zufrieden war, trat sie von dem schmalen Fußpfade auf die Heide hinüber und schlug die Richtung nach dem Walde ein. Die Blicke des jungen Mannes folgten unwillkürlich ihren Füßen, wie sie behend und sicher über die harten Stauden dahinschritten, während bei jedem Tritt die Grillen vor ihr aufflogen. So gingen sie mitten durch den Sonnenschein, der wie ein Goldnetz über den Spitzen der Kräuter hing; mitunter rieselte ein warmer Hauch über die Steppe und erregte den Duft der Blüten um sie her. Schon hörten sie dann und wann im Walde das Rufen der Buchfinken und in den Wipfeln der hohen Buchen das scheue Flattern der Waldtauben. Gabriel aber, des Reisezieles gedenkend, hub an zu singen:
Es liegen Wald und Heide
Im stillen Sonnenschein.
Wir hätten gerne Frieden;
Doch ist es nicht beschieden,
Gestritten soll es sein.
Nun gilt es zu marschieren
In festem Schritt und Tritt;
Der Krieg ist losgelassen,
Er schreiet durch die Gassen,
Er nimmt uns alle mit!
So leb denn wohl, lieb Mutter!
Die Trommel ruft ins Glied.
Mir aber in Herzensgrunde
Erklingt zu dieser Stunde
Ein deutsches Wiegenlied.
»Krieg?« sagte Regine, indem sie stehenblieb und sich nach dem Sänger umwandte. Gabriel nickte.
»Sprich nicht davon zum Großvater«, sagte sie, »er glaubt doch nicht daran.«
»Und du?« fragte Gabriel. »Was glaubst du selber denn?«
»Ich? – – Was geht uns Dirnen der Krieg an!«
Der junge Mann sagte nichts darauf, und beide setzten schweigend ihre Wanderung fort. Aus der formlosen Masse des Waldes trat nun das Laub der Buchen und Eichbäume in scharfen Umrissen hervor, und bald gingen sie im Schatten des Geheges entlang, bis sie das Ende desselben erreicht hatten. Hier, wo auch die Heide aufhörte, stand im Schein der Nachmittagssonne eine kleine Kätnerwohnung. Eine Katze, die sich auf dem niedrigen Strohdache gesonnt hatte, sprang bei ihrer Ankunft auf den Boden und strich spinnend um die halb geöffnete Haustür. Sie traten in eine schmale Vordiele, welche an den Wänden hin mit leeren Bienenkörben und mancherlei Gartengeräte ganz besetzt war. Zu Ende derselben klinkte Regine eine Tür auf, und Gabriel sah über ihre Schulter in ein kleines Zimmer; aber es war nichts darinnen, als einsamer Sonnenschein, der an den Messingknöpfen des Ofens spielte, und der Pendelschlag einer alten Schwarzwälder Wanduhr.
»Wir müssen nach dem Immenhof«, sagte das Mädchen.
Gabriel lehnte seine Büchse in eine Ecke des Zimmers; dann gingen sie in den Garten, der unmittelbar unter den Fenstern lag. – Aus der Haustür waren sie unter das Laubdach eines mächtigen Kirschbaumes getreten, der seine Zweige über das Haus breitete; ein gerader Steig zwischen schmalen Gemüsebeeten führte sie durch den Garten und aus diesem heraus auf eine kleine Wiese, von welcher ein viereckiges Plätzchen durch dichte Buchenhecken abgezäunt war. Die kleine Pforte, welche den Eingang zu demselben verschloß, war niedrig genug, daß Gabriel über sie hinweg das Innere übersehen konnte. Als sie herangetreten waren, gewahrte er gegenüber an der Laubwand, schon in halbem Schatten, ein hölzernes Bienenhäuschen, worauf die Strohkörbe neben-und in doppelter Reihe übereinanderstanden. Seitwärts auf einem Bänkchen saß ein Greis in der Bauerntracht dieser Gegend; die Sonne schien auf seine gänzlich weißen Haare. Eine Drahtmaske, ein leerer Korb und anderes Geräte lag neben ihm auf der Erde; in der Hand hielt er einen Melissenstengel, den er aufmerksam zu betrachten schien. Im schärfern Hinsehen bemerkte Gabriel, wie das Kraut von einzelnen Bienen umschwärmt wurde, während andere von den Blättern auf die Hände des alten Mannes hinüberkrochen.
»Ist das dein Großvater?« fragte er das Mädchen.
»Es ist eigentlich mein Urgroßvater;« sagte sie, »er ist schon undenkbar alt.«
Sie zog das Pförtchen zurück.
»Bist du es, Regine?« fragte der Greis.
