Джозеф Конрад

Gesammelte Werke von Joseph Conrad


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und sein Bett war mit einer Unmenge aufgerissener Umschläge und offener Briefe übersät. Seine Hand wühlte kraftlos unter diesen Papieren. Ich war betroffen von dem Feuer seiner Augen und der Fassung in seinen Zügen. Es war nicht so sehr Erschöpfung infolge seiner Krankheit. Er schien keine Schmerzen zu haben. Dieser Schatten blickte gesättigt und ruhig drein, als hätte er sich, für den Augenblick, an allen Gemütsbewegungen genuggetan.

      Er raschelte mit einem der Briefe, sah mir gerade ins Gesicht und sagte: ›Sehr erfreut!‹ Irgend jemand hatte ihm meinetwegen geschrieben. So fing es also wieder mit den besonderen Empfehlungen an. Die Tonstärke, die er ohne Anstrengung, fast ohne die Lippen zu bewegen, hervorbrachte, verblüffte mich. Eine Stimme! Eine Stimme! Ernst, tief, bebend, während der Mann selbst kaum fähig schien, zu flüstern. Doch hatte er immer noch genügend Kraft (wenn auch nur noch künstlich erzwungene) in sich, um uns allen den Garaus zu machen, wie ihr sofort hören sollt.

      Der Direktor tauchte schweigend in der Kabinentür auf. Ich ging sofort hinaus und zog hinter mir den Vorhang zu. Der Russe, von den Pilgern neugierig gemustert, starrte nach dem Ufer hinüber. Ich folgte der Richtung seines Blickes.

      Dunkle menschliche Gestalten waren in der Ferne zu erkennen, die deutlich vor dem dunklen Hintergrund des Waldes hinflitzten; nahe am Ufer standen zwei bronzene Gestalten auf hohe Speere gelehnt, kriegerisch und still, in bildhafter Ruhe, im Sonnenschein, unter ihrem phantastischen Kopfschmuck aus gefleckten Fellen. Und von rechts nach links, dem erleuchteten Ufer entlang, bewegte sich die wilde, prunkvolle Erscheinung einer Frau.

      Sie war in gestreifte, mit Fransen besetzte Stoffe gehüllt, ging mit gemessenen Schritten dahin und setzte die Füße stolz auf den Boden, von einem leichten Klirren und Aufblitzen barbarischer Schmuckstücke begleitet. Sie hielt den Kopf hoch; ihr Haar war helmartig aufgesteckt. Sie trug messingene Fußringe bis zum Knie, messingene Armspangen bis zum Ellbogen hinauf, einen brennroten Fleck auf jeder ihrer lohfarbenen Wangen, zahllose Glasperlenschnüre um den Hals; fremdartige Dinge, Amulette und Geschenke von Zauberern, die sie an sich hängen hatte, zitterten und glitzerten bei jedem Schritt. Sie schien den Wert mehrerer Elefantenzähne an sich zu tragen. Sie war wild und stolz, prunkvoll, mit lohenden Blicken; etwas Schicksalhaftes, Feierliches lag in ihren langsamen Schritten, und in dem Schweigen, das sich plötzlich über das ganze Land hingesenkt hatte, schien die ungeheure Wildnis, der Riesenleib des fruchtbaren, geheimnisvollen Lebens nachdenklich nach ihr zu schauen, wie nach dem Abbild der eigenen leidenschaftlichen und düsteren Seele.

      Sie kam bis hart vor den Dampfer, stand still und sah uns an. Ihr langer Schatten fiel bis über das Wasser hinaus. Ihr Gesicht zeigte den tragischen, ungestümen Ausdruck wilden Kummers und dumpfen Schmerzes, sowie das Ringen mit einem noch unfertigen Entschluß. Sie stand und sah uns reglos an, wie die Wildnis selbst, als brütete sie über undurchdringlichen Plänen. Eine volle Minute verging, dann machte sie einen Schritt vorwärts. Es gab ein leises Klingeln, ein Aufglänzen gelben Metalls, ein Rauschen gefranster Stoffe, dann blieb sie kurz stehen, als hätte ihr Mut sie verlassen. Der junge Mensch an meiner Seite knurrte. Hinter mir murmelten die Pilger. Sie sah uns alle an, als hinge ihr Leben von der Unverrückbarkeit ihres Blickes ab. Plötzlich öffnete sie ihre nackten Arme und warf sie grade über ihrem Kopf hoch, wie in dem unsinnigen Verlangen, den Himmel greifen zu können, und zugleich schossen auch die schnellen Schatten über die Erde, hüllten ringsum den Strom ein und zogen den Dampfer in ihre Umarmung. Ein ungeheures Schweigen hing über dem Ganzen.

      Sie wandte sich langsam ab, schritt weiter dem Ufer entlang und verlor sich in den Büschen zur Linken. Einmal nur glänzten aus dem Dickicht ihre Augen zu uns zurück, bevor sie endgültig verschwand. ›Hätte sie ernstlich Anstalten gemacht, an Bord zu kommen, so hätte ich wirklich versucht, sie zu erschießen‹, sagte der Flickenmann etwas aufgeregt. ›Ich mußte während der letzten zwei Wochen tagtäglich mein Leben wagen, um sie aus dem Haus heraus zu halten. Eines Tages kam sie doch hinein und schlug einen Riesenkrach, wegen der elenden Fetzen, die ich im Vorratsraum aufgeklaubt hatte, um meine Kleider damit auszubessern. Ich sah ja nicht mehr menschenmöglich aus. Es muß sich darum gedreht haben, denn sie redete eine Stunde lang wie eine Furie auf Kurtz ein und wies dann und wann auf mich. Ich verstehe den Dialekt dieses Stammes nicht. Zu meinem Glück war wohl Kurtz an diesem Tage zu krank, als daß er sich darüber aufgeregt hätte, sonst hätte es sicher Unannehmlichkeiten gegeben. Ich verstehe nicht … Nein, es ist zu viel für mich. Aber, nun – jetzt ist ja alles vorbei!‹

