34
Prolog
Es war ein bedeutsamer Tag in Camelot. Nicht so bedeutsam wie der Tag, an dem ein zeitreisender Computerfreak namens Philip erschienen war, sich als Zauberer vorstellte und Fähigkeiten demonstrierte, bei denen es sich tatsächlich um wahrhaftige Magie zu handeln schien. Nicht so bedeutsam wie der Tag, an dem ein anderer Zauberer, der sich selbst Merlin nannte, den König dazu überredet hatte, seinen ältesten Sohn fortan in Arthur und die Stadt London in Camelot umzubenennen. Und ganz sicher nicht so bedeutsam wie der Tag, an dem die Bauarbeiten an der ungeheuer riesigen, vergoldeten Burg im Herzen Camelots abgeschlossen worden waren.
Möglich machte all diese Dinge eine Computerdatei, auf die Philip, Jimmy, Merlin – oder, wie er ursprünglich hieß und eines Tages auch wieder heißen würde –, und all die anderen Zauberer gestoßen waren. Die Datei war der Beweis dafür, dass die Realität lediglich ein Konstrukt war, das von einem Computerprogramm gesteuert wurde. Veränderte man die Datei, so konnte man damit die Realität selbst verändern, durch die Zeit reisen und sonstige Dinge hervorbringen, die, kurz gesagt, magisch waren. Dinge wie die Initiation eines neuen Zauberers, jenes bedeutsame Ereignis, welches an diesem Tag geplant war.
Niemand wusste, dass dies zugleich der Tag sein würde, welcher den Zauberern von Camelot zum ersten Mal einen Grund dafür liefern würde, einen Zauberer zu verstoßen und ihn zurück in seine eigene Zeit zu verbannen. Es war, wie wir bereits festgestellt haben, ein bedeutsamer Tag.
Alle Zauberer Europas waren in der großen Festhalle von Burg Camelot versammelt. Sie labten sich an gutem Essen, welches nicht gut für sie war, genossen sehr gute Drinks, welche überhaupt nicht gut für sie waren und unterhielten sich auch ansonsten sehr gut, weil eine Initiationszeremonie nun einmal genau so ablief. Außerdem sorgten die Kräfte, die ihnen die Computerdatei verlieh, dafür, dass das Essen und die Drinks ihnen nicht wirklich etwas anhaben konnten, weswegen sie die Party umso mehr genossen.
Etwa 20 Zauberer saßen um eine Tafel, die jeden halbwegs großen Raum ausgefüllt hätte, sich aber in der Weite der enormen Halle fast verlor. Die Halle bestand, soweit das Auge reichte, aus poliertem Marmor und Gold. Die Zauberer waren alle in wallende Gewänder gekleidet und trugen spitze Hüte. Die meisten hatten ihre Stäbe an den Tisch gelehnt oder hinter sich auf dem Boden abgelegt. Einige besaßen kurze, handliche Zauberstäbe. Schließlich gibt es in jeder Gruppe ein paar Unangepasste. Egal, welche persönliche Vorliebe sie für magisches Zubehör hatten, alle beendeten gerade ihr Mahl.
»Also Gary, wie hat es dir gefallen, einen Lehrling zu haben?«, fragte Philip, bevor er einen Schluck Bier aus seinem großen Steinkrug nahm.
Gary fuhr zusammen. Witzigerweise hatten die meisten Leute, die Gary kannten, so reagiert, als ihnen zu Ohren gekommen war, dass er an der Reihe war, einen Lehrling auszubilden.
»Ich weiß nicht«, antwortete Gary. »Es war ganz cool, schätze ich.«
Es folgte ein Schweigen, das als Aufforderung an seine Zuhörer gedacht war, ihn nach weiteren Einzelheiten zu fragen. Philip schwieg ebenfalls, um Gary zu ermuntern, er möge weiterzählen.
»Wir, ähm, wir sind nicht so richtig warm miteinander geworden«, fuhr Gary kopfschüttelnd fort. Er war ein großgewachsener, spindeldürrer Mann mit schlaff herabhängendem, schwarzem Haar, in einer schlaff herabhängenden, schwarzen Robe. Wenn er seinen Kopf schüttelte, flogen seine Haarspitzen umher wie die Quasten am Kleid eines Showgirls.
