jedoch den Grund nicht.
Hetty machte große Augen. »Bei Romeo und Julia hängt der Haussegen schief?«, staunte sie. »Das ist ja ’n Ding. Ich hätte nicht gedacht, dass es dazu jemals kommen könnte.«
Molly Stone wechselte ziemlich abrupt das Thema, und Hetty Page machte den Schwenk bereitwillig mit, wofür ihr Molly sehr dankbar war.
Sie hatte wenig später kurz mit Jonah Daglow zu tun, und er behandelte sie, wie immer (abgesehen von gestern), freundlich und respektvoll.
Das Gespräch vom Vortag war ganz offensichtlich vom Tisch, und Molly hatte nicht die Absicht, die leidige Angelegenheit noch einmal anzuschneiden.
Während des Vormittags recherchierte sie dann mit ihrem Kollegen Christopher Murphy aus der EDV-Abteilung und fand mit dessen kompetenter Unterstützung relativ rasch heraus, dass es die Firma, die zurzeit die Reihenhaussiedlung baute, zwar gab, den Manager, der den Brief unterschrieben hatte, aber nicht. Molly zerriss die Fälschung, die Harry zugespielt worden war, und warf sie zornig in den Papierkorb. Sie war nahe daran, Harry anzurufen und ihm das Ergebnis ihrer Nachforschung mitzuteilen, tat es dann aber nicht, weil ihr Stolz es nicht zuließ.
Harry hat mich enttäuscht, dachte sie aufständisch. Er hat mir nicht geglaubt, hat mich mit seinen Zweifeln gekränkt. Das muss er in Ordnung bringen. Nicht ich. Er muss sich um eine ehrliche Versöhnung bemühen und sich bei mir für sein unangebrachtes, beleidigendes Misstrauen reumütig entschuldigen. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, Harry Baxter. Du schon.
Doch Harry meldete sich den ganzen Tag nicht.
Na schön, dachte Molly. Ich nehme an, du bist jetzt mal für eine Weile eingeschnappt. Ist mir recht. Geht in Ordnung. Ich rufe dich ganz sicher nicht an. Wie käme ich nach dieser gestrigen Szene auch dazu? Ich habe Zeit. Ich kann warten. Wenn es sein muss, kann ich sehr geduldig sein. Das werde ich dir beweisen.
Molly Stone arbeitete an diesem Tag nicht nur weniger als sonst, sie machte auch einige Fehler, die ihr normalerweise nicht unterlaufen wären.
Konzentrationsschwäche nennt man das, dachte sie schuldbewusst, während sie rasch und in aller Heimlichkeit korrigierte, was sie verbockt hatte.
Zum Glück landete keine ihrer Fehlleistungen auf Mr. Daglows Schreibtisch, und bis zum Büroschluss war alles wieder im Lot.
»Hat sich Harry gemeldet?«, erkundigte sich Hetty Page, während sie mit Molly im Fahrstuhl nach unten fuhr. Sie hatte ihr Make-up aufgefrischt und roch nach Maiglöckchen.
»Nein«, antwortete Molly.
»Nein?« Hetty Page wackelte bedenklich mit dem Kopf.
»Versuch da bloß nichts hineinzugeheimnissen«, empfahl Molly Stone der Kollegin. »Es kann in keiner Beziehung immer nur die Sonne scheinen. Zwischendurch muss es auch mal Regen geben.«
»Oder ein Gewitter.«
»Oder ein reinigendes Gewitter, ja«, sagte Molly. »Manchmal hat Harry auch einfach nur zu viel um die Ohren…«
»Klar.« Hetty nickte. »Ich verstehe. C’est la vie.« Sie schmunzelte. »Ich liebe die französische Sprache. »C’est la vie … Amour fou … Rien ne va plus…«
Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Dieser Satz gefiel Molly Stone nicht. Hatte Hetty Page ihn absichtlich gewählt? Hoffte sie insgeheim, dass zwischen Harry und Molly »nichts mehr ging«?
Es hatte eine Zeit gegeben, da war Hetty Page so sehr an Harry Baxter interessiert gewesen, dass es Molly schon ein bisschen störend empfunden hatte, aber das hatte sich nach einer Weile zum Glück gelegt.
Sonst hätte sich Molly gezwungen gesehen, mit der Freundin ein klärendes Gespräch zu führen. Aber wie weit hatte Hetty sich wirklich zurückgenommen? Molly fand, dass zurzeit ein höchst ungeeigneter Moment war, um dieser Frage auf den Grund zu gehen.
