Theodor Storm

Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band)


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      »Du auch, Fränzchen?«

      »Ach! Ich« – – Und sie ließ die Feder fallen und warf sich an seine Brust, daß sich ein leichtes Puderwölkchen über ihren Köpfen erhob. Sie strich mit der Hand über seine glänzend schwarzen Haare. »Wie eitel du bist!« sagte sie, indem sie den schönen Mann mit dem Ausdruck wohlgefälligen Stolzes betrachtete.

      Von der Stadt herüber kam der Schall einer Militärmusik. Die Augen des jungen Kapitäns leuchteten. »Das ist mein Regiment!« sagte er, und hielt das Mädchen mit beiden Armen fest.

      Sie bog sich lächelnd mit dem Oberkörper von ihm ab. »Es hilft dir aber alles nicht!«

      »Was soll denn daraus werden?«

      Sie hob sich auf den Fußspitzen zu ihm heran und sagte: »Eine Hochzeit!«

      »Aber die Firma, Fränzchen!«

      »Ich bin meines Vaters Tochter.« Und sie sah ihn mit ihren klugen Augen an.

      In diesem Augenblick drang, in scheinbar unmittelbarer Nähe, vom obern Stockwerke des Hauses der Laut einer harten Stimme zu ihnen herüber. Die Stare flogen schreiend durch den Garten; der junge Offizier, wie in unwillkürlicher Bewegung, schloß das Mädchen fester in seine Arme. »Was hast du?« sagte sie. »Die alten Herren haben die erste Partie gespielt; nun stehen sie am Fenster, und Papa macht das Wetter für die nächste Woche.«

      Er sah durch die Tür in den sonnbeschienenen Garten hinaus. »Ich habe dich«, sagte er. »Es darf nicht anders werden.«

      Sie wiegte schweigend einigemal den Kopf; dann machte sie sich los und drängte ihn gegen die Tür. »Geh nun!« sagte sie. »Ich komme bald; ich lass’ dich nicht allein.«

      Er faßte ihr zartes Gesichtchen in seine Hände und küßte sie. Dann ging er zur Tür hinaus und seitwärts den Steig hinauf; an dem Ligusterzaun entlang, der das tiefere Flußufer von dem Garten trennte. So, während seine Augen dem unaufhaltsamen Vorüberströmen des Wassers folgten, gelangte er an einen Platz, wo das marmorne Bild einer Flora inmitten sauber geschorener Buchsbaumarabesken stand. Die zwischen den Schnörkeln eingelegten Porzellanscherben und Glaskorallenschnüre leuchteten zierlich aus dem Grün hervor; ein scharfes Arom erfüllte die Luft, untermischt zuweilen mit dem Duft der Provinzrosen, die hier zu Ende des Steiges an der Gartenmauer standen. In der Ecke zwischen diesem und dem Ligusterzaun war eine Laube, tief verschattet von wucherndem Geißblatt. Der Kapitän schnallte seinen Degen ab und setzte sich auf die kleine Bank. Dann begann er mit der Spitze seines Rohrstocks einen Buchstaben um den andern in den Boden zu zeichnen, die er immer wieder, als könne ein Geheimnis durch sie verraten werden, bis auf den letzten Zug zerstörte. So trieb er es eine Zeitlang, bis seine Augen an dem Schatten einer Geißblattranke haften blieben, an deren Ende er die feinen Röhren der Blüte deutlich zu erkennen vermochte. Bald im längeren Betrachten bemerkte er daran den Schatten eines Lebendigen, der langsam an dem Stengel hinaufkroch. Er sah dem eine Weile zu; dann aber stand er auf und blickte über sich in das Gewirr der Ranken, um die gefährdete Blüte zu entdecken und das Ungeziefer herunterzuschlagen. Aber die Sonnenstrahlen brachen sich zwischen den Blättern und blendeten ihn; er mußte die Augen abwenden. – Als er sich wieder auf die Bank gesetzt hatte, sah er wie zuvor die Ranke scharf und deutlich auf dem sonnigen Boden liegen; nur zwischen den schlanken Kelchen der Schattenblüte haftete jetzt eine dunkle Masse, die von Zeit zu Zeit durch zuckende Bewegungen eine emsige tierische Tätigkeit verriet. Er wußte nicht, wie es ihn überkam, er stieß nach dem arbeitenden Klumpen mit seinem Rohrstock; aber über ihm ging der Sommerwind durch das Gezweige, und die Schatten huschten ineinander und entwischten ihm. Er wurde eifrig; er spreizte die Knie auseinander und wollte eben zu einem neuen Stoße ausholen; da trat die Spitze eines seidenen Mädchenschuhs ihm in die Sonne.

