Manfred Maurenbrecher

Künstlerkolonie Wilmersdorf


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den anderen Mietern in empörte, wild spekulierende Versammlungen, in denen unter anderem die Gründung einer Künstler-Wohngenossenschaft zum gemeinsamen Immobilienerwerb erwogen wurde – was allerdings den Interessen der GDBA ganz entgegenstand. Denn die behielt auch bei den folgenden, fast zweijährlich stattfindenden Weiterverkäufen des Wohnungsbestands ihr Belegungsrecht, das sie bis heute innehat. Zum Glück, denn eine Umwidmung in Wohneigentum ist so bis auf Weiteres ausgeschlossen und macht die Küko-Blöcke immer noch fast immun gegenüber der wachsenden Immobilien-Spekulation.

      Ich klopfe beim Schreiben auf Holz …

      Wohnungseigentümerin ist seit mehreren Jahren die Deutsche Annington, eine Vermieterin mit einem weniger guten Ruf. Ich stimme in die Schelte hier nicht mit ein, aber es gibt Mitmieter, die gute Gründe dafür haben.

      Nach dem Rückzug des Senats, in zwei Jahrzehnten, in denen auch viele unkünstlerisch tätige Mieter zugezogen waren, weil das Interesse, hier im Vorort zu leben, klein war, sah es in der Küko immer mehr nach Verfall und Stagnation aus. Sieht man die Blöcke jetzt, im Frühjahr 2016, so ist einmal nach außen hin alles wieder ordentlich renoviert, korrekt in den vom Denkmalsschutz vorgeschriebenen Farben, die Weinranken am Mauerwerk sind beseitigt, sogar Fahrradständer im Hof sind endlich angebracht und die Nachfrage nach erschwinglichem Wohnraum in einer Gegend, die noch nicht von Starbucks und Inside-Galleries zugerichtet ist, nimmt wieder zu.

      Die Schilder an den Hauseingängen und die Stolpersteine erinnern an bewegtere Zeiten. So, als wäre hier etwas gelungen, weil erledigt und bewältigt.

      Wenn wir uns da nicht täuschen …

      Eine Wohnung für fünf Personen

      Die Familie verdankt meinem Opa die Wohnung in der Laubenheimer Straße. Der Mietvertrag lautete anfangs auf den Intendanten a.D. Otto Maurenbrecher, dem das eine große Genugtuung gewesen sein muss.

      Vorher hatten wir zu fünft beengt als Untermieter in einer Villa in Lichterfelde gelebt, Großeltern, Eltern und ich. Schauspieler-Paar, Bibliothekars-Paar und Erwachsenen-Kind. So zusammen schweißten wir fünf uns nur, weil meinen Großeltern seit Kriegsende alle finanziellen Mittel abgingen. Vorher bürgerlich-wohlhabend, waren sie vom Beamtengehalt des Sohnes, meines Vaters, ganz abhängig geworden. Meine Eltern ließen sie das nie spüren – umgekehrt: Die Großeltern hielten ihnen diese Unselbständigkeit dann und wann pathetisch vor.

      Dabei hätte man die Schuldfrage leicht zurückgeben können – es war nämlich des Großvaters eigenes cholerisches Temperament gewesen, das ihn arm gemacht hatte.

      Um seine Karriere als Theaterleiter krönen zu können, die sich vorher an Provinzbühnen abgespielt hatte, war er in den Dreißigern ans Berliner Theater des Volkes gewechselt – den alten Friedrichstadtpalast am Schiffbauerdamm – und dort Verwaltungsdirektor geworden. Für diese Stellung hatte er in die NSDAP eintreten müssen. Wahrscheinlich war er ein typischer Mitläufer, wenngleich tief konservativ, antilinks, vielleicht auch antisemitisch in dem Maß, in dem künstlerisches deutsches Kleinbürgertum dazu neigte.

      Das in Gemälden und einer Lebensversicherung angelegte kleine Vermögen futsch, zerbombt, hatte er nach dem Sieg der Alliierten wie viele Hunderttausende bei einer Entnazifizierungsstelle zu erscheinen und sich den Fragen eines britischen Offiziers zu stellen. Der Offizier ging bei einem gebildeten Mittelständler von der Beherrschung der englischen Sprache aus – vielleicht als Unterwerfungsgeste, möglicherweise aber auch, um ein differenziertes Gespräch mit dem bunten Mann zu führen. Mein Großvater bockte: »Sind wir hier in Deutschland oder wo?« Darauf hingewiesen, dass ja er hier der Befragte sei, der zu antworten habe, stellte er sich dumm, er verstünde die englischen Fragen nicht. Ob ihm der Ernst der Situation denn bewusst sei: Erst das unterschriebene Entnazifizierungspapier bedeute doch Zugang zu den Sozialleistungen des neu entstehenden deutschen Staates. Wenn man sich hier nicht deutsch mit ihm unterhalte, dann – Staat hin, Staat her – bleibe er eben ein Nazi. So des Großvaters letztes Wort.

