Manfred Maurenbrecher

Künstlerkolonie Wilmersdorf


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schämte, sprang ich doch froh und aufgeregt die Treppen in dem fremden Haus runter, wenn ich am Waschtag von der Schule kam. Ich hatte alles Recht der Welt, mich dort auszukennen im Keller, sah die Mutter schon auf mich warten – es gab zu tun, zu erzählen und viel zu lachen, und die riesige Holzmangel mit ihrem Gepolter schlug mich jedes Mal in Bann. »Darf ich nochmal?« – immer wieder setzte ich das Ungetüm in Bewegung und stellte mir vor, die ungebügelten Kleidungsstücke, die dort gerollt und gepresst wurden, wären Menschen – sogar ich selbst …

      Nicht nur eine Waschmaschine fehlte unserem Haushalt, auch der Fernseher. Immer hieß es, so etwas bräuchten wir nicht, lieber gingen wir in Konzerte und Theater, besuchten sonntags einen Gottesdienst und über die Woche Vorträge in der Urania. Man bekam auch gern Besuch und schaute bei Freunden vorbei – wobei sich die Freundeskreise der Eltern und Großeltern nicht überschnitten, sich nicht mal recht grün waren.

      Erst viel später, kurz vor dem Abitur, schaffte ich mir selbst einen Fernseher an. Seitdem hatte ich die Eltern als treue Zuschauer fast täglich in meinem Zimmer.

      Im elterlichen Freundeskreis wurde in den frühen Jahren begeistert politisiert – wonach die politische Lage West-Berlins natürlich geradezu verlangte, man fühlte sich hier ja automatisch zugleich bedroht und bevorzugt, auf jeden Fall wichtig, man war an einem Schaltpunkt der Welt zu Hause. Der Freien Welt.

      Die Abgesandten dieser Freien Welt brausten immerzu über uns weg, alle zehn Minuten täglich und bis weit in die Nacht: Flugzeuge auf dem Weg zum Flughafen Tempelhof und wieder von dort zurück, in alle Himmelsrichtungen. Unsere Siedlung lag genau in der Flugschneise. Als Kind war ich fest davon überzeugt, dass kein Flugzeug je über uns abstürzen würde. Heute staune ich, dass es wirklich so war. Ich kenne niemanden, der sich in unseren ersten Jahren in der Küko ernsthaft über den Fluglärm beschwert hätte – zu nah war die Glückserfahrung von ’48, wo die Alliierten die sowjetische Blockade West-Berlins durchbrochen hatten mit ihren Rosinenbombern.

      Wenn sich der Freundeskreis meiner Eltern bei uns in der Wohnung traf, befanden sich folgende Leute darunter: zwei einfache Bibliothekarinnen, nämlich meine intuitive Mutter und meine exzentrische Patentante Voss, eine technische Kraft (das bodenständige »Fräulein Neumann« oder »Neumännchen« genannt und nie bei ihrem Vornamen Hilde), und drei ehrgeizige Bibliotheksräte (d. h. Bezirksleiter) – von denen einer, mein Vater, ein gelehrter akademischer Studienabbrecher war und die beiden anderen, zehn Jahre jünger, als Nachkriegsaufsteiger aus dem Handwerkermilieu, also mit Notabitur in den Beruf gefunden hatten –, dazu kamen noch die berufslosen Ehefrauen der beiden anderen Männer. Zu- und Abneigungen, Konflikte und Koalitionen waren vorgezeichnet, die Gespräche auf lange Sicht für alle bereichernd.

      Für meine Großeltern war dieser junge Kreis zu wenig kulturorientiert, sie hätten vielleicht »zu amerikanisch« dazu gesagt. Natürlich war die Teilung Berlins so verlaufen, dass Westbürger, zu denen auch die Großeltern gehörten, Amerika als die große Helfernation und den engsten Freund empfinden mussten. Weshalb mein Opa sich 1959, während er eine Rede des Sowjetführers Nikita Chruschtschow vor der UN-Vollversammlung im Radio hörte, so aufregte, dass er einen Herzanfall bekam und starb. Aber der American Way of Life erreichte die Bevölkerung doch mit verschiedener Intensität. Richtig modern und amerikanisch empfanden wahrscheinlich nur wir Jüngsten. Wir waren die treuesten Verbündeten.

      Ich erinnere mich aber, wie entzückt meine Mutter von einem jungen amerikanischen Professor erzählte, den sie bei einem Adventsbasar traf. Er reiste allein, von Lehrstuhl zu Lehrstuhl jahresweise die Kontinente wechselnd, und wusch sich sogar seine Hemden selbst. »Er nimmt Nylonhemden, die lässt er austropfen und zieht sie trocken wieder an«, staunte die angelernte Hausfrau und erkannte in dem Mann einfach einen verbündeten Berufstätigen. Einen, der wie sie den Bücherschatz der Amerika-Gedenkbibliothek, ihres Arbeitsplatzes, genießen konnte. Mein Vater sah das skeptischer. Er spottete auch über die Nachbarin Bergmann, die im Rektorat der Freien Universität arbeitete und uns manchmal mitnahm zu den Festakten dieses West-Berliner Prestigeobjekts – wie sie dort vom Geist der akademischen Freiheit schwärmten, von der Bedingungs- und Vorurteilslosigkeit wissenschaftlichen Forschens. Mein Vater glaubte den Phrasen nicht. Er hatte seine eigenen Erfahrungen gemacht mit Wissenschaften, mit akademischer Lehre und Macht, nationalsozialistische Erfahrungen. Ich dagegen war tief beeindruckt – so wollte ich einmal werden, ein polyglotter freier wissenschaftlicher Geist.

      Ich war auch begeistert von der schwarzen Offiziersfamilie in Lichterfelde, die dort kurz unsere Nachbarn gewesen waren: Nach dem Essen im lichtdurchfluteten Wohnzimmer der konfiszierten wilhelminischen Villa legten alle Familienmitglieder zum Entspannen die Füße (ohne Schuhe) auf den Tisch. Als ich das zu Haus nachmachte, fand überraschenderweise mein Großvater, entgegen den erzieherischen Verweisen aller anderen Anwesenden, warme Worte für die »Neger nebenan« und für mich als ihren Fan: Natur sucht Natur.

      Die Loggia, um 1960

      Den Großvater besuchte auch einmal unerwartet mit Riesenlimousine ein amerikanischer Komponist, Frederic Loewe. In den Zwanzigern war er als junger Musiker an einer der Bühnen, die der Opa leitete, beschäftigt gewesen. Für ihn war der berühmte Mann auch weiterhin »der Fritz«. Dieser rief jetzt ein imposantes, freundschaftliches »Hello!« in unsere bescheidene Hütte. Gerade studierte er sein Erfolgsmusical My Fair Lady

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