andere als leicht. Sie hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl aus und stand auf, um im Zimmer umher zu gehen.
»Natürlich. Es ist ja nicht so, als würde ich nicht merken, wie schlecht es mir geht.« Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. »Aber wissen Sie, nach all den Jahren habe ich den Kampf aufgegeben.«
»Warum?« Nach wie vor saß Dr. Norden auf seinem Stuhl. Von dort aus beobachtete er den Marsch seiner Patientin. »Hatten Sie vor Ihren Klienten einen Anfall?«
Heike schüttelte den Kopf.
»Das nicht. Bei mir ist es so, dass die Krankheit in Schüben kommt. Und natürlich bin ich zu den verschiedensten Ärzten gegangen und habe noch mehr unterschiedliche Meinungen zu hören bekommen. Und jede Menge Tabletten. Aber wie soll ich denn arbeiten, wenn ich wie ferngesteuert bin? Wenn ich Watte im Kopf habe und mich nicht konzentrieren kann?«, stellte sie eine berechtigte Frage. »Das geht nicht. Deshalb habe ich die Mittel abgesetzt. Wenn ich mich nicht wohl fühle, bleibe ich inzwischen einfach zu Hause. Das wissen meine Klienten und haben sich darauf eingestellt.«
»So gut, wie Sie denken, scheinen Sie die Sache aber doch nicht im Griff zu haben«, hielt Dr. Norden nicht mit seiner Ansicht hinter dem Berg und sah seiner Patientin dabei zu, wie sie wieder Platz nahm. »Dabei gibt es heutzutage wirklich gute Medikamente mit wesentlich geringeren Nebenwirkungen.«
Heikes Augen wurden schmal. Ein paar Falten zeichneten sich auf ihrer Stirn ab.
»Nein, danke. Ich habe lange genug das Versuchskaninchen gespielt. Wirklich, im Normalfall habe ich diese Sache selbst ganz gut im Griff«, widersprach sie vehement.
Angesichts dieser heftigen Gegenwehr begriff Daniel Norden, dass er gegen Windmühlen kämpfte.
Eine Möglichkeit gab es noch. Aber wenn die nicht funktionierte, wusste er auch nicht weiter. So versuchte er es also mit einer List und stand seufzend auf.
»Da scheint Ihre Tochter anderer Meinung zu sein«, erklärte er von oben herab und ignorierte Heikes offensichtliche Bestürzung. »Sind Sie nach München gekommen, weil Marla hier lebt? Wollten Sie einen neuen Anfang machen?«
Heike Moebius kaute auf der Unterlippe und schüttelte schließlich den Kopf.
»Dazu ist es längst zu spät.«
»Ach, dann sind Sie hierhergekommen, um Marla zu sagen, dass Sie aufgeben?« Die Provokation war offensichtlich, und endlich zeigte sich der erhoffte Erfolg.
»Ich bin die Letzte, die vor Problemen davon läuft«, protestierte die Anwältin. »Sonst wäre ich längst unter die Räder gekommen.« Sie haderte mit sich und betrachtete die roten Fingernägel. »Sie wollen die ganze Geschichte hören, nicht wahr? Also schön.« Es fiel ihr nicht leicht, die Karten auf den Tisch zu legen. »Mein Mann und ich hatten eine eigene Kanzlei und waren unglaublich stolz. Das Unglück begann, als er mich mit unserer Sekretärin betrog. Damals war Marla gerade mal fünf Jahre alt. Wir trennten uns, arbeiteten aber weiter zusammen, auch wenn es mich jedes Mal fast zerrissen hat, die beiden zusammen zu sehen. Ich wollte alles dafür tun, dass wenigstens unsere Tochter eine glückliche Kindheit haben kann. Das ist mir leider nicht gelungen. Sie hat gegen alles und jeden rebelliert und ist schließlich weggegangen. Seitdem will sie weder was von mir noch von meinem inzwischen geschiedenen Mann wissen. Das muss ich akzeptieren.« Das Gespräch hatte sie erschöpft ,und als Heike gähnte, wusste Dr. Norden, dass es Zeit wurde zu gehen.
Er brachte sie zu ihrem Bett und sorgte dafür, dass sie bequem lag.
»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht von Marlas Verhalten abweisen lassen«, erklärte er noch. »Zeigen Sie Ihr, wie stark Sie wirklich sind. Kämpfen Sie gegen Ihre Krankheit statt sie zu verdrängen.«
Heike Moebius sah ihn aus müden Augen an. Als sie keine Antwort gab, verabschiedete er sich für den Moment von ihr und ging zur Tür.
