Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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dies ist ja ganz und gar keine Geschäftsangelegenheit!“ rief der Director ärgerlich. „Es ist eine reine Privatsache, und ich kann mir auch denken, wie die Geschichte zusammenhängt. Hartmann wird sich der gnädigen Frau gegenüber wohl wieder in seiner bekannten liebenswürdigen Art benommen haben. Ich fand es gleich bedenklich, daß sie ihn rufen lassen wollte – der mit seiner Unbändigkeit und Rücksichtslosigkeit im Salon! Er ist im Stande gewesen, ihr in’s Gesicht zu sagen, was er mir heut Morgen auf dem Bureau sagte: er brauche keine Bezahlung und habe sein Leben nicht für Geld in die Schanze geschlagen. gnädige Frau wird empört darüber sein und der junge Herr gleichfalls, und von Herrn Berkow werde ich auch wohl Artigkeiten anzuhören bekommen, weil ich diese Audienz überhaupt zugelassen habe.“

      „Nun, es wäre das erste Mal, daß Herr Arthur über etwas empört ist, was seine junge Frau angeht,“ meinte der College gleichmüthig, während sie zusammen die Treppe hinunterstiegen. „Ich finde, daß die Gletscher-Atmosphäre, die in dieser Ehe herrscht, allmählich anfängt, sich auf die ganze Umgebung auszudehnen. Man spürt die Eisregion, sobald man nur in ihre Nähe kommt. Meinen Sie das nicht auch?“

      „Ich fand, daß Frau Berkow heut hinreißend schön aussah! Sie war allerdings etwas sehr kühl, etwas sehr vornehm, aber doch ganz hinreißend schön!“

      Der Ober-Ingenieur machte eine komische Geberde des Entsetzens.

      „Um des Himmels willen! Sie fallen ja ganz in den Styl Wilberg’s; gut, daß Sie bereits in den Fünfzigen stehen! Apropos Wilberg! Der schwimmt bereits ganz und gar in romantischer Anbetung, aber ich glaube nicht, daß diese und seine unvermeidlichen Verse höheren Ortes Eifersucht erwecken. Herr Arthur scheint so wenig geneigt, seiner schönen Frau Anbetung zu widmen, als sie, solche anzunehmen. Ich kann mir nicht helfen, es werden ja täglich Convenienzehen geschlossen, aber ich habe bei dieser immer das Gefühl, als könnte sie nicht den gewöhnlichen Verlauf nehmen, als läge unter all dem Gletschereis so etwas wie ein Vulcan verborgen, der eines schönen Tages mit Donner und Blitz losbricht und uns ein Stückchen Erdbeben und ein Stückchen Weltuntergang erleben läßt. Freilich, ‚das wäre doch etwas Poesie in dieser öden Steppe des Alltagslebens!‘ würde Wilberg sagen, vorausgesetzt nämlich, daß die Eruption ihn und seine Guitarre verschont! Aber da sind wir unten. Glück auf, Herr College!“

       Inhaltsverzeichnis

      Mehr als vier Wochen waren seit der Festlichkeit vergangen, aber Herr Berkow schien bei der „Ueberraschung seiner Kinder“, wie er seinen allerdings etwas frühen Besuch bei den Neuvermählten nannte, keineswegs die gehoffte Freude gefunden zu haben; er war bereits nach einigen Tagen wieder nach der Residenz zurückgekehrt, wo allerdings eine ganze Last von Geschäften auf ihn harrte. Erst jetzt wurde er zu einem zweiten, diesmal längeren Aufenthalte hier erwartet. In dem Leben des jungen Paares hatte sich inzwischen nichts verändert, nur daß es womöglich noch getrennter, noch kälter und aristokratischer war, als im Anfange. Man schien auf beiden Seiten gleich sehr das Ende dieser „Flitterwochen“ herbeizusehnen, die man sich nun einmal vorgenommen hatte, hier in der Landeinsamkeit zuzubringen, bis der Sommer eine größere Reise möglich machte, von der man dann im Herbste in die Residenz zurückkehren wollte, um dort den ständigen Aufenthalt zu nehmen. Der künftige Haushalt wurde bereits von Seiten Berkow’s mit verschwenderischem Aufwande eingerichtet.

