Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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auf die Jugendzeit zurückblicken“, sagte sie ausweichend. „Sie sind hoch genug gestiegen für einen einfachen Förstersohn. Ich – nun, ich habe es mir auch redlich sauer werden lassen im Leben, und es dennoch nicht weiter gebracht, als zur Gouvernante Ihrer Schwester. Ich vergesse meine Stellung sicher nicht, Herr Günther, ich wünschte nur manchmal, daß – auch Sie sie nicht vergäßen.“

      Es lag ein eigenthümlich herber Stolz in der offenen Mahnung, und jetzt begegnete ihr Blick so fest und ernst dem seinigen, als erwarte sie, er werde das Auge niederschlagen, doch dies geschah nicht. Günther erhob sich plötzlich und trat an ihre Seite.

      „Das hätten Sie mir nicht sagen sollen, Franziska!“ sagte er ruhig, „und Sie brauchen mir auch meine Erfolge nicht vorzuwerfen, ich habe es mir gleichfalls ‚sauer genug im Leben werden lassen.‘ Sie wissen, daß mich die zweite Ehe meines Vaters aus dem Hause trieb. Er fand in der neuen Gattin nicht das gehoffte Glück, und ich nicht die Mutter in ihr, auch unser geringes Vermögen ging dabei zu Grunde; als die Eltern starben, da mußte ich mit meinen ersten mühsam erworbenen Ersparnissen die verwaiste kleine Schwester erhalten. Die Welt freilich sieht nur den Emporkömmling, sieht nur die Höhe, auf welcher der ehemalige Förstersohn steht; die zwanzig Jahre, die dazwischen liegen, Jahre voll Sorge und Arbeit, voll endlosen Mühens und rastlosen Ringens, die sieht sie nicht. Mir hat das Glück wahrlich nichts mühelos in den Schooß geworfen, Schritt für Schritt habe ich mir meinen Weg zu Besitz und Reichthum erkämpfen müssen, ein halbes Menschenalter habe ich dazu gebraucht – wollen Sie es mir verargen, wenn ich da gern wieder an die Kinderzeit anknüpfe? Aber es scheint, ich darf bei Ihnen diesen Punkt nicht berühren. Sie fliehen ihn ja förmlich.“

      Franziska neigte etwas betroffen den Kopf. „Sie haben Recht, Herr Günther, aber –“

      „‚Herr Günther!‘ Das heißt mit anderen Worten, ich soll gleichfalls auf das vertrauliche ‚Franziska‘ und damit auch auf die Jugenderinnerungen verzichten?“

      „Ich glaube, es ist besser, wir thun das beiderseitig!“ sagte Franziska wie beklommen, indem sie rasch an’s Fenster trat und angelegentlich in den Garten hinausblickte.

      Ohne ein Wort zu sagen, wendete sich Günther zu seinem Platze zurück und nahm die Zeitungen wieder auf, in denen er vorhin gelesen. Es lag eine Wolke auf seiner Stirn, obgleich die ruhigen Züge sich nicht veränderten; zum Glück machte Luciens Eintritt dem nun folgenden unbehaglichen Schweigen ein Ende. Sie kam, noch ganz erhitzt vom Spiel mit den Kindern, warf mit ihrem ganzen früheren Ungestüm den Hut auf den Tisch, sich selber in einen Lehnstuhl, und vergrub den Kopf tief in die Polster desselben.

      „Nun, hast Du endlich ausgetollt?“ fragte Bernhard, von seiner Zeitung aufsehend, dabei aber glitt ein forschender Blick über das Gesicht des jungen Mädchens.

      „O, ich that es nur den Kindern zu Gefallen!“ – in Luciens Stimme lag etwas wie tiefe Müdigkeit, „und überdies wußte ich, daß Du hier eine wichtige Conferenz mit Fräulein Reich hieltest, bei der ich wahrscheinlich doch nicht geduldet worden wäre.“

      „Möglich, da Du der alleinige Gegenstand der Conferenz warst.“

      „Ich?“

      „Aber Herr Günther!“ unterbrach ihn Franziska, indem sie ihren Platz am Fenster aufgab und sich gleichfalls dem Tische näherte.

      „Ich sehe nicht ein, Fräulein Reich,“ er legte einen unmerklichen, aber ihr doch verständlichen Nachdruck auf die Anrede, „weshalb wir uns noch länger mit Vermuthungen und Befürchtungen abgeben wollen, da wir in Lucie doch jedenfalls die rechte Quelle vor uns haben. Mag sie immerhin eigensinnig sein, eine Unwahrheit ist noch nie über ihre Lippen gekommen, und zur Lüge halte ich sie unter keinen Umständen fähig. Komm zu mir, Lucie!“

      Die Augen des jungen Mädchens gingen verwundert und etwas mißtrauisch von der Erzieherin zum Bruder hinüber, aber sie folgte sofort dessen Aufforderung und kam an seine Seite.

