nicht. Aber er kann sich versteckt haben.«
Harry löste sich von seiner Freundin und verließ den Wagen, obwohl ihr das nicht recht war. »Hey!«, rief er furchtlos in die Dunkelheit. »Ist da jemand?«
Leises, geisterhaftes Wispern in den Büschen. Ein leichter Wind fuhr in die ausladenden Baumkronen, und dürre Äste rieben sich knarrend aneinander. Harmlose Geräusche der Natur, vor denen man sich nicht zu fürchten brauchte.
Harry drehte sich entspannt um und sprach in den Wagen: »Siehst du? Es ist niemand hier. Du kannst getrost aussteigen. Die Luft ist rein.«
»Mach dich nicht über mich lustig«, sagte Molly ärgerlich. Aber sie stieg ebenfalls aus und sah sich misstrauisch um.
Für sie war die Sache noch nicht erledigt. Ich weiß, was ich gehört habe, ging es ihr durch den Sinn. Das waren keine Tiere. Ich habe Schritte gehört. Die Schritte eines Menschen. Eines Mannes. Eines Voyeurs – wahrscheinlich.
Harry breitete die Arme aus. »Alles in bester Ordnung«, beruhigte er sie. Er klatschte in die Hände. »So, und jetzt bringe ich dich heim.«
Im gleichen Moment klappte in der Nähe eine Autotür zu.
*
Harry Baxter fiel sein sorgloser Ausdruck förmlich aus dem Gesicht. Er wechselte mit Molly Stone einen hastigen Blick.
»Glaubst du mir jetzt?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Hey!« Er stürmte los. »Hey!« Ein Motor wurde angelassen. Harry lief schneller. »Hey! Du verfluchter Mistkerl!« Ein Wagen fuhr los.
Harry wollte ihn einholen und stoppen oder wenigstens einen Blick auf das Kennzeichen erhaschen, doch der Fahrer gab kräftig Gas und sein Auto war unbeleuchtet. Harry konnte nicht einmal die Marke erkennen. War es ein europäisches Fabrikat? Ein amerikanisches? Ein fernöstliches? Die sehen heutzutage alle irgendwie gleich aus, dachte Harry Baxter ärgerlich und blieb enttäuscht stehen. Ob es einen Sinn hatte, dem Spanner hinterher zu fahren? Vermutlich nicht, sagte sich Harry. Sein Vorsprung ist zu groß. Den hole ich mit meiner alten Karre bestimmt nicht ein. Er ballte die Hände zu Fäusten. Mann, wenn ich dich in die Finger gekriegt hätte. Ich hätte dich so richtig … Nach allen Regeln der Kunst… Du krankes Schwein …
Er kehrte zu Molly zurück.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Er schüttelte verdrossen den Kopf. »Leider nein.«
»Das Nummernschild?«
Harry zuckte frustriert mit den Achseln. »War nicht zu erkennen.«
Molly sah ihn rügend an. »In Zukunft zweifelst du hoffentlich nicht mehr an dem, was ich sage.«
Er ließ die Schultern hängen. »Tut mir leid, Schatz«, sagte er zerknirscht. »Entschuldige. Ich dachte, du hättest dir was eingebildet.«
»Ich habe gute Ohren.«
Er nickte bestätigend. »Ja, die hast du.« Er lächelte. »Und hübsch sind sie obendrein.« Er zeigte auf seinen Wagen. »Wollen wir?«
Sie stiegen ein, wischten die Scheiben ab, und Harry brachte sein Mädchen nach Hause.
Molly gab ihm einen Abschiedskuss, sobald er den Wagen angehalten hatte, und flüsterte ihm dankbar ins Ohr: »Es war wieder sehr schön mit dir.«
Er lächelte verliebt. »Es ist immer schön, wenn wir …«
Molly runzelte die Stirn. »Schade, dass es zu diesem … diesem Misston kam.«
Harry rümpfte die Nase. »Ach, vergiss den blöden Kerl«, sagte er. »Er ist es nicht wert, dass man auch nur einen einzigen Gedanken an ihn verschwendet.«
»Gute Nacht, Harry«, sagte Molly.