      Es war nach eben vollendeter Frühschicht, als Ulrich Hartmann nach dem Hause seines Vaters zurückkehrte, aber er war diesmal genöthigt, seinen sonst raschen Schritt bedeutend zu mäßigen, denn an seiner Seite ging Herr Wilberg, der, gleichfalls vom Bureau kommend, ihn glücklich abgefangen und sich ihm angeschlossen hatte. Es war immerhin auffallend, einen der Beamten in solcher Vertraulichkeit mit dem Steiger Hartmann zu sehen, der sich sonst in jenen Kreisen nicht der geringsten Sympathie erfreute, und noch auffallender, daß diese Vertraulichkeit gerade von Herrn Wilberg ausging, wenn man nicht die alte Lehre von den Extremen, die stets einander suchen, als Erklärung gelten lassen wollte – aber hier lag doch noch etwas Anderes vor. Der Ober-Ingenieur wußte freilich nicht, was er wieder mit seinen Spöttereien angerichtet hatte, aber seine lediglich als Spott hingeworfene Aeußerung von dem interessanten Balladenstoff war leider nur auf einen allzu empfänglichen Boden gefallen. Wilberg war im vollen Ernste daran, den Stoff poetisch zu verarbeiten, nur daß er sich selbst noch im Zweifel befand, ob das zu schaffende Meisterwerk Ballade, Epos oder Drama werden würde; vorläufig stand nur eins fest, daß es die sämmtlichen Vortrefflichkeiten dieser drei Dichtungsarten in sich vereinen werde. Zum Unglück für Ulrich aber hatte dessen energische und muthvolle That den angehenden Dichter auf die Idee gebracht, daß der junge Retter sich außerordentlich zu einem tragischen Helden eigne, und er lief ihm deshalb auf Schritt und Tritt nach, um diesen höchst interessanten Charakter zu studiren. Als dieser sich nun gar noch beikommen ließ, die ihm angebotene bedeutende Belohnung mit einem Stolze auszuschlagen, der selbst den Director kleinlaut machte, da wuchs der romantische Nimbus in den Augen Wilberg’s zu einer Höhe, die nichts zu erschüttern vermochte, selbst nicht die rücksichtsloseste Grobheit von Seiten des Bewunderten und die scharfen Bemerkungen der Vorgesetzten, die diese Intimität nicht gerade gern sahen. In der That zeigte sich Ulrich sehr wenig entgegenkommend bei den „Studien“, die man an ihm machte; er versuchte oft genug ungeduldig, die ihm aufgedrungene Gesellschaft abzuschütteln, wie man etwa eine lästige Fliege abschüttelt, aber das half ihm wenig. Herr Wilberg hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, einen Helden in ihm zu sehen, allerdings einen rauhen, wilden, unbändigen Helden, und je ärger er sich in dieser Hinsicht benahm, desto entzückter war jener, sein Charakterbild sich so klar entwickeln zu sehen, desto eifriger studirte er an ihm herum. Der junge Bergmann zuckte schließlich die Achseln und ließ das Unvermeidliche über sich ergehen; endlich that die Gewohnheit das Ihrige, so daß die Beiden doch immerhin zu einer Art von Vertraulichkeit gelangten, bei der allerdings das Respectverhältniß übel fortkam.

      Der Wind blies noch ziemlich kalt von Norden her. Herr Wilberg knöpfte vorsichtig seinen Paletot zu und schlang die Enden seines dicken wollenen Shawls sorgfältig ineinander, während er seufzend sagte:

      „Sie sind doch ein glücklicher Mensch, Hartmann, mit Ihrer Riesennatur und Ihrer Riesengesundheit. Das fährt die Schachte herauf und herunter, von der Hitze in die Kälte, und steht dann wieder in dem scharfen Winde hier oben, während ich mich ängstlich vor jedem Temperaturwechsel hüten muß. Und dabei bin ich so nervös, so angegriffen, so reizbar – das kommt davon, wenn der Geist den Körper allzu sehr beherrscht! Ja, Hartmann, es kommt von dem Uebermaße der Gefühle und Gedanken!“

      „Ich glaube, Herr Wilberg, es kommt von Ihrem ewigen Theewassertrinken,“ meinte Ulrich mit einem halb mitleidigen Blicke auf den kleinen schwächlichen Beamten. „Wenn Sie Morgens und Abends immer nur das dünne heiße Zeug schlucken, kommen Sie nie zu Kräften.“

      Wilberg sah mit unendlicher Ueberlegenheit an seinem Rathgeber in die Höhe. „Das verstehen Sie nicht, Hartmann! Ich könnte unmöglich eine so derbe Kost wie Sie ertragen; meine Constitution ist nicht danach, und überdies ist der Thee ein höchst ästhetisches Getränk. Er belebt mich; er regt mich an, wenn ich das gemeine Tagewerk hinter mir habe und Abends in stillen Stunden die Muse sich mir naht –“

      „Sie meinen, wenn Sie Verse machen?“ unterbrach ihn Ulrich trocken. „Also dazu brauchen Sie den Thee? Nun, es wird auch danach!“

      Es war ein Glück, daß dem schwer beleidigten Dichter in diesem Moment gerade ein Reim durch den Kopf ging, den er festzuhalten strebte; er überhörte auf diese Weise die Ungezogenheit seines Begleiters gänzlich und wandte sich in der nächsten Minute wieder ganz freundlich zu ihm.

      „Ich habe eine Bitte an Sie, Hartmann, ein Verlangen, eine Forderung!“ sagte er, sich im regelrechten Klimax steigernd, „die Sie mir gewähren müssen um jeden Preis. Sie sind im Besitze eines Gegenstandes, der für Sie völlig werthlos ist und der mich zum Glücklichsten der Sterblichen machen würde; Sie müssen ihn mir abtreten.“

      „Was muß ich Ihnen abtreten?“ fragte Ulrich, der wie gewöhnlich, wenn Wilberg sprach, nur halb hingehört hatte, mit gleichgültiger Miene.