Mary Henrietta Kingsley

Reisen in Westafrika


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Grab des weißen Mannes.« Fragte ich genauer nach, hörte ich gelegentlich von irgendwelchen Verwandten, die es irgendwie dorthin verschlagen hatte: »Traurige Fälle«, deren Fehler aber nun vergeben und vergessen waren, angesichts der Tatsache, dass sie nicht nur Westafrika, sondern diese Welt verlassen hatten.

      Als Nächstes verglich ich die Aussagen der verschiedenen Ärzte. »Der tödlichste Ort auf der Welt«, verkündeten sie fröhlich und zeigten mir Landkarten, welche die geographische Verbreitung verschiedener Krankheiten zeigten. Nun behaupte ich nicht, ein Land sähe auf einer Karte besonders einladend aus, wenn man es in Giftgrün oder krankhaftem Gelb einfärbt, doch diese Farben mögen dem mangelnden künstlerischen Geschick des Kartographen geschuldet sein. Ist es dagegen schwarz gefärbt, kann es kein Missverständnis geben, und schwarz gefärbt ist ganz Westafrika von oberhalb Sierra Leones bis hinunter zum Kongo. »Wenn ich du wäre, ginge ich da nicht hin«, rieten mir die Mediziner unter meinen Freunden, »du wirst dich mit irgendetwas anstecken. Aber du bist stur wie ein Esel, und wenn du unbedingt gehen musst, bring mir doch bitte …« Es folgte eine Liste mit Aufträgen von hier bis New York, von denen jeder einzelne … aber das fand ich erst im Nachhinein heraus.

      Alle meine Informanten berichteten mir über die Missionare. »Viele waren dort unten«, erklärten sie recht vage, »und zwar lange Jahre«. Also stürzte ich mich auf die Literatur der Missionare. Doch welche Enttäuschung! Das Einzige, was ich herausfand, war, dass diese Leute ihre Berichte nicht schrieben, um zu erzählen, wie das Land, in dem sie wohnten, beschaffen war, sondern wie weit es auf dem Weg dorthin, wo es hin sollte, bereits gekommen war. Außerdem sprachen diese Autoren darüber, wie wichtig es sei, dass die Leser mehr spendeten und keine falschen Vorstellungen entwickelten, sie bekämen für ihr Geld eine zu geringe Anzahl Seelen. Ich stieß auch auf Furcht einflößende Belege für die Aussagen meiner Medizinerfreunde über die Vielzahl von Krankheiten sowie auf diverse Details über die Verbreitung von Baumwollhemden, mit denen ich mich nicht lange aufhielt.

      Von den Missionaren stammten jedoch meine anfänglichen Ideen über die soziale Situation Westafrikas. Ich erfuhr, dass dort zunächst einmal die Einheimischen vegetierten – das Rohmaterial gewissermaßen – und diese dann entweder zum Guten oder zum Bösen geführt würden, und zwar jeweils entweder vom Missionar oder, im anderen Fall, vom Händler. Es gab auch Regierungsmitarbeiter, deren wichtigste Funktion darin bestand, den Missionaren bei ihrer Arbeit zu helfen und deren Ergebnisse zu konsolidieren. Es ist eine Aufgabe, der sie nur mehr oder weniger gut nachkommen. Aber diese Händler! Ich sortierte sie sofort unter den Gefahren Westafrikas ein. Später tischte man mir ein gutes altes Stück Küsten-Seemannsgarn auf: Ein Händler aus jener Region betritt das Jenseits und der gefallene Engel verzichtet selbstverständlich und ohne zögern zugunsten des toten Händlers auf seinen höllischen Thron. Dies ist, wie man beachten sollte, die maritime Form der Legende: In der Version, die ich später auf dem Festland hörte, wird aus dem Händler ein Seemann aus Liverpool. Aber natürlich muss man keiner der beiden Versionen Glauben schenken – es ist keine Missionarsgeschichte. Obwohl mein Verstand mit all diesen Aussagen beschäftigt war, legte sich mein Herz unaufhaltsam auf diese Reise fest und ich musste ihm folgen. Glücklicherweise zählte zu meinem Bekannten auch eine Person, die sieben Jahre lang an der afrikanischen Westküste gelebt hatte. Zugegebenermaßen handelte es sich nicht um jene Gegend, die ich ansteuern wollte, dennoch verdienten seine Ratschläge besondere Aufmerksamkeit, denn trotz seines langen Aufenthalts in der tödlichsten Ecke des Kontinents erfreute er sich noch immer bester Gesundheit. Ich erzählte ihm, nach Westafrika reisen zu wollen, und er antwortete: »Wenn du beschlossen hast, nach Westafrika zu reisen, ist das Beste, was du tun kannst, deinen Beschluss zu ändern und stattdessen Schottland anzusteuern. Doch falls deine Intelligenz dafür nicht ausreicht, meide zumindest direkte Sonneneinstrahlung, nimm, bevor du die Flüsse erreichst, zwei Wochen lang täglich vier Gran Chinin und besorge dir einige Empfehlungsschreiben für die Wesleyaner. Sie sind die einzigen Leute an der Küste mit federgeschmückten Leichenwagen.«1

      Als Nächstes wandte ich meine Aufmerksamkeit den Dingen zu, die ich mitnehmen wollte. Ich hatte die Schleusentore der guten Ratschläge selbst geöffnet und war bald völlig durcheinander. Meine Freunde und auch deren Freunde schienen in der Illusion zu leben, ich wollte einen kompletten Dampfer chartern, und mein Reichtum überträfe selbst die gierigsten Träume. Da beides falsch war, konnte ich nur dankbar zuhören und den Ereignissen ihren Lauf lassen.

