Wir erkletterten den Stanagerlsteig. IV. Schwierigkeitsgrad. Da hatte ich schon ein neues Bergsteigeridol gefunden ... das war Schwanda! Wie der ohne Müh und Plag elegant die Felsen hinaufstieg – so wollte ich auch einmal klettern können!
Bei unseren Kletterfahrten mit der Bergsteigerschule fand ich damals in einem Steigbuch dieses Sprüchl:
Jungsein ist schön.
Klettern ist schön.
Aber Jungsein und Klettern
– das ist ein Stück vom Himmel!
Das hab auch ich damals empfunden, aber dann auch noch später, als ich immer älter und älter geworden bin. Es gab natürlich auch noch viel anderes, was mein Gemüt bewegt hatte – aber die meisten unvergesslichen Erinnerungen hinterließ doch das Klettern mit allem Drum und Dran. Darum habe ich auch dieses Sprüchl für den Titel dieses Buches verwendet.
Die »heroische Zeit des Alpinismus« wird die Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg genannt. Man kämpfte mit dem Fels, eroberte Gipfel, bezwang den Berg. Und man sang mit grimmigem Nordwandgesicht Lieder wie dieses:
Was staut sich dort auf dem Perron?
Was soll der Spott? Was soll der Hohn?
Was soll die Leichenbahre dort
An dem uns allen wohlbekannten Ort?
Macht Platz, was soll das müßig’ Schaun!
Wie soll ich meinen Augen traun?
Denn auf der Bahre zugedeckt,
Liegt einer von den unsern hingestreckt!
In unsrer Mitt’ war er die schönste Zier,
Drum stehn wir an der Bahre hier.
Er stürzte ab im Morgenrot,
Am Abend war er starr und tot!
Drum Brüder auf zum letzten Ort!
Er starb für unsern edlen Sport.
An seinem Grabe trauern wir
Als Kletterbrüdergarde hier!
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte eine andere Zeit
begonnen. Wir Jungen sangen:
»Ist die Wochen endlich aus
zieh’n wir auf den Peilstein raus.
Dort gibt’s immer a Gaudee ...«
1952 ist mein erstes Buch »Kleiner Mensch auf großen Bergen« erschienen. Ich hab’s geschrieben, weil ich allen Leuten erzählen wollte, wie schön und abenteuerlich das Klettern ist. Vorher hatte ich das Manuskript Fritz Kasparek zum Lesen gegeben, der es spontan an den Verlag schickte, in dem auch sein Buch »Vom Peilstein zur Eigernordwand« erschienen ist. Mit einem Vorwort von ihm hatte dann dieser Verlag auch mein Buch herausgebracht.
Den Leuten hat es gefallen. Ich habe dann noch einige solcher Berggschichtlbücher geschrieben.
Meine beste Zeit als Kletterer hatte ich um 1950. Und in diesem Jahr wollte ich eine Woche von meinen vier Wochen Urlaub etwas anderes machen als nur klettern ... ich wollte einmal auch mein Hirn ein bisserl spazieren führen. Für Romreisen gab es in dem Heiligen Jahr 1950 günstige Angebote – also fuhren wir nach Rom. Vorher hatten wir in den Dolomiten noch eine herrliche Entdeckung gemacht: die 1600 Meter hohe Agnerkante in der Palagruppe. Sie war damals im deutschsprachigen Raum unbekannt, heute gilt sie für manche als die schönste Kante der Alpen.
In Rom sind wir erstmals den Etruskern begegnet. Sie haben uns so fasziniert, dass wir dann nicht nur viele Reisen in das Land der Etrusker unternommen haben – in der Etruskerstadt Tarquinia haben mein Fritzerl und ich auch geheiratet. Aus diesen Reisen entstanden dann: »Hochzeitsreise zu Etruskergräbern«, »Land der Etrusker« (der erste deutschsprachige Führer zu Etruskerstätten zwischen dem versunkenen Spina an der Pomündung und Rom), »Romulus. Auf den Spuren der Gründer Roms«. »Alpenwanderungen in die Vorzeit. Zu Drachenhöhlen und Druidensteinen, Felsbildern und Römerstraßen« erschien 1965. Ich hatte mich immer geärgert, wenn ich in der Alpenliteratur lesen musste, dass die Alpen im Altertum ein wüstes Land waren. Ich wollte beweisen, dass sie auch schon in der Vorzeit ein Lebensraum waren.
