Джозеф Конрад

Gesammelte Werke von Joseph Conrad


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als der Grundstein für unsere Vertrautheit gelegt wurde, die dann lange – lange – bis zum Ende – und noch darüber hinaus anhalten sollte.

      ›Ich hatte ungeheure Pläne‹, murmelte er unentschlossen. ›Ja‹, sagte ich, ›aber wenn Sie versuchen, zu schreien, dann schlage ich Ihnen den Schädel ein mit …‹ Weder ein Stein noch ein Stock war in Reichweite. ›Ich werde Sie erwürgen‹, verbesserte ich mich. – ›Ich stand an der Schwelle großer Dinge‹, redete er weiter, mit einer Sehnsucht in der Stimme, mit einem Verlangen, das mein Blut kälter strömen ließ. ›Nun kommt dieser dumme Schuft …‹ – ›Ihr Erfolg in Europa ist für alle Fälle gesichert‹, tröstete ich ihn mit Nachdruck. Ich wollte es vermeiden, ihn zu erwürgen, versteht ihr – und tatsächlich hätte es ja wenig praktischen Zweck gehabt. Ich versuchte, den Zauber zu brechen, den schweren, stummen Zauber der Wildnis, die ihn an ihre erbarmungslose Brust ziehen zu wollen schien, indem sie vergessene, rohe Triebe und die Erinnerung an die Befriedigung ungeheuerlicher Lüste in ihm erweckte. Das allein, davon war ich überzeugt, hatte ihn an den Waldsaum hinausgetrieben, in den Busch, dem Feuerschein zu, dem Dröhnen der Trommeln und der langgezogenen Beschwörung; dies allein hatte seine gesetzlose Seele über die Grenzen erlaubter Wünsche hinausgelockt. Und seht ihr, das Grauen des Augenblicks lag nicht in der Aussicht, eins über den Kopf zu bekommen – obwohl ich mir auch dieser Gefahr genau bewußt war –, sondern darin, daß ich es mit einem Wesen zu tun hatte, dem im Namen von nichts Hohem oder Niedrigem beizukommen war. Ich mußte, gerade wie die Neger, ihn selbst anrufen, seine eigene unglaubliche und überspannte Verkommenheit. Über ihm war so wenig wie unter ihm, und ich wußte es. Er hatte sich von der Erde abgestoßen. Zum Teufel mit ihm! Er hatte die Erde selbst in Stücke geschlagen. Er war allein, und ich vor ihm wußte nicht, ob ich auf dem Boden stand oder in der Luft schwebte. Ich habe euch erzählt, was wir sagten, habe euch die Sätze wiederholt, die wir aussprachen – und doch – wozu das alles? Es waren gewöhnliche, alltägliche Worte – die vertrauten Worte, die man Tag für Tag wechselt. Doch was weiter? Hinter ihnen stand, meinem Empfinden nach wenigstens, die furchtbare Bedeutung von Worten, wie man sie in Träumen hört, von Sätzen, die man unter einem Alpdruck hinausschreit. Seele! Wenn je ein Mensch mit einer Seele gekämpft hat, dann bin ich es. Ich stritt auch nicht mit einem Irren. Ob ihr mir glaubt oder nicht – sein Verstand war völlig ungetrübt, allerdings mit furchtbarer Gewalt auf sich selbst eingestellt, aber ungetrübt; und hierin lag meine einzige Möglichkeit – außer der anderen natürlich, ihn auf dem Fleck totzuschlagen, die aber schon wegen des unvermeidlichen Lärms weniger vorteilhaft schien. Aber seine Seele war irr. Allein in der Wildnis, war sie in sich gegangen und – bei Gott, ich sage es euch – darüber verrückt geworden. Ich hatte – als Strafe für meine Sünden, nehme ich an – einen Blick hineinzutun. Keine Beredsamkeit hätte jeden Glauben an die Menschheit so gründlich erschüttern können, wie der schließliche Ausbruch seiner Offenherzigkeit. Er kämpfte auch mit sich selbst. Ich sah es, hörte es. Ich sah das Unbegreifliche einer Seele, die keine Hemmungen kannte, keinen Glauben und keine Furcht, und doch blindlings mit sich kämpfte. Ich bewahrte ziemliche Fassung; als ich ihn schließlich aber auf sein Lager gebettet hatte, trocknete ich mir die Stirn, und die Beine zitterten unter mir, als hätte ich viele Zentner auf meinem Rücken den Hügel hinaufgetragen. Und doch hatte ich ihn nur gestützt, sein knochiger Arm hatte um meinen Hals gelegen – und der ganze Mann wog nicht viel mehr als ein Kind.