»Geht noch ein Drink bei Max?«, erkundigte sich Hetty, als sie den Fahrstuhl verließen. »Max« war eine Cocktailbar gleich um die Ecke.
Molly schüttelte lächelnd den Kopf. »Ein andermal«, sagte sie. »Heute nicht.«
Hetty Page nahm ihr das nicht krumm. »Dann vielleicht morgen«, meinte sie.
Molly wollte sich nicht festnageln lassen. »Ja, vielleicht«, gab sie unverbindlich zurück. Als sie auf die Straße traten, sah sich Molly unbewusst um. Keine Spur von Harry, dachte sie. Natürlich nicht. Was hast du erwartet? Dass er dich mit einem riesigen Blumenstrauß empfängt und auf den Knien anfleht, ihm zu vergeben?
Sie stellte sich die Szene vor und hätte beinahe geschmunzelt. Reizvoll wäre es schon gewesen, ging es ihr durch den Sinn.
Dann verabschiedete sie sich von ihrer sommersprossigen Kollegin.
*
Als Molly heimkam, läutete das Telefon. Sie eilte an den Apparat. »Stone«, meldete sie sich, ein klein wenig hoffend, dass am andern Ende Harry Baxter war.
Doch das war nicht der Fall. »Kleines, wie geht’s?«
»Dad.« Molly freute sich über seinen Anruf. »Mir geht es prima«, sagte sie überschwänglich, damit er sich auf keinen Fall Sorgen machte. »Und euch?«
»Uns geht es hervorragend«, antwortete Mollys Vater.
»Wie ist das Wetter bei euch?«
Delbert Stone lachte. »Überhaupt nicht britisch. Wir haben den ganzen Tag Sonne.«
»Ist doch super.«
»Ist es auch«, bestätigte Mollys Dad. »Uns gefällt es hier so gut, dass wir beschlossen haben, eine Woche dranzuhängen. Ich hoffe, dir macht das nichts aus.«
»Warum sollte es?«, gab Molly aufgekratzt zurück. »Natürlich nicht. Ich komme bestens allein zurecht. Erholt euch gut und so lange ihr wollt. Genießt die romantische Costa Brava, die köstliche Paella und die süße Sangria in vollen Zügen. Geht tanzen. Lernt den Flamenco. Amüsiert euch. Schlagt der Welt ein Loch.« Beinahe hätte sie »Das Leben ist ohnedies viel zu kurz« gesagt. »Ich halte inzwischen hier zuverlässig die Stellung und freue mich für euch, dass ihr es diesmal so gut getroffen habt. Voriges Jahr hattet ihr ja nicht so viel Glück. Das Hotel war ein alter Kasten neben einer lauten Großbaustelle, das Zimmer klein, das Essen gewöhnungsbedürftig …«
»Ja, das war ein Griff ins …« Delbert Stone sprach nicht weiter.
»Ins Klo«, ergänzte Molly schmunzelnd.
Ihr Vater lachte. »Du sagst es, Kleines. Ist Harry bei dir?«
Molly schluckte kurz. Sag jetzt bloß nichts Falsches, ermahnte sie sich. Aber gelogen wird auch nicht, verstanden? Immer schön bei der Wahrheit bleiben, klar? »Heute nicht«, antwortete sie diplomatisch. »Er hat zu tun.« Das war bestimmt nicht gelogen. Harry hatte oft zu tun. Eigentlich immer. Er war ein kleiner Workaholic.
»Grüße ihn von uns«, bat ihr Vater.
»Mach ich«, versprach sie.
Wenn ich ihn sehe, ergänzte sie in Gedanken. Wann das sein wird, steht in den Sternen, dachte sie gallig. Er ist nämlich manchmal ein ziemlicher Dickkopf. Und ich … Na ja, ich auch.
»Augenblick«, sagte Delbert Stone. »Deine liebe Mutter steht ganz zappelig neben mir und möchte dir auch noch etwas sagen.«
»Okay.«
»Ich sag schon mal hasta la vista, baby.«
»Hasta la vista, Dad.«
»Ich umarme dich.«
»Ich liebe dich«, gab Molly lächelnd zurück.
»Daddy ist schon ein halber Spanier«, meldete sich Mollys Mutter und lachte. »Hasta la vista ... Buenas dias ... Porfavor ... Gracias ... Buenas noches ... Carramba …«
»Du beherrschst die Sprache aber auch schon ganz gut, Mom.«
»Na ja, was man halt