Zahn an dem verfluchten Ding ausgebrochen! Zur Hölle noch mal!« Ihm dämmerte etwas. »Das ist ein gottverdammter Zahn!«

      »Muss wo meina seen«, sagte Maude. »Hatte heut Morge een paa lose.« Sie schnappte sich ihn aus seiner Hand und hatte ihnen schon wieder den Rücken zugewandt, bevor er noch etwas sagen konnte. Sie widmete sich wieder ihren Aufgaben an der Feuerstelle.

      »Das verdammte alte Weib zerfällt in alle Teile!« Shawcombe sah ihr finster nach. Er nahm noch einen Schluck Rum, spülte ihn im Mund umher und wandte sich dann wieder seinem Abendessen zu.

      Woodward blickte auf das Stück Maisbrot, das er in seine Schale mit dem Eintopf gelegt hatte. »Ich glaube, mir ist der Appetit vergangen.«

      »Was? Ihr habt keinen Hunger mehr? Na kommt, gebt mir den Rest!« Shawcombe nahm sich die Schale des Richters und kippte den Inhalt in seine. Er hatte sich entschieden, die Hände statt des Löffels zu benutzen, und Suppe triefte ihm vom Mund auf sein Hemd. »He, Herr Gerichtsdiener!«, grunzte er, als Matthew unentschlossen dasaß und überlegte, ob er es riskieren sollte, auf einen verfaulten Zahn zu beißen oder nicht. »Wenn Ihr an das Mädchen wollt, zahle ich Euch zehn Pence, wenn ich zugucken kann. Das krieg ich schließlich nicht jeden Tag zu sehen – einen, der noch Jungfrau ist und zum ersten Mal in die Wolle sticht.«

      »Sir?« Woodwards Stimme hatte an Schärfe zugenommen. »Ich habe Euch bereits gesagt, dass die Antwort Nein lautet.«

      »Ihr nehmt Euch also heraus, für ihn zu sprechen? Was seid Ihr, sein gottverdammter Vater?«

      »Nein, nicht sein Vater. Aber ich bin sein Vormund.«

      »Wozu in aller Welt braucht ein zwanzig Jahre alter Mann einen gottverdammten Vormund?«

      »Überall auf dieser Welt gibt es Wölfe, Mr. Shawcombe«, entgegnete Woodward mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ein junger Mann muss darauf achten, dass er nicht in ihre Gesellschaft gerät.«

      »Lieber die Gesellschaft von Wölfen als das Jammern von Heiligen«, meinte Shawcombe. »Man wird vielleicht gefressen, aber zumindest stirbt man nicht an Langeweile.«

      Die Vorstellung von Wölfen, die sich die Bäuche mit Menschenfleisch vollschlugen, brachte Matthew auf eine weitere Frage. Er schob seine Schale dem Wirt hin. »Vor zwei Wochen war ein Richter von Charles Town nach Fount Royal gereist. Er hieß Thymon Kingsbury. Hat er vielleicht hier Halt gemacht?«

      »Nein, den hab ich nicht gesehen«, antwortete Shawcombe, ohne beim Essen innezuhalten.

      »Er ist nie in Fount Royal angekommen«, fuhr Matthew fort. »Mir scheint, dass er hier Halt gemacht haben könnte, wenn …«

      »Vermutlich ist er nicht so weit gekommen«, unterbrach Shawcombe. »Hat wahrscheinlich schon drei Meilen außerhalb von Charles Town von einem Straßenräuber eins über den Kopf gekriegt. Oder vielleicht hat Jack One Eye ihn erwischt. Wer hier draußen allein unterwegs ist, den trennt nur noch eine Haaresbreite von der Hölle.«

      Matthew ließ sich diese Feststellung durch den Kopf gehen und horchte auf den prasselnden Regen. Wasser tropfte in den Raum und sammelte sich in Pfützen auf dem Boden. »Ich habe nicht gesagt, dass er allein war.«

      Shawcombe mochte für einen Sekundenbruchteil zu kauen aufgehört haben. »Ihr habt nur den einen Namen gesagt, oder?«

      »Ja. Aber seinen Diener hätte ich vielleicht nicht unbedingt erwähnt.«

      »Mein Gott!« Shawcombe knallte die Schale auf den Tisch. In seinen Augen funkelte wieder die Wut. »War er nun allein oder nicht? Und was tut das zur Sache?«

      »Er war allein«, sagte Matthew ruhig. »Sein Gerichtsdiener war den Abend zuvor erkrankt.« Er betrachtete die Kerzenflamme. Ein schwarzer Rauchfaden stieg von der orangefarbenen Lanze auf. »Aber ich denke nicht, dass das weiter wichtig ist.«

      »Nein, ist es nicht.« Shawcombe warf Woodward schnell einen finsteren Blick zu. »Dem liegen immer lauter Fragen auf der Zunge, was?«

      »Er ist ein an vielen Themen interessierter junger Mann«, entgegnete Woodward. »Und sehr intelligent ist er auch.«

      »Aha.« Shawcombe sah wieder Matthew an, und Matthew überkam das eindeutige und äußerst unangenehme Gefühl, in den hässlichen Lauf einer gespannten und auf ihn gerichteten Donnerbüchse zu starren. »Passt besser auf, dass Euch niemand zum Schweigen bringt.« Shawcombe hielt seinen durchdringenden Blick noch für einige Sekunden auf ihn gerichtet und begann dann, über das Essen herzufallen, das Matthew weggeschoben hatte.

      Als Shawcombe verkündete, dass Abner zu ihrer Unterhaltung seine Fiedel spielen würde, entschuldigten sich die beiden Reisenden vom Tisch. Woodward hatte sich die größte Mühe gegeben, seine natürlichen Körperfunktionen zu unterdrücken, doch jetzt protestierten seine Eingeweide. Er sah sich gezwungen, den Mantel überzuwerfen, eine Laterne zu nehmen und in den Sturm hinauszugehen.

      Matthew,