es ja, daß er den Haß gegen die junge Gemahlin seines Chefs erst förmlich niederkämpfen mußte, aber diesmal siegte doch seine bessere Natur. Herr Wilberg beobachtete es ganz deutlich, wie bei dem ersten Tone jener Stimme ihn die Scham über sein Benehmen durchzuckte, wie sie ihm glühend roth bis an die Stirn emporstieg und sogar seiner Haltung das Feindselige, Trotzige nahm. Jedenfalls war auch die vorhergegangene Strafpredigt nicht ohne Wirkung geblieben, wie hätte sonst dieser eisenköpfige Hartmann, dem nichts mit Güte oder Gewalt abzuzwingen war, sich auf eine bloße Frage hin in stummem Gehorsam gefügt, wie jetzt, wo er in’s Haus ging und bereits nach Verlauf von einigen Minuten mit dem Tuche in der Hand wieder zurückkam.
„Hier, gnädige Frau.“
Eugenie steckte das Tuch zu sich, auf das sie nicht den geringsten Werth zu legen schien.
„Und nun, Herr Wilberg, da ich Sie hier finde, können Sie mir wohl die beste Auskunft geben. Ich habe zum ersten Male den Weg hier entlang genommen und finde die Brücke, die zum Parke führt, durch ein Gitter geschlossen. Ist es nicht zu öffnen, und muß ich den Umweg zurück durch die ganzen Werke nehmen?“
Sie wies auf die nur wenige Schritte entfernte Brücke, die über einen kleinen Graben führte, der den Park nach dieser Seite hin abschloß, und die in der That durch ein Eisengitter gesperrt war. Herr Wilberg befand sich in Verzweiflung. Das Gitter war wirklich verschlossen; man wollte den Park damit für die Arbeiter, deren Wohnungen zum Theil auf dieser Seite lagen, unzugänglich machen, aber der Gärtner hatte den Schlüssel, Willberg wollte eilen, fliegen, um ihn herbeizuschaffen, wenn die gnädige Frau sich entschließen könnte, so lange zu warten, bis –
„O nicht doch!“ unterbrach ihn Eugenie, ein wenig ungeduldig. „Dann hätten Sie ja zwei Mal den Umweg zu machen, den ich vermeiden will, und das Warten möchte doch etwas zu lange dauern. Ich ziehe es vor, umzukehren.“
Wilberg wollte das nicht zugeben, er bat und beschwor die gnädige Frau, ihm doch das Glück dieses Ritterdienstes zu gönnen, als er mitten in seiner wohlgesetzten Rede durch ein lautes Krachen unterbrochen wurde.
Ulrich hatte sich inzwischen dem Gitter genähert und es mit beiden Händen erfaßt. Er schüttelte die Eisenstangen jetzt mit solcher Gewalt, daß Schloß und Riegel ächzten. Als sie dennoch nicht sofort nachgaben, flog ein zorniges Aufleuchten über die Züge des jungen Arbeiters; ein energischer Fußtritt brach den letzten Widerstand des allerdings nicht mehr ganz neuen Verschlusses – die Thür sprang auf.
„Um Gotteswillen, Hartmann, was machen Sie denn!“ rief Wilberg erschrocken. „Sie verderben ja das ganze Schloß! Was wird Herr Berkow sagen!“
Ulrich gab ihm keine Antwort. Er stieß die Thür vollends auf und wandte sich dann ruhig zurück.
„Der Weg ist offen, gnädige Frau.“
Eugenie sah nicht halb so bestürzt aus wie der junge Beamte, als sie den so ungestüm geöffneten Weg betrat; sie lächelte sogar.
„Ich danke Ihnen, Hartmann, und was das verdorbene Schloß betrifft, Herr Wilberg, so machen Sie sich keine Sorge deswegen, ich übernehme die Verantwortung. Aber da die Thür einmal offen ist – wollen Sie nicht auch den kürzeren Weg durch den Park nehmen?“
Welch ein Anerbieten! Herr Wilberg eilte nicht, er stürzte, er flog an die Seite der gnädigen Frau und zermarterte in der Eile sein Gehirn, um nun auch sogleich auf ein möglichst interessantes und geistreiches Gesprächsthema zu stürzen, aber er war gezwungen, zunächst ein sehr prosaisches zu beginnen, da Eugenie den Kopf zurückwandte, wieder mit jenem ernsten, nachsinnenden Blick, der schon einmal vergebens versucht hatte, das widerspruchsvolle und ihr völlig räthselhafte Wesen jenes Mannes zu durchdringen.