      Nicht nur die Dinge, die man mitnehmen muss, sondern auch die, in denen man diese verstaut, stellen den jungen Reisenden vor eine Reihe von Problemen. Alle möglichen Freunde und Bekannte empfahlen mir, welche Behältnisse zur Gepäckaufbewahrung sie jeweils als unentbehrlich empfunden hätten, und selbstverständlich unterschieden sich diese voneinander in Verarbeitung und Material erheblich.

      Angesichts all der quälenden Auswahl war ich zu durcheinander, um irgendetwas an Gepäck neu zu kaufen, außer einem langen, wasserdichten Sack, oben gut verschlossen mit einem Riegel und einem Griff. Dort hinein kamen die Bettlaken, Stiefel, Bücher, und letztlich alles, das weder in meinen Reisekoffer noch in meiner schwarzen Tasche Platz fand. Von Anfang an verfolgte mich die fixe Idee, der Boden des Sacks könne sich lösen, aber das geschah nie, und trotz der Tatsache, dass er bezüglich der Anordnung seines Inhalts seine eigenen Vorstellungen entwickelte, erfüllte der Sack seine Aufgabe während der gesamten Reise vorbildlich.

      Es war Anfang August ’93, als ich England zum ersten Mal in Richtung »Westküste« verließ. Das vorbereitete Chinin erreichte mich wegen nur teilweise gezahlter Versandgebühr erst im letzten Moment, und ein Freund schickte mir noch schnell zwei ausgeschnittene Zeitungsartikel. Der erste trug den Titel »Eine Woche in einem Palmöl-Bottich«. Er beschrieb die angeblich zu erwartende Unterbringung, Gesellschaft und Tierwelt auf einem Dampfer nach Westafrika: Dort sollte ich also sieben Wochen verbringen im Gegensatz zur einen Woche des Autors von The Graphic. Der andere Artikel stammte aus dem Daily Telegraph und besprach ein französisches Buch über »Gebräuchliche Redewendungen« in Dahomey. Der erste Satz in Letzterem lautete: »Hilfe, ich ertrinke!« Dann kam die Frage: »Sind Sie ein Dieb?«, gefolgt von einem weiteren Ausruf: »Das Boot ist gekentert!« – »Steht auf, ihr faulen Spitzbuben!«, war der nächste Ausruf, dem fast direkt die Frage folgte: »Warum wurde dieser Mann nicht begraben?« – »Ein Fetisch hat ihn getötet und er muss hier unbekleidet liegen, bis nur noch die Knochen übrig sind«, lautete die fröhliche Antwort. Für jemanden, dessen Tätigkeit ausgedehnte Bootsreisen voraussetzte und dessen fester Entschluss das Studium der Fetische war, klang dies ziemlich entmutigend.

      Ich verließ London also voll düsterer Vorahnungen Richtung Liverpool – auch die nüchterne Art, in der mir die Dampfergesellschaft mitgeteilt hatte, man verkaufe für ihre Westafrika-Linie keine Rückfahrkarten, konnte mich kein bisschen erheitern. So gerne ich auch abschweife, werde ich an dieser Stelle nicht weiter auf die Details jener Reise eingehen. Sie sind eher amüsant als lehrreich, denn auf meiner ersten Reise kannte ich »Die Küste« noch nicht und »Die Küste« kannte mich nicht, sodass wir uns beide voreinander fürchteten. Ich erwartete selbstverständlich, vom örtlichen Adel und der Oberschicht ermordet zu werden, sie hielten mich für eine Agentin der World’s Women’s Temperance Association, die nach schockierenden Details für Erbauungsgeschichten über den Alkoholhandel suchte. So kam es zu Furcht einflößenden Missverständnissen, doch nach und nach lernten wir einander kennen. Hierbei war ich in der bedeutend besseren Lage, denn alles, was ich ihnen beibringen musste, war, dass ich lediglich eine Sammlerin von Käfern, Fetischen und solchen Dingen war, während sie mir eine neue, faszinierende Welt zeigen mussten. Und was auch immer »Die Küste« vieles gegen mich vorbringen mag, sei es mein dauerndes Verlangen nach Haarnadeln, anderen Nadeln, meine unerträgliche Angewohnheit, ins Wasser zu fallen, seien es die Abscheulichkeiten voller Ameisen, die ich in ihre Häuser brachte, oder Dinge, die nach unvorhergesehen kurzer Vorwarnzeit intensive, widerliche Gerüche absonderten. Doch niemand kann behaupten, ich sei keine fleißige Schülerin gewesen. Stets versuchte ich, die Lektionen zu lernen, die sie mich so freundlich lehrten, auch wenn einige dieser Lektionen sehr hart waren für jemanden, der nie zuvor auch nur in einer harmloseren Ecke der Tropen gewesen war und dessen Leben sich viele Jahre lang rein häuslich und in einer Universitätsstadt zugetragen hatte.

      Eine nach der anderen nahm ich meine alten Vorstellungen, die ich aus Büchern und