      „Hast Du seit jenem Abende bei Baron Brankow den Grafen Rhaneck gesprochen?“

      Bernhard überstürzte Lucie ganz plötzlich und ohne alle Vorbereitung mit der Frage. Lucie erröthete tief und glühend, aber der Bruder hatte Recht, sie war zu einer Lüge nicht fähig.

      „Nur einmal, am Tage darauf!“ sagte sie leise.

      „An jenem Tage also, wo Du allein im Walde warst?“ Günther schickte einen bedeutsamen Blick zu Franziska hinüber, die sich ärgerlich abwandte, denn Luciens Benehmen stimmte freilich verzweifelt wenig zu ihrer Behauptung, der Graf sei dem jungen Mädchen gleichgültig.

      „Hat er Dir wieder von Liebe gesprochen?“ fuhr Bernhard fort.

      „Nein!“ Es war augenscheinlich, daß das Examen Lucie bereits zu peinigen begann und daß sie es nicht lange aushalten werde. „Wir sprachen überhaupt nur wenige Worte zusammen. Er bot mir seine Begleitung an.“

      „Die Du annahmst?“

      Die Gluth floß noch heißer als vorhin über Luciens Wangen. „Ich bin nicht mit ihm gegangen!“ sagte sie kurz mit fliegendem Athem, „er blieb auf der Bergwiese zurück – und nun, Bernhard, frage mich nichts mehr, Du siehst, Dein Verbot ist befolgt worden, ich antworte jetzt keine Silbe mehr!“

      Sie preßte trotzig die Lippen zusammen, Bernhard sah wohl, daß ihr kein Wort mehr zu entreißen war, und er kannte seine eigensinnige Schwester zu gut, um hier Strenge anzuwenden.

      „Es ist gut!“ sagte er ernst. „Mir genügt es, daß der Graf Dich nicht begleitete und daß Du ihn seitdem nicht wieder gesprochen hast. Letzteres ist doch nicht der Fall gewesen?“

      „Nein!“

      „Nun höre einer das Kind an!“ sagte Franziska mit unverhehltem Erstaunen. „Wie kommen Sie auf einmal zu diesem energischen Nein, Lucie? Man glaubt Ihren Bruder zu hören!“

      Das junge Mädchen wandte sich ab, aber die eben noch so energisch zusammengepreßten Lippen bebten leise, es war unverkennbar, daß es sie unendlich quälte, jene Begegnung von Anderen auch nur berührt zu sehen, und nun goß Franziska mit dem besten Willen von der Welt auch noch Oel in’s Feuer.

      „Aber weshalb wollen Sie uns durchaus nicht sagen, was zwischen Ihnen und dem Grafen –“

      „O mein Gott, so quälen Sie mich doch nicht immer und ewig mit dem Grafen!“ brach Lucie mit einer so leidenschaftlichen Heftigkeit aus, daß Franziska, ganz die Unart der Antwort übersehend, erschreckt auf sie zueilte.

      „Dacht’ ich’s doch, da sind die Thränen wieder!“ sagte sie halblaut und wollte das junge Mädchen in ihre Arme nehmen. Aber Lucie schien wenig empfänglich für diese Theilnahme, sie machte sich hastig los, die Thränen versiechten plötzlich und der Mund zwang sich zu einem Lächeln.

      „Ich weine ja gar nicht, durchaus nicht! Aber ich muß jetzt hinüber, mich umzukleiden, da Bernhard in einer halben Stunde mit mir nach C. fahren will. Er zuckt immer so spöttisch die Achseln, wenn ich nicht pünktlich bin; diesmal soll er gewiß nicht auf mich warten!“

      Sie war aus dem Zimmer, kopfschüttelnd blickte ihr Franziska nach.

      „Jetzt wirft sie sich wieder drüben auf’s Sopha und weint! Wollen Sie mir nun endlich glauben, daß das Kind unglücklich ist, ohne es sich und uns eingestehen zu wollen?“

      Günther war aufgestanden und ging gedankenvoll im Zimmer auf und nieder. „Sie haben Recht! Ich glaubte nicht, daß die Sache so ernst sei! Ihr Interesse für den Grafen scheint mehr zu sein, als eine flüchtige Regung der Eitelkeit, und doch wies sie seine Begleitung zurück! Ich hätte nie geglaubt, daß meine Warnung so tief bei ihr gehen würde.“

      „Ich auch nicht!“ sagte Franziska sehr aufrichtig. „Lucie pflegt gewöhnlich das Gegentheil von dem zu thun, was man ihr anempfiehlt.“

      „Gleichviel! Ich hätte am liebsten jede Berührung mit den Rhanecks vermieden, indessen der Sache muß ein Ende gemacht werden, ich sehe es jetzt ein! Ich werde mir schriftlich jede fernere Annäherung des Grafen an Dobra und an