Arthur Schopenhauer

Aphorismen zur Lebensweisheit


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Armuth Geborenen hingegen erscheint diese als der natürliche Zustand; der ihm danach irgendwie zugefallene Reichthum aber als etwas Ueberflüssiges, bloß tauglich zum Genießen und Verprassen; indem man, wann er wieder fort ist, sich, so gut wie vorher, ohne ihn behilft und noch eine Sorge los ist. Dann geht es denn wie Shakespeare sagt:

      The adage must be verified,

      That beggars mounted run their horse to death.

      (Das Sprichwort muß bewährt werden, daß der zu Pferde gesetzte Bettler sein Thier zu Tode jagt.)

Henry VI. P. 3. A. 1.

      Dazu kommt denn freilich noch, daß solche Leute ein festes und übergroßes Zutrauen theils zum Schicksal, theils zu den eigenen Mitteln, die ihnen schon aus Noth und Armuth herausgeholfen haben, nicht sowohl im Kopf, als im Herzen tragen und daher die Untiefen derselben nicht, wie es wohl den reich Geborenen begegnet, für bodenlos halten, sondern denken, daß man, auf den Boden stoßend, wieder in die Höhe gehoben wird. – Aus dieser menschlichen Eigenthümlichkeit ist es auch zu erklären, daß Frauen, welche arme Mädchen waren, sehr oft anspruchsvoller und verschwenderischer sind, als die, welche eine reiche Aussteuer zubrachten; indem meistentheils die reichen Mädchen nicht bloß Vermögen mitbringen, sondern auch mehr Eifer, ja, angeerbten Trieb zur Erhaltung desselben, als arme. Wer inzwischen das Gegentheil behaupten will findet eine Auktorität für sich am Ariosto in dessen erster Satire; hingegen stimmt Dr. Johnson meiner Meinung bei: A woman of fortune being used to the handling of money, spends it judiciously: but a woman who gets the command of money for the first time upon her marriage, has such a gust in spending it, that she throws it away with great profusion. (S. Boswell Life of Johnson, ann. 1776, aetat 67, in der Ausgabe von 1821 in 5 Bänden. Vol. III, p. 199.) Jedenfalls aber möchte ich Dem, der ein armes Mädchen heirathet, rathen, sie nicht das Kapital, sondern eine bloße Rente erben zu lassen, besonders aber dafür zu sorgen, daß das Vermögen der Kinder nicht in ihre Hände geräth.

      Ich glaube keineswegs etwas meiner Feder Unwürdiges zu thun, indem ich hier die Sorge für Erhaltung des erworbenen und des ererbten Vermögens anempfehle. Denn von Hause aus so viel zu besitzen, daß man, wäre es auch nur für seine Person und ohne Familie, in wahrer Unabhängigkeit, d. h. ohne zu arbeiten, bequem leben kann, ist ein unschätzbarer Vorzug: denn es ist die Exemtion und die Immunität von der dem menschlichen Leben anhängenden Bedürftigkeit und Plage, also die Emancipation vom allgemeinen Frohndienst, diesem naturgemäßen Loose des Erdensohns. Nur unter dieser Begünstigung des Schicksals ist man als ein wahrer Freier geboren: denn nur so ist man eigentlich sui juris, Herr seiner Zeit und seiner Kräfte, und darf jeden Morgen sagen: der Tag ist mein. Auch ist ebendeshalb zwischen Dem, der tausend, und Dem der hundert Tausend Thaler Renten hat, der Unterschied unendlich kleiner, als zwischen Ersterem und Dem, der nichts hat. Seinen höchsten Werth aber erlangt das angeborene Vermögen, wenn es Dem zugefallen ist, der mit geistigen Kräften höherer Art ausgestattet, Bestrebungen verfolgt, die sich mit dem Erwerbe nicht wohl vertragen: denn alsdann ist er vom Schicksal doppelt dotirt und kann jetzt seinem Genius leben: der Menschheit aber wird er seine Schuld dadurch hundertfach abtragen, daß er leistet was kein Anderer konnte und etwas hervorbringt, das ihrer Gesammtheit zu Gute kommt, wohl auch gar ihr zur Ehre gereicht. Ein Anderer nun wieder wird, in so bevorzugter Lage, sich durch philanthropische Bestrebungen um die Menschheit verdient machen. Wer hingegen nichts von dem Allen, auch nur einigermaaßen, oder versuchsweise, leistet, ja, nicht ein Mal, durch gründliche Erlernung irgend einer Wissenschaft, sich wenigstens die Möglichkeit eröffnet, dieselbe zu fördern, – ein Solcher ist, bei angeerbtem Vermögen, ein bloßer Tagedieb und verächtlich. Auch wird er nicht glücklich seyn: denn die Exemtion von der Noth liefert ihn dem andern Pol des menschlichen Elends, der Langenweile, in die Hände, die ihn so martert, daß er viel glücklicher wäre, wenn die Noth ihm Beschäftigung gegeben hätte. Eben diese Langeweile aber wird ihn leicht zu Extravaganzen verleiten, welche ihn um jenen Vorzug bringen, dessen er nicht würdig war. Wirklich befinden Unzählige sich bloß deshalb in Mangel, weil, als sie Geld hatten, sie es ausgaben, um nur sich augenblickliche Linderung der sie drückenden Langenweile zu verschaffen.