»Gute Nacht, Liebling«, gab er sanft zurück. »Schlaf gut. Träum süß. Ich rufe dich morgen an.«
Sie stieg aus, wohnte mit ihren Eltern in einem dieser unattraktiven Londoner Vororte, wo die Häuser nicht prunkvoll, aber die Mieten einigermaßen bezahlbar waren. Mollys Mutter verkaufte mit mäßigem Erfolg Immobilien. Der Vater arbeitete als Werbetexter in einer Vier-Mann-Agentur. Molly jobbte als Sekretärin im Logistikzentrum einer internationalen Lebensmittel-Handelskette namens »Modol».
Zurzeit machten Mollys Eltern Urlaub an der Costa Brava. Sie hätte mit Harry das Haus für sich allein gehabt, aber ein bisschen Landluft zu schnuppern war ihnen lieber gewesen. Harry wartete im Wagen, bis Molly im Haus war. Sie ließ ihren Blick die menschenleere Straße hinauf und hinunter wandern und ihr bot sich ein vertrautes Bild.
Der kantige Pick-up der Nachbarn stand, wie stets, an derselben Stelle. Der knallgrüne Kleinwagen der Hendersons parkte wie gewohnt vor deren Haus. Und der alte Mercedes der Peabodys mit den hässlichen Aufklebern, die die zahlreichen Roststellen verdecken sollten, stand auf »seinem« schmalen Grünstreifen.
Alles war wie immer.
Fast alles.
Nur ein Wagen passte nicht in das gewohnte Bild, aber das fiel Molly nicht auf.
*
Kennen gelernt hatten sich Molly Stone und Harry Baxter vor elf Monaten auf einer Party, zu der Molly eigentlich nicht gehen wollte, weil dort ein paar ziemlich schräge Typen, die sie nicht besonders mochte, weil sie ein bisschen zu gerne und zu oft high waren, rumhängen würden.
Warum sie dann doch da aufgekreuzt war, wusste sie eigentlich nicht mehr so genau. Ihr Erscheinen war wohl einer Gemütsschwankung, die plötzlich aufgetreten war, zu verdanken gewesen, und sie war heute froh, dass es dazu gekommen war, denn sonst hätte sie wahrscheinlich nie die Gelegenheit gehabt, sich in Harry zu verlieben. Er hatte sich angenehm von den unsympathischen Angebern abgehoben, die permanent blöde Sprüche geklopft und sich so hemmungslos betrunken hatten, als gäbe es kein Morgen mehr, hatte sie nett angelächelt und freundlich »Hi« gesagt.
»Hi«, erwiderte sie ebenso freundlich und musterte ihn blitzschnell. Das machte sie immer, und was sie sah, gefiel ihr.
Der Lärmpegel war ziemlich hoch. Die großen Lautsprecherboxen zeigten ordentlich »Charakter« und gaben die ausgesuchten Stimmungstitel unverfälscht wieder. An der Decke drehte sich unermüdlich eine dicke Diskokugel, deren viele kleine Spiegel das Licht der Spotlights wie Blitze um sich schossen.
»Ich bin Harry Baxter«, stellte sich der gut aussehende Blonde mit erhobener Stimme vor, »und wie heißt du?«
»Molly.«
»Molly – und wie noch?«
»Molly Stone«, gab sie zur Antwort.
Er nahm ihren Namen nickend zur Kenntnis. »Bist du allein hier?«
»Nein. Mit einer Freundin.«
»Wie ist ihr Name?«, erkundigte sich Harry.
»Ashley Clinton«, sagte Molly. »Sie tanzt dort drüben mit Kevin Biggelow.«
Harry zog die Augenbrauen zusammen und runzelte leicht besorgt die Stirn. »Deine Freundin sollte sich vor dem in Acht nehmen.«
»Wieso?«
»Er hat keinen guten Ruf, ist ein ziemlich eifriger Schürzenjäger.«
»Und du?«
»Ich?« Harry lachte herzlich. »Nein.« Er schüttelte belustigt den Kopf. »Nein, ich bin nicht hinter jedem Weiberrock her. Schätzt du mich etwa so ein?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Molly, »aber mit meiner Menschenkenntnis ist es angeblich nicht weit her.«
»Wer sagt das?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Viele.«
Harry setzte ein offenes, ehrliches, gewinnendes Lächeln auf. »Ich kann dich beruhigen, Molly Stone. Ich bin nicht wie Kevin Biggelow.«
»Sondern?«, erkundigte sie sich