      Lebenslang eine Art Notrente für sich selbst und seine Ehefrau war die Quittung für diesen fehlgeleiteten Anfall von Stolz. Nachdenklichkeit und ein wenig Demut hätten dieses eine Mal besser gepasst. So etwa 80 Mark im Monat bekamen die zwei, für den Rest musste ab jetzt mein Vater sorgen.

      Ich erinnere mich an Fahrten mit der Straßenbahn aus dem idyllischen Lichterfelde in die weitläufig zerbombte Innenstadt zum Knie – dem Platz, den sie später nach Ernst Reuter benannten. Am Knie saß damals der Deutsche Bühnenverein in einer Art Baracke, dort, wo später die TU-Gebäude stehen sollten, und in der Baracke arbeitete Frau Hänsel, die Chefsekretärin.

      Sie kannte meinen Opa aus jenen besseren Zeiten, über die sie beide in meiner Anwesenheit nur vorsichtige Andeutungen machten. Der Opa hatte Ämter im Bühnenverein, der Vertretung der Theaterleiter, innegehabt, sein Name galt dort etwas. Er war stolz, das mir, dem sechsjährigen Enkel präsentieren zu können. So wie er einen Heidenspaß daran fand, sich auf der Fahrt bei jeder Unterführung, die die Straßenbahn nahm, mit mir zusammen zu ducken, sonst würden wir ja anstoßen und vielleicht steckenbleiben …

      Die Frau Hänsel, die auf mich immer ein wenig gebeugt und freudlos wirkte und für Kinder nichts übrig hatte, vermittelte dem »Herrn Intendanten« und seiner Gattin manchmal Präsentkörbe des Bundespräsidenten Heuß und manchmal irgendwelche Zulagen für notleidende Künstler – aber vor allem besaß sie einen Überblick über freie Wohnungen in der Künstlerkolonie. Da waren ein Blumenstrauß, ein mit Widmung versehener Memoirenband eines populären Kollegen durchaus nützlich eingesetzte Investitionen, die der Opa unbedenklich vornahm, den Protest seiner haushälterisch strengeren schwäbischen Ehefrau kühl beiseite schiebend.

      Sein Kalkül ging auf.

      Es stand eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung zur Disposition, 115 Quadratmeter groß für uns fünf, im Eckhaus Laubenheimer/Kreuznacher Straße, vierter Stock. Der von meiner Mutter vorgebrachte Einwand, das seien vielleicht für zwei über siebzigjährige Menschen doch ein paar Stufen zu viele und zu steile Treppen, wurde mit theatralischem Hohn pariert: Da solle sie mal sicher sein, dass die beiden Alten das wie auf Flügeln nähmen und behänder dort rauf- und runterklettern würden als ihresgleichen, die Kriegsgeneration – was als Synonym für Geschwächtes verwendet wurde.

      Man wartete auf Frau Hänsels Signal zur Besichtigung – Telegramm oder Depesche, ich weiß es nicht mehr, Telefon jedenfalls gab es in unserem Haushalt damals nicht. Herr und Frau Schott, die Vormieter, öffneten die Tür mit Besitzerstolz. Sie hatten die Schäden, die dem Eckhaus kurz vor Kriegsende zugefügt worden waren, mit eigenen Händen beseitigt, hatten zusammen mit anderen Mietern zwei Stockwerke, dritte und vierte Etage, aus den Schuttsteinen der Bombardierung wieder hergestellt, hatten das Dach neu gedeckt – mit Hilfe der Wohnungsgesellschaft, das ja –, waren aber durch die verantwortungsvolle Handarbeit doch auch ein bisschen in den Stand versetzt worden, als gehöre dieses Haus jetzt ihnen. Mit all den überstandenen Mühen, dem Handwerkerstolz, dem sichtbaren Erfolg.

      »Hier hast du eine Murmel, lass die mal laufen«, forderte Herr Schott mich an einer Ecke des großen leeren Wohnzimmers auf – sie kullerte quer über das Parkett genau in die diagonal andere Ecke des Raumes. »So ganz eben haben wir den Boden eben nicht hingekriegt«, entschuldigte sich der Hausherr, »aber es hält ja …«

      Auch Herr Schott war ein Schauspieler, ein lustiger und gewandter Mann. Warum er die feine Wohnung aufgab, weiß ich nicht, der Mietpreis kann es eigentlich nicht gewesen sein, der betrug damals, ab November ’56, für uns mit Nebenkosten 170,90 Mark.

      Wir waren begeistert von den fünf Zimmern. Natürlich bekam ich das kleinste, nach hinten raus, aber mit Klappbett, dem Vorgänger des jugendlichen Hochbetts, so dass nicht nur Schreibtisch und Schlafgelegenheit für mich bereitstanden, sondern auch zwei Hocker und ein zusammenschiebbares Spieltischchen, falls Freunde kamen.

      Die blieben erst einmal aus.

      Wohnzimmer mit Radio und Kanarienvogel, 1959

      Ich war knapp sieben und wollte auf keinen Fall zur Schule. Schon der Umzug war ein Schock für mich gewesen, und die angeblich normale