„Eine wahre Berserkerkraft hat dieser Hartmann und eine Berserkerwuth dazu! Zertrümmert er da ohne Weiteres Schloß und Riegel, nur –“
„Nur um mir einen bequemeren Weg zu bahnen,“ ergänzte Eugenie mit leiser Ironie auf ihren Begleiter blickend. „Nicht wahr, Herr Wilberg, einer so gewaltsamen Höflichkeit hätten Sie sich nicht schuldig gemacht?“
Herr Wilberg protestirte eifrig gegen eine solche Zumuthung. Wie die gnädige Frau denn glauben könne, er werde sich so ungestüm an fremdem Eigenthum vergreifen, noch dazu in ihrer Gegenwart, nimmermehr! Aber die gnädige Frau hörte dieser Versicherung mit auffallender Zerstreutheit zu, und es gelang ihm während des ganzen Weges nicht, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, so viele Mühe er sich auch damit gab.
Hartmann hatte das Gitter wieder angelehnt und war langsam nach dem Hause zurückgekehrt. Vor der Thür desselben aber blieb er stehen und blickte unverwandt nach dem Parke hinüber, in dessen Alleen die beiden Gestalten soeben verschwanden. –
„Ich dächte, Ulrich, wenn Du einmal Nein gesagt hättest, so bliebe es dabei!“
Der junge Mann wandte sich hastig um und ein finstrer Blick glitt über Martha hin, die an seiner Seite stand.
„Was geht das Dich an?“ fragte er unfreundlich.
„Mich? Nichts! Schau nicht so finster d’rein, Ulrich; Du bist mir böse, weil ich die gnädige Frau an das Tuch erinnert habe, aber es gehört ihr doch nun einmal, und was willst Du denn auch mit dem zarten weißen Dinge anfangen? Du kannst es ja nicht einmal anrühren, wenn Du von der Arbeit kommst, – angesehen hast Du es freilich genug.“
Es lag ein leiser, aber doch unverkennbarer Hohn in der Stimme des Mädchens, und auch Ulrich mußte ihn herausfühlen, denn er fuhr heftig auf.
Laß’ mich in Ruhe mit Deinem Spotten und Deinem Spioniren! Ich sage Dir, Martha –“
„Nun, nun, was giebt es denn da draußen? Zankt Ihr Euch etwa?“ tönte die Stimme des Schichtmeisters dazwischen, der jetzt gleichfalls in die Thür trat.
Ulrich kehrte sich grollend ab, aber er schien keine Lust zu haben, den Streit fortzusetzen, während Martha, ohne dem Oheim eine Antwort zu geben, an ihm vorüber in’s Haus eilte.
„Was hat denn das Mädchen?“ fragte der Schichtmeister, verwundert ihr nachsehend, „und was war denn das zwischen Euch beiden? Hast Du sie wieder einmal rauh angelassen?“
Ulrich warf sich mit einer trotzigen Bewegung auf die Bank nieder.
„Ich lasse mir nicht vorhalten, was ich thun und lassen soll, am wenigsten von der Martha!“
„Nun, die thut Dir doch gewiß nichts zu wehe!“ meinte der Vater ruhig.
„Mir nicht? Warum gerade mir?“
Der Schichtmeister sah seinen Sohn an und zuckte die Achseln. „Höre Junge, hast Du keine Augen im Kopfe, oder willst Du es nicht wissen? Freilich, Du hast Dich ja niemals um die Frauenzimmer gekümmert, und da ist’s am Ende kein Wunder, wenn Du sie ganz und gar nicht begreifst.“
„Was soll ich denn begreifen?“ fragte der junge Mann aufmerksam werdend.
Der Vater nahm die Pfeife aus dem Munde und blies eine Rauchwolke vor sich hin. „Daß Dich die Martha gern hat!“ erwiderte er lakonisch.
„Die Martha? Mich?“
„Ich glaube wahrhaftig, er hat es noch nicht gewußt!“ sagte der Schichtmeister mit aufrichtiger Verwunderung. „So etwas muß ihm erst sein alter Vater sagen! Aber das kommt davon, wenn man die Nase immer in Dinge steckt, die einem nur den Kopf wirr machen! Weiß Gott, Ulrich, es wäre Zeit, daß Du endlich einmal all den anderen Geschichten den Abschied gäbest und eine ordentliche Frau nähmest, die Dich auf bessere Gedanken bringt.“
Ulrich blickte nach dem Parke hinüber und seine Augen nahmen wieder den starren, düsteren Ausdruck an, wie vorhin.
„Du hast Recht, Vater,“ sagte er langsam, „es wäre Zeit!“
Der Alte ließ vor Ueberraschung beinahe die Pfeife fallen. „Junge, das ist das erste gescheite Wort, was ich von Dir höre! Bist Du endlich zu Verstande gekommen? Ja, freilich ist es Zeit! Du kannst längst eine Frau ernähren und Du findest weit und breit keine hübschere, bravere, gescheitere,