      In diesem Augenblick hörte ich Kurtz’ Stimme hinter dem Vorhang: ›Mich retten! – Das Elfenbein retten, meinen Sie. Erzählen Sie mir nichts. Mich retten! Was denn – ich habe Sie gerettet! Sie stören jetzt meine Pläne. Krank! Krank! Nicht so krank, wie Sie wohl gern glauben möchten. Sorgen Sie sich nicht. Ich werde meine Pläne schon noch ausführen – ich komme zurück. Ich will Ihnen zeigen, was getan werden kann. Sie, mit Ihrem kümmerlichen bißchen Wissen – Sie wollen mir in den Arm fallen; Ich komme zurück, ich …‹

      Der Direktor kam heraus. Er erwies mir die Ehre, mich unter den Arm zu fassen und beiseite zu führen. ›Er ist ganz herunter, ganz herunter‹, sagte er. Er hielt es für angebracht zu seufzen, unterließ es aber, auch im Gesicht den entsprechenden Schmerz zu zeigen. ›Wir haben alles, was wir konnten, für ihn getan – oder nicht? Aber die Tatsache ist nicht aus der Welt zu schaffen, daß Herr Kurtz der Gesellschaft mehr geschadet als genützt hat. Er hat nicht eingesehen, daß die Zeit für scharfes Vorgehen noch nicht gekommen war. Wir müssen noch vorsichtig sein. Der Distrikt ist uns nun für einige Zeit verschlossen. Bedauerlich! Alles in allem genommen wird der Handel leiden. Ich bestreite nicht, daß eine bedeutende Menge Elfenbein da ist – meistens fossil. Wir müssen es unter allen Umständen retten –, aber sehen Sie selbst, wie peinlich die Lage ist – und warum? Weil die Methode ungesund ist.‹ – ›Nennen Sie das‹, sagte ich mit einem Blick nach dem Ufer, ›ungesunde Methode?‹ – ›Ohne Zweifel‹, rief er hitzig aus. ›Sie etwa nicht?‹ – ›Mir scheint es überhaupt keine Methode‹, murmelte ich nach einer Weile. ›Sehr richtig‹, jubelte er. ›Das habe ich vorausgesehen. Zeugt von völligem Mangel an Urteilsgabe. Es ist meine Pflicht, es höheren Orts zur Kenntnis zu bringen.‹ – ›Oh‹, sagte ich; ›der Bursche – wie heißt er noch? – der Ziegelmacher, wird Ihnen schon einen lesbaren Bericht verfassen.‹ Er schien einen Augenblick lang verblüfft. Mir war es, als hätte ich nie zuvor eine so verpestete Luft geatmet, und ich wandte mich im Geiste an Kurtz um Hilfe – tatsächlich um Hilfe. ›Trotz allem bin ich der Meinung, daß Herr Kurtz ein hervorragender Mensch ist‹, sagte ich mit Nachdruck. Der Direktor fuhr auf, ließ einen kalten und schweren Blick auf mich fallen, sagte sehr ruhig: ›Das war er‹, und wandte mir den Rücken. Die Stunde meiner Bevorzugung war vorüber; ich fand mich, zusammen mit Kurtz, beiseite geworfen, als einen Anhänger von Methoden, für die die Zeit nicht reif war; ich war ungesund! Ah! Aber es war doch schon etwas, die Wahl zwischen zwei unangenehmen Zeitgenossen zu haben.

      Tatsächlich hatte ich mich an die Wildnis gehalten, nicht an Herrn Kurtz, der, wie ich bereit war zuzugeben, schon so gut wie begraben war. Und einen Augenblick schien es mir, als wäre auch ich schon in einem Massengrab voll unaussprechlicher Geheimnisse eingeschlossen. Ich fühlte ein ungeheures Gewicht mir die Brust bedrücken, witterte den Geruch der feuchten Erde, die unsichtbare Gegenwart siegreicher Verderbnis, die Dunkelheit undurchdringlicher Nacht … Der Russe klopfte mir auf die Schulter. Ich hörte ihn etwas murmeln und stammeln von ›Bruder Seemann – konnte nicht verschweigen – mein Wissen um Dinge, die Herrn Kurtz’ gutem Ruf schaden konnten.‹ Ich wartete. Für ihn war Herr Kurtz augenscheinlich noch nicht begraben; ich habe ihn sogar im Verdacht, daß für ihn Herr Kurtz zu den Unsterblichen gehörte. ›Nun‹, sagte ich schließlich, ›sprechen Sie sich aus. Zufällig bin ich Herrn Kurtz’ Freund – sozusagen!‹

      Er stellte mit ziemlicher Förmlichkeit fest, daß er, wären wir nicht ›Berufsgenossen‹ gewesen, die Sache ohne Rücksicht auf die Folgen für sich behalten hätte. Er hatte den Verdacht, daß die Weißen da ausgesprochen böse Absichten gegen ihn hegten, die … – ›Sie haben recht‹, sagte ich, in der Erinnerung an ein gewisses Gespräch, das ich belauscht hatte. ›Der Direktor meinte, sie müßten gehängt werden.‹ Diese Mitteilung ging ihm in einer Weise nahe, die mich zunächst belustigte. ›Ich sollte lieber still aus dem Wege gehen‹,