Rudyard 1865-1936 Kipling

Gesammelte Erzählungen von Rudyard Kipling (116 Titel in einem Band)


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mir, wie sie Vaters alten Revolver gegen den Kopf der Bestie abgefeuert hatte.«

      »Na, jedenfalls hast du Rache genommen an dem Führer der Sippschaft, wenn auch deine Nase etwas blutet von dem Rückschlag. He, Bootsleute! Bringt den Kopf ans Ufer, wir wollen ihn auskochen, um den Schädel zu bekommen. Die Haut ist zu zerfetzt und hat keinen Wert mehr. Komm jetzt schlafen. Die Nachtwache hat sich gelohnt, wie?«

      Sonderbarerweise machten Schakal und Adjutant die gleiche Bemerkung, kaum drei Minuten, nachdem die Männer fortgegangen waren.

      Lied der Welle

       Inhaltsverzeichnis

      Welle wogte an dem Strand,

       Griff nach eines Mädchens Hand,

       Das in Abendsonnengluten

       Heimwärts wandert durch die Fluten.

      Zarte Brust und schlanker Fuß,

       Wahrt euch vor des Schmeichlers Gruß:

       »Höre, Kind, mein sanft Gebot!

       Warte! Bleib! Ich bin der Tod …«

      »Drüben ruft der Liebe Glück,

       Schmachvoll wär’s, ich blieb zurück.«

       Dort im Fluß der helle Klang,

       War’s ein Fisch, der spielend sprang?

      Schlanker Fuß und zartes Herz

       Harrt der Fähre heimatwärts!

       »Hör’ auf mich!« die Welle droht,

       »Warte, Kind! Ich bin der Tod.«

      »Liebster ruft, da muß ich eilen,

       Schande träfe mich, wollt’ ich weilen.«

       Welle, Welle wogt und ringt,

       Mächtig ihr den Leib umschlingt.

      Töricht Herze, treue Hand,

       Kleiner Fuß trat nie ans Land.

       Welle wandert, Welle rot,

       Wogt hinab und trägt den Tod.

      Des Königs Ankus

       Inhaltsverzeichnis

      Das sind die vier, die nie gestillt, die nie gefüllt seit Urbeginn –

       Des Schakals Schlund, des Geiers Gier, des Affen Hand, des Menschen Sinn.

       (Dschungelspruch)

      Kaa, der große Felsenpython, hatte vielleicht zum zweihundertstenmal seit seiner Geburt die Haut gewechselt; und Mogli, der nie vergaß, daß er in jener Nacht zu »Cold Lairs« der Riesenschlange sein Leben verdankte, kam, um ihr Glück zu wünschen. Hautwechsel verursacht den Schlangen immer etwas Unbehagen, und sie bleiben launisch, bis die neue Haut wieder hell und schön glänzt. Kaa machte sich schon längst nicht mehr über Mogli lustig; er erkannte ihn als Meister der Dschungel an, wie die übrigen Dschungelvölker es taten, und trug ihm alle Neuigkeiten zu, die ein Python von seiner Größe naturgemäß erfährt. Was Kaa von der Mitteldschungel, wie sie es nannten – dem Leben, das sich am Boden und dicht darunter abspielt, dem Felsblock-, Höhlen-und Baumwurzelleben –, nicht wußte, das hätte man leicht auf die kleinste seiner Schuppen schreiben können.

      An diesem Nachmittag ruhte Mogli in einem von Kaas mächtigen Ringen und befingerte die zerschlissene, fleckige, alte Haut, die noch verschrumpft und gedreht zwischen den Felsen lag, so wie Kaa aus ihr geschlüpft war. Der Python hatte sich sehr höflich unter Moglis breite; nackte Schultern gepackt, so daß der Knabe in einem wahrhaft lebendigen Sessel ruhte.

      »Bis zu den Augenschuppen ist sie noch ganz vollständig«, sagte Mogli vor sich hin, mit der Hand spielend. »Sonderbar, die eigene Kopfhülle vor den eigenen Füßen liegen zu sehen.«

      »Nun, das ist so Sitte bei meinem Volk und hat für mich nichts Sonderbares«, sagte Kaa. »Aber Füße habe ich nicht. Fühlt sich nicht deine Haut auch zuweilen hart und alt an?«

      »Dann gehe ich und bade, Flachkopf. Aber es ist schon wahr, in der Zeit der großen Hitze wünschte ich oft, ich könnte mir die Haut schmerzlos abstreifen und hautlos herumlaufen.«