»Ja, Großvater.«
»Die Königin hat gestern abend umsonst gesungen«, sagte er. »Nun muß ich morgen wieder auf den Posten.« Indem wandte er den Kopf und sah nach den Ankommenden hinüber. »Treten Sie nur herein, junger Herr«, sagte er. »Mit dem Schwärmen hat es heut ein Ende.«
Sie traten hierauf in den inneren Raum. Regine nahm den leeren Korb und die übrigen Geräte, deren es nun für heute nicht mehr bedurfte, und ging damit ins Haus zurück. Der Alte strich behutsam die Bienen von seiner Hand. »Sie haben Menschenverstand«, sagte er, »man soll nur die Geduld haben.« Dann legte er das Kraut vor dem nächsten Stock ins Gras und reichte Gabrieln die Hand.
Dieser mußte sich neben ihm auf die Bank setzen und der Greis erzählte ihm von seinen Bienen, wie er sie schon als Knabe gehegt, wie er später, nun schon vor über siebzig Jahren, diesen Zaun gepflanzt habe, und wie sie darauf ihm so reichen Gottessegen zugetragen, daß er seinen Hausstand damit habe einrichten können; und weiter dann von seiner Hochzeit, von Taufen und Todestagen, von seinen Kindern, von Enkeln und Enkelkindern, und die Bienen gehörten allenthalben mit dazu. – Die Worte des alten Mannes hörten sich wie ein rieselndes Wasser; ein Stilleben nach dem andern entfaltete sich aus diesen milden Reden; Gabriel hatte den Kopf in die Hand gestützt und blickte nach den Bienen, die nur noch einzeln über die grünen Wände herüberkamen. Mitunter auch hörte er jenseit des Gartens im Hause die Türen gehen, mitunter schlüpfte eine Grasmücke durch die Blätter und sah ihn mit neugierigen Augen an. So dauerte es eine Weile. Regine war wieder von außen herangetreten, sie lehnte mit dem Ellbogen über die Pforte und hörte schweigend zu; wie aus einem Rahmen schaute das frische Mädchenantlitz zwischen den Blättern hervor.
Das Gewimmel in den Lüften hatte sich allgemach beruhigt, der grüne Raum war nun fast ganz verschattet. Gabriel schaute nach dem Mädchen hinüber; der Alte erzählte langsam weiter. Manches Mal freilich schien er die Zeiten zu verwechseln, die Söhne mit den Enkeln, die Enkel mit den Enkelkindern. Dann sagte das Mädchen wohl: »Ihr irrt Euch, Großvater; es war mein Ohm, es war meine Mutter, von der Ihr sprecht.« Der Alte aber sagte dann strenge: »Ich kenne sie alle; ich bin nicht so vergessen.«
Endlich, als es kühler zu werden begann, stand er auf. »Wir wollen ins Haus gehen«, sagte er, »es wird Abend; die Tiere sind auch schon zu Quartier.« Dann, nachdem sie miteinander hinausgegangen waren, schob er sorgfältig den Riegel vor die kleine Pforte.
Als sie ins Zimmer traten, spielte nur noch oben an den Balken ein schwaches Sonnenschillern; die Levkojen auf dem Fensterbrette verbreiteten schon den stärkern Duft des Abends. Ein Tisch mit grobem Leintuch bedeckt, war zwischen die beiden Fenster gerückt; die glatten Schnitte Schwarzbrotes, die gelbe Butter, die Gläser mit frischer Milch nahmen sich sauber darauf aus. Der Alte setzte sich in den Lehnstuhl an das eine Fenster und Gabriel mußte ihm gegenüber an dem andern Platz nehmen, während Regine, die kleine Wirtschaft besorgend, aus und ein ging.
Dann aßen sie von den einfachen Speisen, und Gabriel sah von Zeit zu Zeit durch die kleinen Scheiben in den Garten hinaus. Der Alte hatte seine Brille aufgesetzt; er nahm mit der Messerspitze ein kleines Nachtgeziefer aus seiner Milch und legte es sorgfältig auf den Tisch. »Es wird noch wieder fliegen«, sagte er, »man muß der Kreatur in ihren Nöten beistehen.«
Schon mehrmals hatte Gabriel es vor dem Fenster in dem alten Kirschbaum krachen hören. Als er nun hinausblickte, sah er noch eben zwei flinke Füßchen zwischen den Zweigen verschwinden, und gleich darauf flogen einzelne Vögel krächzend über den Garten hin. Aus der Ferne, es mochte im Walde sein, tönten die einförmigen Schläge der Holzaxt.
»Es ist wohl weit bis zu den nächsten Dörfern?« sagte er. »Wohl fast eine Stunde«, erwiderte der Alte, »das Haus steht recht in Gottes Hand! – Seit die Schulmeisterin wieder gefreit hat, ist nun das Mädchen bei mir.« – Er wies mit der Hand nach einem Brettchen über der Tür, auf welchem Gabriel neben