Tyler fragte: »Was meinst du damit? Hattet ihr Streit?«
Tyler und Jeff waren die anderen beiden Mitglieder der Abordnung aus der kleinen Stadt Leadchurch. Tyler war einer der wenigen Schwarzen, die jemals auf die Datei gestoßen waren und sie dazu genutzt hatten ins mittelalterliche England zu reisen, anstatt zum Beispiel ins antike Marokko. Jeff war ein zierlich gebauter Mann mit schwarzem Haar und genialem Verstand. Vor der Entdeckung der Datei war er als Ingenieur erfolgreich gewesen. Jeff und Tyler waren gute Freunde von Philip und noch bessere von Gary. Sie hingen für gewöhnlich ziemlich viel mit Gary ab, weil man Spaß mit ihm haben konnte. Sein Zuhause war eine Art Partyhaus oder besser gesagt eine Partyhöhle in Form eines Totenschädels. Sie hatten ganz bewusst ein wenig Abstand von ihm genommen, nachdem Gary sein Lehrling zugeteilt worden war.
»Wir haben uns nicht gestritten. Das ist es nicht«, erwiderte Gary. Er sah zum anderen Ende der Tafel hinüber. Der Lehrling, der heute in ihren Kreis aufgenommen wurde, saß am Kopf der Tafel. Wie es der Brauch verlangt, wurde er vom Vorsitzenden der Zauberer, Merlin, einer leichten Gehirnwäsche unterzogen. Die Zauberer aus Leadchurch saßen am anderen Ende der Festtafel, wo Philip regelmäßig seine Unterhaltung unterbrach, um Merlin einen finsteren Blick zuzuwerfen, sein Gesicht eine Fratze des Abscheus und der Verachtung. Auch dies entsprach ihren Bräuchen.
»Es ist nur…«, mühte sich Gary, »sein und mein Sinn für Humor haben nicht so richtig zusammengepasst.«
Jeff sagte: »Er fand dich also nicht witzig. Keine große Sache. Geht mir genauso. Meistens.«
»Nein«, widersprach Gary, »»es geht nicht darum, dass er mich nicht witzig fand, sondern dass er an den falschen Stellen meinte, ich sei witzig. Immer wenn ich etwas gesagt oder getan habe, das ich witzig fand, war er einfach nur verwirrt. Aber hin und wieder habe ich etwas Ernsthaftes gesagt und darüber hat er dann gelacht.«
»Zum Beispiel?«, fragte Philip.
»Als ich ihm erzählt habe, wir seien in der Lage dafür zu sorgen, weder Luft noch Wasser zu brauchen, hätten aber keine Möglichkeit gefunden, das Verlangen danach abzustellen, da meinte er, das sei das Witzigste, das er jemals gehört habe. Ich entgegnete, das sei furchtbar und er hat gesagt: ›Dann machen wir das nicht bei uns selbst. Heben wir uns das einfach für jemand anders auf.‹ Er hat sogar ein kurzes Makro geschrieben, nur um zu beweisen, dass es geht. Es macht dich außerdem unsichtbar. Er nennt es vergeistern.«
»Ich kann verstehen, dass dir das Unbehagen bereitet«, bestätigte Philip.
Gary sagte: »Ja, nicht wahr?«
»Na, ich würde mir mal keine Sorgen machen“, mischte sich Tyler ein. »Es würde nicht funktionieren.«
Philip blickte zum Kopf der Tafel. Jimmy – alle nannten ihn Merlin, aber für Philip würde er immer Jimmy oder, wenn er ganz ehrlich sein sollte, dieser Schwachkopf Jimmy sein – hatte sich breit lächelnd zum Lehrling hinübergebeugt und kichernd etwas gesagt. Philip war überzeugt, dass es nicht im Geringsten witzig war. Der Lehrling hatte dunkelbraunes Haar und ein Gesicht, das zum überwiegenden Teil von seiner Nase eingenommen wurde. Er trug eine nagelneue schokoladenbraune Robe. Sein Stab, ein lackiertes Stück Holz, so gerade wie ein Zeltpflock, lehnte am Tisch. Die Spitze war gekrönt von etwas, das aussah wie ein roter Pilz mit weißgepunkteter Kappe. Der Lehrling schaute teilnahmslos drein, als Jimmy, dieser Schwachkopf, lauthals loslachte und dem Lehrling auf die Schulter klopfte.
»Wie hieß er noch gleich?«, fragte Philip.
»Todd«, antwortete Gary.
»Wo kommt er her?«
»Phoenix, Arizona. 2005.«
»Wo hat er die Datei gefunden?«, hakte Tyler nach.
»Hat er nie erzählt«, erwiderte Gary achselzuckend.
»Was soll das heißen ›hat er nie erzählt‹?«, wollte Jeff wissen.
»Wenn ich sage, ›hat er nie erzählt‹, meine ich damit, dass er, Todd, es nie erzählt hat. Noch einfacher kann ich es nicht ausdrücken.«
»Ja«, sagte Jeff und verdrehte die Augen. »Das ist mir klar, aber, hast du ihn nicht gefragt?