Mary Henrietta Kingsley

Reisen in Westafrika


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bemaltem Holz mit Dächern aus Wellblech bestehen. Man muss anmerken, dass sie in der Mehrzahl in einem sehr heruntergekommenen Zustand sind. Hier und dort begegnet man einem strohgedeckten Haus, das Stroh bedeckt von Kriechpflanzen und Heimstatt ganzer Kolonien an Kriechinsekten.

      Einige der Lager und Kirchen sind tatsächlich aus Stein gebaut, aus der Entfernung sehen sie wegen der roten Farbe aber nicht nach Stein aus. Errichtet sind diese Gebäude aus unbehauenen Felsblöcken roten Gesteins der Umgebung. In den Spalten dieser Gebäude schlagen Ranken mit hübschen malvenfarbenen oder gelben Blüten Wurzeln, und überall auf den Mauern und in den Rissen der Häuser sprießen Farne und Blütenpflanzen. Einen guten Teil ihrer Nährstoffe müssen diese Pflanzen aus der Luft beziehen, die zu 85 Prozent aus warmen Wasser zu bestehen scheint und im Übrigen aus den Gerüchen nach Frangipani, Orangenblüten, Magnolien, Oleander und Rosen kombiniert mit anderen Gerüchen, die belegen, dass die Bewohner Freetowns hygienischen Fragen keinerlei Interesse entgegenbringen.

      Es gibt eine Hauptstraße, und die übrigen sind im ordentlichen rechten Winkel dazu angelegt. Keine ist in irgendeiner Form gepflastert oder geschottert. Der Straßenbelag ist wesentlich hübscher und auf seine Weise wesentlich geeigneter für nackte Füße, denn er besteht aus grünem Gras. Die Ausnahme bilden Straßen, die so steil sind, dass die starken Regenfälle der feuchten Jahreszeit jedes bisschen Erde und Gras bis auf den roten Felssockel fortgewaschen haben.

      In alle Richtungen eilen Einheimische, ihre nackten Füße erzeugen auf dem federnden Rasen der Straßen keinerlei Geräusche und auf ihren Köpfen tragen sie schwere Lasten, die gewöhnlich vom Hut des Trägers gekrönt werden, einem großen, flach-kegelförmigen Ding aus Palmblättern. Während einige diese gewaltigen Bündel tragen, schleppen andere Baumstämme, Holzplanken, Steine zum Bauen, Gefäße mit Palmöl, Körbe mit Gemüse und Früchten oder Zinntabletts, auf denen gefaltete Tücher liegen. Da die überwiegende Mehrzahl der einheimischen Bewohner Sierra Leones sich nicht darum schert, wohin sie gerade gehen – ob in dieses Leben oder das nächste – stehen Konfusion und Lärm in keinerlei Verhältnis zur Größe der Stadt. Regelmäßig passiert es, dass eine Gruppe herumwandernder Lastenträger verwegen in eine sitzende Gruppe hineinrennt, deren Mitglieder sich mitten auf der Straße niedergelassen und ihre Lasten abgelegt haben, um ein Plauderstündchen mit Bekannten zu halten. Der Aufruhr in solchen Fällen kann furchterregend sein.

      Inmitten all der Bauern spazieren stattliche Muslime, Mandingos, Aker und Fulah von den arabisierten Stämmen des westlichen Sudan. Es sind geschmeidige, wohlgebaute Männer mit einer eigentümlichen schönen Körperhaltung. Ihre anmutige Kleidung besteht aus einem langen weißen Hemd mit weiten Ärmeln, über dem sie eine Robe aus schwarzer Mohairwolle oder Seide tragen oder etwas in leuchtendem Dunkelblau, das ein wenig an Universitätstalare erinnert, nur mit mehr Stoff und mehr Falten. Sie bilden unter den Einheimischen Sierra Leones zweifellos die Oberschicht und stellen, keinesfalls zur Freude der Christen, in der Stadt einen wachsenden Bevölkerungsanteil.

      Doch für den durchreisenden Besucher Sierra Leones bleiben die Muslime nur eine flüchtige Erscheinung. Man spürt weder das dringende Bedürfnis, mit ihnen oder über sie zu lachen, wie dies bei den einfachen Leuten der Fall ist, noch will man diese Leute schlagen oder ihnen die Kleider zerreißen. Das wiederum täten Sie jener perfekten Blüte Sierra Leonischer Kultur liebend gerne an, die Ihren Namen quer über die Straße grölt und Sie herablassend informiert, Sie sollten vorbeikommen, es seien Briefe für Sie eingetroffen. Er selbst lümmelt derweil Zigarre rauchend im Schatten herum oder demonstriert auf ähnliche Weise seine heruntergekommene, minderwertige weiße Kultur – eine Kultur weit niedriger und würdeloser als die des stattlichen Mandingos oder auch des Buschhäuptlings. Ich glaube nicht, dass der typische Angeber Sierra Leones auch nur halb so unverschämt sein will, wie er tatsächlich ist. Doch in Wahrheit fühlt er sich, trotz der ganzen Fassade, in seiner eigenen Position so unsicher, dass er es nicht wagt, höflich zu sein wie ein Mandingo oder ein Fang aus dem Busch.