      Er blickte auf, Franziska stand vor ihm; die Feder hinterm Ohr, deren weiße Fahne wie ein Taubenfittich von dem gepuderten Köpfchen abstand. Sie lachte, eine ganze Weile; unhörbar erst, man sah es nur. Er lehnte sich zurück, und blickte sie voll Entzücken an; sie lachte so leicht, so mühelos, es lief über sie hin wie ein Windhauch über den See; so lachte niemand anders.

      »Was treibst du da!« rief sie endlich.

      »Dummes Zeug, Fränzchen; ich scharmutziere mit den Schatten.«

      »Das kannst du bleibenlassen.«

      Er wollte ihre beiden Hände fassen; sie aber, die in diesem Augenblick sich nach der Gartenmauer umgesehen, zog ein Messerchen aus ihrer Tasche und schnitt damit die aufgeblühten Rosen aus den Büschen. »Ich werde Potpourri machen auf den Abend«, sagte sie, während sie die Rosen an der Erde sorgfältig zu einem Häuflein zusammenlegte.

      Er sah geduldig zu; er wußte schon, man mußte sie gewähren lassen.

      »Und nun?« fragte er, nachdem sie das Messer wieder eingeschlagen und in den Schlitz ihrer Robe hatte gleiten lassen.

      »Nun, Konstantin? – – Beisammen sein und die Stunden schlagen hören.« – Und so geschah es. – Vor ihnen drüben in dem Zitronenbirnbaum flog der Buchfink ab und zu, und sie hörten tief im Laube das Kreischen der Nestlinge; dann wieder, ihnen selber kaum bewußt, drang das Schluchzen des unterhalb fließenden Wassers an ihr Ohr; mitunter sank eine Kaprifolienblüte zu ihren Füßen; von Viertelstunde zu Viertelstunde schlug drüben im Hause die Amsterdamer Spieluhr. Es wurde ganz stille zwischen ihnen. Aber der Drang, den geliebten Namen leibhaftig vor sich ausgesprochen zu hören, überkam den jungen Mann. – »Fränzchen!« sagte er halblaut.

      »Konstantin!«

      Und als würde er nach der langen Stille durch ihre Stimme überrascht und ihm erst jetzt das Geheimnis ihres Klanges offenbar, sagte er: »Du solltest singen, Fränzchen!«

      Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt, das taugt für Bürgermädchen nicht!«

      Er schwieg einen Augenblick; dann faßte er ihre Hand und sagte: »Sprich nicht so! auch nicht im Scherz. Du hattest ja schon Lektionen beim Kantor. Was ist es denn?«

      Sie sah ihn ernsthaft an; bald aber brach ein lustiger Glanz aus ihren Augen. »Nein«, rief sie, »schau nicht so finster! Ich will’s dir sagen – ich rechne zu gut!«

      Er lachte und sie lachte mit. »Bist du mir aber auch zu klug, Franziska?«

      »Vielleicht!« sagte sie, – und ihre Stimme erhielt plötzlich einen tiefen, herzlichen Klang, als sie es sagte. – »Du weißt noch gar nicht, wie! Als du erst hier in die Stadt versetzt warst und dann zu meinem Bruder Fritz ins Haus kamst, war ich ein kleines Mädchen, das noch zwei volle Schuljahre vor sich hatte. Nachmittags, wenn ich nach Haus gekommen, schlich ich mich öfters in den Saal, und stellte mich daneben, wenn ihr euch im Rapieren übtet. Aber du wolltest keine Notiz von mir nehmen. Einmal sogar, als deine Klinge mir in die Schürze fuhr, sagtest du: ,Setz dich ins Fenster, Kind.’ Du weißt wohl nicht, was das für böse Worte waren! – Nun aber begann ich auf allerlei Listen zu sinnen. Wenn Nachbarskinder bei mir waren, suchte ich dich durch eins der anderen Mädchen – ich selber hätt’ es nicht getan – zur Teilnahme an unsern Spielen zu veranlassen; und wenn du dann in unseren Reihen standest, –«

      »Nun, Fränzchen!«

      »Dann lief ich so oft an dir vorüber, bis du mich endlich doch an meinem weißen Kleidchen haschen mußtest.«

      Sie war dunkelrot geworden. Er legte seine Finger zwischen ihre und hielt sie fest umschlossen. Nach einer Weile sah sie schüchtern zu ihm auf, und fragte: »Hast du denn nichts gemerkt?«

      »Doch; endlich!« sagte er, »du bist ja endlich groß geworden.«

      »Und dann? – Wie kam es denn mit dir?«

      Er sah sie an, als müsse er ihr Antlitz befragen, ob er reden dürfe. »Wer weiß«, sagte er, »ob es je gekommen wäre! Aber die Frau Syndika sagte einmal – –«

      »So sprich doch, Konstantin!«

      »Nein; mir zulieb! Geh erst einmal den Steig hinauf!«

      Sie tat es. Nachdem