Ich arbeitete damals im Kunstverlag Schroll und mein Chef war an dem Thema interessiert. Innerhalb von zwei Jahren unternahmen wir zwischen Mittelmeer und Donau drei Kundfahrten, um Material für das Buch einzuholen. Es waren erlebnisreiche Wanderungen in die Vergangenheit des Alpenraumes.
Nach den »Alpenwanderungen« begann ich in Österreich alte Kultrelikte zu suchen. »Herrgottsitz und Teufelsbett« erschien 1979, weitere solcher »kulturhistorischen Wanderungen« erschienen in den folgenden Jahren. Bis heute sind 54 Bücher von mir erschienen, einige davon kamen in Übersetzungen in Amerika, England, Frankreich, Italien und Ungarn heraus.
Ich habe ein Leben mit Büchern gelebt. 1937 bin ich als Verlagslehrling im Geographischen Verlag Ed. Hölzel eingetreten. Nach dem Krieg war ich Redakteur bei der Zeitschrift »Wiener Bühne«, dann Hersteller im Kunstverlag Schroll, zuletzt Hersteller und Zeitschriftenredakteur im Österreichischen Bundesverlag. Dem Hersteller eines Verlages wird ein Manuskript in die Hand gedrückt und er gestaltet und betreut es zu einem fixfertigen Buch.
Im Verlag habe ich Bücher hergestellt, zuhause habe ich Bücher geschrieben. In Stress kam ich nie. Bücher herstellen und Bücher schreiben war für mich ein Vergnügen.
Als Sechzigjähriger ging ich in den Ruhestand. Das feierten meine Frau Fritzerl und ich mit einer Wanderung von der Endstation der Wiener Straßenbahn in Rodaun durch die Alpen bis ans Mittelmeer. Am 1. Mai (Tag der Arbeit) 1984 gingen wir los, am 6. Oktober kamen wir in Nizza an. Unter den Riesenkakteen im »Jardin Exotique« von Monaco hatten wir festgestellt: »Es ist eigentlich erstaunlich, wohin man von Rodaun aus zu Fuß überall hinkommt!«
»Ein Stück vom Himmel« war Klettern für mich von Jugend an. Matterhorn und Montblanc waren großartige Bergerlebnisse, aber ein Trichterweg in der Göll-Westwand, ein »Schiefer Tod« am Murfreidturm oder die »Menschenfalle« in der Grohmannspitze-Südwand faszinierten mich mehr.
Ich las viel Alpinliteratur und fand dabei so viele lockende Kletterziele in den Alpen, dass mich die Weltberge überhaupt nicht interessierten.
Natürlich war ich auch ein Kind meiner Zeit – der »alpinen Eisenzeit« – in der das Hinaufschlossern mit Doppelseil und Trittschlingen über viele Überhänge als das »Letzte im Fels« galt. Auch Bohrhaken hatte ich gesetzt bei Erstbegehungen an der Rax. Und das noch mit primitiven Steinbohrern, mit denen das Bohren eines eineinhalb Zentimeter tiefen Hakenlochs gute eineinhalb Stunden dauerte. Aber bald erkannte ich, dass diese Art des Kletterns nur eine Sackgasse ist.
An den kleinen Felsen am Stadtrand von Wien wurde schon um 1880 geklettert. In der Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese Felsen für uns mehr als nur »Kletterschulen«. Wenn wir ein besonders schweres Fünfmeterwandl derpackt hatten, freute uns das ebenso wie das Durchklettern einer Fünfhundertmeterwand. Wir kletterten barfuß, und anstatt ins Magnesiumsackl griffen wir an heißen Tagen vor dem Klettern in den Sand.
Heute ist es stiller geworden um diese Felsen. Heute werden von vielen lieber Hallen aufgesucht, wo an Kunststoffwänden mit Kunststoffgriffen das ganze Jahr – auch wenn es regnet oder schneit – geklettert werden kann.
Ich hab’s auch probiert. Aber das war nix! Ich war es gewohnt, Griffe und Tritte selber zu suchen. Das war kein Klettern, sondern nur ein Turnen. Und Turnen – »Eins, zwei, drei ... Hampelmann hüpft!« – habe ich schon in der Schule überhaupt nicht wollen.
Heute ist das Mäuerl für mich öfter Salz und Pfeffer bei meinen Wienerwaldwanderungen. Denn Fels ist Fels und wer einmal ein Kletterer war, den juckt es manchmal noch immer in den Fingern ...
Das Mäuerl ist eine aus großen Steinquadern errichtete Böschungsmauer an der Wiener Höhenstraße zwischen Cobenzl und Kahlenberg. Am frühen Vormittag fahren auf der Straße noch wenige Autos und das Quergangsklettern