»Warten Sie!«, rief sie ihm nach, als seine Hand schon auf der Klinke lag. »Eines müssen Sie mir noch versprechen. Sie dürfen mich nicht in die Anstalt stecken.«
Daniel zögerte, unsicher, ob er dieses Versprechen guten Gewissens geben konnte. Doch eine innere Stimme sagte ihm, dass er es tun sollte.
»Ich verspreche es!«, erklärte er und verließ das Zimmer und gleich darauf die Klinik.
Es wurde höchste Zeit, endlich in die Praxis zu fahren, ehe seine Patienten ihm die Freundschaft aufkündigten.
*
Dr. Daniel Nordens Befürchtung erwies sich als haltlos. Den Rest des Tages war er gut beschäftigt, und es wurde Abend, ehe er wieder Zeit hatte, an Heike Moebius zu denken. Erst als er neben Fee auf dem Sofa saß, kehrten seine Gedanken zu Marla und ihrer Mutter zurück, und er erzählte seiner Frau von dem Gespräch.
Noch war es abends zu kühl, um draußen zu sitzen. Doch die Terrassentür war offen und die Geräusche des Frühlingsabends drangen ins Wohnzimmer. Entspannt saß Felicitas neben ihrem Mann und hörte ihm zu.
»Und? Was hältst du davon?«, fragte er, nachdem er geendet hatte.
Fee wiegte den Kopf.
»Nach allem, was du so erzählst, wäre Frau Moebius in einer Spezialklinik wahrscheinlich besser aufgehoben«, gestand sie.
»Ausgeschlossen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr versprochen, genau das nicht zu tun. Und ich halte meine Versprechen.«
»Das weiß ich, mein Schatz!« Beruhigend legte Felicitas ihre Hand auf seinen Arm. »Ich hatte dabei eher an was anderes gedacht … respektive an jemand anderen.«
Daniel stieß mit seiner Frau an und trank einen Schluck Bier. Über den Rand seines Glases sah er sie an.
»An wen?«
»An Jenny. Weiß sie schon von dieser Geschichte?«
»Noch nicht. Zumindest nicht von mir«, gestand Daniel.
»Von jemand anderem sollte sie es auch besser nicht erfahren.«
Seit vielen Jahren waren die Nordens mit der Klinikchefin befreundet und wussten um ihre Ansichten. Und in diesem Fall würde sie noch nicht einmal Unrecht haben.
»Das ist schlecht«, seufzte Fee. »Du weißt so gut wie ich, dass solche Patienten nicht in die Behnisch-Klinik gehören. Das wird ganz schön Ärger geben.«
»Gleich morgen früh gehe ich zu ihr und werde ihr alles erklären«, versuchte Daniel, seine Frau zu beruhigen. Er stupste ihr mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Zufrieden?«
»Wenn es dir gelingt, Frau Moebius zu helfen …«
»Alles hängt davon ab, ob sie sich helfen lassen will. Das ist das Hauptproblem und war es wohl auch schon in der Vergangenheit.«
Bevor Felicitas antwortete, beugte sie sich vor und nahm eines der Pizzabrötchen, die Anneka am Abend gebacken hatte. Sie waren noch warm, mit Knoblauchbutter bestrichen und mit Käse gefüllt. Als sie hineinbiss, zog er herrliche Fäden.
»Vielleicht kann sie das nicht mehr selbst entscheiden«, gab sie zu bedenken.
»Du meinst, wie ich jetzt nicht mehr selbst entscheiden kann, heute Nacht neben einem Knoblauchfeld zu schlafen«, witzelte Daniel, als ihm der Duft in die Nase stieg.
»Dieses Schicksal kann ich dir leider nicht ersparen. Diese Dinger sind echt lecker«, mümmelte Felicitas mit vollem Mund. »Am besten, du isst auch zwei, drei davon. Dann riechst du mich nicht mehr.«
»Ins Schlafzimmer darf dann aber auch keiner mehr kommen«, gab Daniel zu bedenken, als er eines der Brötchen aus der Schale nahm.
»Aus dem Alter sind die Kinder ja glücklicherweise raus. Aber jetzt sag schon. Glaubst du, dass Heike Moebius noch gesund genug ist, um selbst die Verantwortung für sich zu übernehmen?«, kehrte Fee schließlich zu dem Thema zurück, das sie beide bewegte.
»Ich hoffe schon. Entscheidend ist, dass sie einsieht, krank zu sein ,und ihre Krankheit akzeptiert.