      Auch wenn sich Lärm, Gestank und Hitze beständig um die Aufmerksamkeit des Neuankömmlings drängen, wird ihm dennoch als erstes die Kleidung der Einwohner Freetowns und seines Hafens auffallen. Der einfache Mann auf der Straße trägt, was immer ihm gerade in die Hände fiel, und zwar ohne es richtig zuzubinden. Ich vermute, dabei muss eine sehr spezielle Anziehungskraft oder irgendeine nur halb verstandene Regel eine Rolle spielen, auf keinen Fall aber Hosenträger oder Knöpfe. Einige Stoffe sind natürlich von ihrer Struktur her ziemlich geschlossen, wie etwa ein Regenschirm, dem man den Stock und die Rippen entfernt hat, oder ein Hemd. Dieser zuletzt genannte Schatz wird dem Träger gewöhnlich von einem weiblichen Verwandten und einer Bewunderin geschenkt, die für weiße Männer die Wäsche erledigt. Es wird immer frei wehend getragen und entfaltet einen solchen Charme, dass der glückliche Träger sich wenig schert, was er sonst noch trägt – Hosen, Leinentuch, einen roten Petticoat aus Flanell oder völlig überdimensionierte Unterhosen. Diese Dinge sind, um mit seinen Worten zu sprechen »für ihn alle gleich«.

      Die Frauen unterteilen sich in drei Gruppen: Die kleinen Mädchen spricht man mit »Tee-tee« an, die junge Frau mit »Seester« und die reifere Dame als »Mammy«. Ich rate Ihnen jedoch, diese Begriffe bei Ihrem ersten Besuch nicht zu verwenden, da dies leicht zu Missverständnissen führt. Sprechen Sie beispielsweise eine Mammy als Seester an, denkt diese entweder, Ihnen mangele es an Respekt gegenüber einer verheirateten Frau – etwas, worauf die betreffende Dame Sie umgehend nachdrücklich hinweisen wird – oder die Angesprochene glaubt, Sie würden mit ihr flirten, was Ihnen selbstverständlich völlig fernliegt und ebenfalls in peinliche Situationen brächte. Mein Rat lautet daher, sich strikt an Missus oder Mammy zu halten. Dieses Vorgehen hat sich meinen Beobachtungen nach sehr bewährt.

      Die Kleidung der Frauen ist fast genauso vielfältig wie die der Männer, aber immer ordentlich und sauber. Es sind ausgesprochen pittoreske und manchmal hübsche Frauen. Eine Marktfrau mit ihrem fröhlichen braunen Gesicht und lachenden braunen Augen mit einem Hauch von Grau, das sie umso weicher scheinen lässt, bietet einen sehr schönen Anblick und ist eine angenehme Gesprächspartnerin. Ihren üppigen Körper bekleidet sie mit einem bunten, an der Schulter zusammengehaltenen Stoff und einem bis zu den Füßen fallenden Volant, der unter ihren Schultern befestigt ist. Um ihren Kopf wickelt sie ein gelbes oder rotes Tuch und aus ihrem breiten Lächeln blitzen schneeweiße Zähne hervor. Aber bei Allah: Welch ein Leibesumfang!

      Die steinernen, weiß gekalkten Marktgebäude Freetowns machen einen angesichts des Klimas und der Vielfalt der hier zum Verkauf ausgelegten Waren – für deren Katalogisierung man sich Rabelais Stift wünscht – achtbaren und sauberen Eindruck. Es gibt hier alle nur denkbaren Früchte, einige kennt man schon aus England, mit den übrigen wird man in Afrika rasch vertraut. Auf dem Weg ins Landesinnere erscheint diese Auswahl als Selbstverständlichkeit, doch auf der Heimreise (wenn Sie diese erleben), betrachtet man die Früchte als Segen und Seltenheit. Denn weiter fort, besonders »in den Flüssen«, ist solcherlei nur selten zu bekommen und nie in einer Perfektion wie hier. Sehen Sie dann zum ersten Mal wieder Salat, Orangen oder Tomaten, die größer als Murmeln sind, dann ist die Freude groß.

      Eines der wichtigsten Erkennungszeichen Freetowns sind die Gelbkopf-Felshüpfer. Einige Autoren behaupten, diese Vögel kämen allein in Sierra Leone vor, andere widersprechen dem, aber beide Fraktionen nennen die Tiere Picathartes gymnocephalus. Für die Weißen, die in täglichen Kontakt mit ihnen leben, sind es »Truthahn-Bussarde«, für die Einheimischen »Yubu«. In jedem Fall handelt es sich um ein böse guckendes Federvieh, das keine Zierde für die Giebel ist, auf denen es sich niedergelassen hat. Die einheimischen Christen wären gut beraten, das Dach der Kathedrale mit Stacheldraht vor ihnen zu schützen. Das Gebäude ist schon so keinesfalls schön und hat dem Effekt der Kette lärmender Vögel auf seinem Dachfirst nichts entgegenzusetzen, deren Flügel in allen denkbaren Winkeln abgespreizt sind und »alles zu spät« zu signalisieren scheinen. Der erste Vogel könnte einen seiner Flügel vielleicht direkt nach vorne und den anderen beiläufig im rechten Winkel von sich strecken, der nächste beide Flügel grade nach vorne strecken, und der wiederum nächste beide hoffnungslos nach unten hängen lässt: Aber keines der Tiere hat seine Flügel ordentlich und sorgfältig gefaltet, wie anständige Vögel dies täten. Sie alle geben den Eindruck ab, am Abend zuvor extrem betrunken gewesen zu sein und nun einen furchtbaren Kater zu haben. Als Müllsammler von Freetown