      Als wir am nächsten Tag gegen Mittag abfuhren, strömte die Menge, deren Anwesenheit hinter dem Vorhang der Bäume ich die ganze Zeit über genau gefühlt hatte, wieder aus den Wäldern heraus, erfüllte die Lichtung, bedeckte den Hügel mit einer Menge nackter, atmender, bebender Bronzeleiber. Ich dampfte ein kleines Stück stromauf, schwenkte dann stromabwärts, und zweitausend Augen verfolgten das Gebaren des plätschernden, stampfenden, bösen Flußteufels, der mit seinem furchtbaren Schweif das Wasser schlug und schwarzen Rauch in die Luft blies. Vor der ersten Reihe, hart am Ufer, tanzten drei Männer, von Kopf bis Fuß mit hellroter Erde bestrichen, ruhelos auf und ab. Als wir wieder an ihnen vorbeikamen, sahen sie nach uns her, stampften mit den Füßen, nickten mit den gehörnten Köpfen, schwenkten ihre scharlachenen Leiber; sie schüttelten dem Flußteufel ein Bündel schwarzer Federn entgegen, ein räudiges Fell mit hängendem Schwanz, irgend etwas, das wie ein gedörrter Kürbis aussah; von Zeit zu Zeit brüllten sie alle zusammen unverständliche Worte, die nicht mehr menschlich klangen; und das tiefe Murmeln der Menge, das dann und wann abbrach, klang wie die Responsorien einer satanischen Litanei. Wir hatten Kurtz in das Ruderhaus getragen, weil es dort etwas luftiger war. Von dem Ruhelager aus starrte er durch den offenen Fensterladen hinaus. Es gab eine Wallung in der Masse menschlicher Leiber, und das Weib mit dem helmartigen Kopfputz und den lohfarbenen Wangen stürzte bis an die Uferkante vor. Sie streckte ihre Hände aus, schrie etwas, und die ganze wilde Menge nahm den Schrei brüllend auf, in einem knappen, schnellen, atemlosen Chor.

      ›Verstehen Sie das?‹ fragte ich.

      Er fuhr fort, mit fahrigen, verlangenden Blicken an mir vorbeizusehen, mit einem Ausdruck, aus Sehnsucht und Haß gemischt. Er antwortete nicht, aber ich sah ein Lächeln, ein unerklärliches Lächeln auf seinen farblosen Lippen erscheinen, die im Augenblick darauf krampfhaft zuckten. ›Etwa nicht?‹ sagte er langsam und keuchte, als wären ihm die Worte durch eine übernatürliche Macht genommen worden.

      Ich zog die Dampfpfeife, und zwar deswegen, weil ich sah, wie die Pilger an Deck, wie in Erwartung eines lustigen Streiches, ihre Gewehre fertigmachten. Bei dem plötzlichen Aufheulen der Dampfpfeife rann eine Bewegung furchtbaren Entsetzens durch das gedrängte Meer von Körpern. ›Nicht! nicht! Sie verjagen sie‹, rief jemand vom Deck enttäuscht herauf. Ich zog ein ums andere Mal die Leine. Sie wandten sich und rannten, sprangen, krochen, verbargen sich zitternd vor dem fliegenden Schrecken des Tons. Die drei roten Kerle hatten sich, das Gesicht gegen den Boden, am Ufer flach hingeworfen, als hätte man sie totgeschossen. Nur das barbarisch prunkvolle Weib zuckte nicht und streckte mit tragischer Gebärde die nackten Arme über den düster glitzernden Strom nach uns aus.

      Und dann begannen die Dummköpfe unten auf Deck mit ihrem kleinen Spaß, und ich konnte vor Rauch nichts mehr sehen.

      Der dunkle Strom rann schnell aus dem Herzen der Finsternis hinaus und trug uns doppelt so schnell, wie wir heraufgefahren waren, der Küste zu; und auch Kurtz’ Leben rann schnell dahin, verebbte aus seinem Herzen in das unerbittliche Meer der Zeit. Der Direktor war sehr sanftmütig, ihm blieben keine besonderen Ängste mehr, er umfaßte uns beide mit einem verständnisvollen und befriedigten Blick: die ›Geschichte‹ war so gut ausgegangen, wie er es sich nur hatte wünschen können.

      Ich sah den Zeitpunkt nahe, da ich allein von den Anhängern der ›ungesunden Methode‹ übrig sein würde. Die Pilger folgten mir mit mißgünstigen Blicken. Ich wurde sozusagen schon zu den Toten gerechnet. Es ist merkwürdig, daß ich mir diese Einreihung gefallen ließ. Diese Wahl unter Ungeheuern, die mir in dem finstern Land von elenden, gierigen Gespenstern aufgezwungen worden war.

      Kurtz sprach. Eine Stimme! Eine Stimme! Sie dröhnte tief, bis zuletzt. Sie überlebte seine Kraft, damit er unter dem Prunkgewand der Beredsamkeit die öde Nacht seines Herzens verbergen könnte. Oh, er kämpfte! Er kämpfte! Durch die Wüsten seines müden Hirnes zuckten nun schattenhafte Bilder, Bilder von Wohlstand und Ruhm, die seine unbesiegbare Gabe gehobener, edler Sprechweise immer neu erstehen ließ. ›Meine Braut, meine Stationen, meine Laufbahn, meine Ideen‹ – das waren die Ausgangspunkte für die gelegentliche Darlegung schöner Gefühle. Der Schatten des ursprünglichen Kurtz stand neben dem Krankenlager des hohläugigen Trugbildes, dem es in Kürze bevorstand, in jungfräulicher Erde bestattet zu werden. Sowohl der teuflische Hang zu den Mysterien wie auch der unirdische Haß dagegen, durch die diese Seele, von urweltlichen Erlebnissen gesättigt, gegangen war, machten einander nun ihren Platz streitig und äußerten sich in der Gier nach falschem Ruhm, erschlichener Auszeichnung, nach all den äußeren Merkmalen von Erfolg und Macht.

      Mitunter war er unangenehm kindisch. Er wollte von Königen am Bahnhof empfangen werden bei seiner Rückkehr von einem gespenstigen Nirgendwo, wo er seine großen Pläne verwirklicht haben würde. ›Wenn man ihnen zeigt, daß man wirklich brauchbar ist, dann nehmen die Loblieder kein Ende‹, pflegte er zu sagen. ›Natürlich muß man auf die Beweggründe achten und sie immer sorgfältig wählen.‹ –