      »Ich bade und wechsle dabei doch meine Haut. Wie macht sich mein neues Kleid?«

      Mogli ließ seine Hand über die schillernden Diagonalmuster des ungeheuren Rückens gleiten. »Der Schildkrötenrücken ist härter, aber nicht so bunt«, urteilte er. »Der Frosch, mein Namensvetter, ist bunter, aber nicht so hart. Prächtig sieht sie aus, deine neue Haut, wie Tupfen im Kelch der Lilie.«

      »Sie hat Wasser nötig. Meine neue Haut bekommt ihre volle Farbe erst nach dem ersten Bade. Komm! Gehen wir schwimmen!«

      »Ich will dich tragen«, sagte Mogli und bückte sich lachend, um Kaa in der Mitte seines großen Leibes aufzuheben, da, wo die Walze am dicksten war. Ebensogut hätte ein Mann versuchen können, einen zwei Fuß starken Mastbaum aufzuheben. Kaa lag still und blähte sich vor Vergnügen. Dann begannen sie ihr regelmäßiges Abendspiel; der Knabe in seiner überschäumenden Kraft und der Python im Prunk seiner neuen Haut richteten sich gegeneinander auf zu einem Ringkampf – zu einer Probe auf Kraft und Schnelligkeit des Blicks. Natürlich hätte Kaa, wenn er gewollt hätte, ein Dutzend Mogli zerquetschen können; aber er spielte vorsichtig und gebrauchte nie mehr als ein Zehntel seiner Kraft. Seit Mogli stark genug war, derbes Zupacken zu vertragen, hatte Kaa ihn das Spiel gelehrt, und es machte seine Glieder geschmeidig, wie kaum etwas anderes. Zuweilen stand Mogli bis an den Hals umschlungen von Kaas wogenden Ringen und bemühte sich, einen Arm frei zu bekommen, um die Schlange an der Gurgel zu packen. Dann gab Kaa weich und federnd nach; und Mogli versuchte mit raschem Sprung den ungeheuren Schwanz zu fassen, der, sich rückwärtsschwingend, nach einem Fels oder Baumstumpf als Stütze tastete. Hin und her schwankten sie, Kopf gegen Kopf, jeder auf eine günstige Gelegenheit lauernd, bis die herrliche Gruppe der beiden verschlungenen Körper sich in einem Wirbel von gelben und schwarzen Ringen, zappelnden Armen und Beinen löste, um von neuem sich gegeneinander auszurichten. »Jetzt! Und jetzt, und jetzt!« zählte Kaa und machte überraschende Ausfälle mit dem Kopf, daß selbst Moglis flinke Hände die Finte nicht parieren konnten. »Sieh her, ich treffe dich, kleiner Bruder! Hier und hier! Sind deine Hände gelähmt?! – und wieder hier!«

      Das Spiel endete stets in derselben Weise: mit einem geraden, schwingenden Schlag des Kopfes der Schlange, worauf der Knabe einen Purzelbaum schoß. Mogli brachte es nie fertig, diesem blitzartigen Stoß auszuweichen; und Kaa meinte, es nütze ihm nichts, es zu versuchen, es würde ihm doch nie gelingen.

      »Gute Jagd!« rief Kaa, und wie immer wurde Mogli ein paar Dutzend Meter weit fortgeschleudert. Keuchend und lachend erhob er sich, das Gesicht voller Erde, und folgte dem weisen Kaa zu seinem Lieblingsbadeplatz. Es war ein tiefer, pechschwarzer Teich, von Felsen umsäumt, und vom Grunde ragten seltsame Baumstrünke empor. Nach Dschungelart tauchte der Knabe lautlos hinein, schwamm unter Wasser dahin, stieg wieder geräuschlos auf, warf sich auf den Rücken, die Arme unter dem Kopf gekreuzt, und sah den Mond über den Felsen aufsteigen. Kaas diamantener Kopf durchschnitt messerscharf den Tümpel, tauchte auf und ruhte dann auf Moglis Schulter. Still lagen sie und ließen wohlig das kühle Wasser ihre Glieder umspülen.

      »Herrlich ist das«, sagte Mogli schläfrig nach langem Schweigen. »Das Menschenvolk, wie ich mich entsinne, legte sich zu dieser Stunde auf harte Bretter im Innern einer Falle aus Lehm; alle reinen Winde schlossen sie sorgfältig aus, zogen stinkige Tücher über ihre Köpfe und sangen abscheulich durch die Nasen. Besser ist es, in der Dschungel zu sein.«

      Eine hurtige Kobra glitt vom Felsen hinab, trank, bot ihnen »Gute Jagd!« und eilte weiter.

      »Sssh!« züngelte Kaa, als ob ihm plötzlich etwas einfiele. »Die Dschungel