      Ganz anders nun aber verhält es sich, wenn der Zweck ist, es im Staatsdienste hoch zu bringen, wo demnach Gunst, Freunde, Verbindungen erworben werden müssen, um durch sie, von Stufe zu Stufe, Beförderung, vielleicht gar bis zu den höchsten Posten, zu erlangen: hier nämlich ist es im Grunde wohl besser, ohne alles Vermögen in die Welt gestoßen zu seyn. Besonders wird es Dem, welcher nicht adelig, hingegen mit einigem Talent ausgestattet ist, zum wahren Vortheil und zur Empfehlung gereichen, wenn er ein ganz armer Teufel ist. Denn was Jeder, schon in der bloßen Unterhaltung, wie viel mehr im Dienste, am meisten sucht und liebt, ist die Inferiorität des Andern. Nun aber ist allein ein armer Teufel von seiner gänzlichen, tiefen, entschiedenen und allseitigen Inferiorität und seiner völligen Unbedeutsamkeit und Werthlosigkeit in dem Grade überzeugt und durchdrungen, wie es hier erfordert wird. Nur er demnach verbeugt sich oft und anhaltend genug, und nur seine Bücklinge erreichen volle 90°: nur er läßt Alles über sich ergehn und lächelt dazu; nur er erkennt die gänzliche Werthlosigkeit der Verdienste; nur er preist öffentlich, mit lauter Stimme, oder auch in großem Druck, die litterarischen Stümpereien der über ihn Gestellten oder sonst Einflußreichen, als Meisterwerk; nur er versteht zu betteln: folglich kann nur er, bei Zeiten, also in der Jugend, sogar ein Epopte jener verborgenen Wahrheit werden, die Goethe uns enthüllt hat in den Worten:

      Ueber’s Niederträchtige

      Niemand sich beklage:

      Denn es ist das Mächtige,

      Was man dir auch sage.

W. O. Divan.

      Hingegen Der, welcher von Hause aus zu leben hat, wird sich meistens ungebärdig stellen: er ist gewohnt tête levée zu gehn, hat alle jene Künste nicht gelernt, trotzt dazu vielleicht noch auf etwanige Talente, deren Unzulänglichkeit vielmehr, dem médiocre et rampant gegenüber, er begreifen sollte; er ist am Ende wohl gar im Stande, die Inferiorität der über ihn Gestellten zu merken; und wenn es nun vollends zu den Indignitäten kommt, da wird er stätisch oder kopfschen. Damit poussirt man sich nicht in der Welt: vielmehr kann es mit ihm zuletzt dahin kommen, daß er mit dem frechen Voltaire sagt: nous n’avons que deux jours à vivre: ce n’est pas la peine de les passer à ramper sous des coquins méprisables: – leider ist, beiläufig gesagt, dieses coquin méprisable ein Prädikat, zu dem es in der Welt verteufelt viele Subjekte giebt. Man sieht also, daß das Juvenalische Haud facile emergunt, quorum virtutibus obstat Res angusta domi, mehr von der Laufbahn der Virtuositäten, als von der der Weltleute, gültig ist. —

      Zu Dem, was Einer hat, habe ich Frau und Kinder nicht gerechnet; da er von diesen vielmehr gehabt wird. Eher ließen sich Freunde dazu zählen: doch muß auch hier der Besitzende im gleichen Maaße der Besitz des Andern seyn.

      Kapitel IV.

      Von Dem, was einer vorstellt

      Dieses, also unser Daseyn in der Meinung Anderer, wird, in Folge einer besondern Schwäche unsrer Natur, durchgängig viel zu hoch angeschlagen; obgleich schon die leichteste Besinnung lehren könnte, daß es, an sich selbst, für unser Glück, unwesentlich ist. Es ist demnach kaum erklärlich, wie sehr jeder Mensch sich innerlich freut, so oft er Zeichen der günstigen Meinung Anderer merkt und seiner Eitelkeit irgendwie geschmeichelt wird. So unausbleiblich wie die Katze spinnt, wenn man sie streichelt, malt süße Wonne sich auf das Gesicht des Menschen, den man lobt, und zwar in dem Felde seiner Prätension, sei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft trösten ihn, über reales Unglück, oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hieher abgehandelten Hauptquellen unsers Glückes fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, ist es zum Erstaunen, wie sehr jede Verletzung seines Ehrgeizes, in irgend einem Sinne, Grad, oder Verhältniß, jede Geringschätzung, Zurücksetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief schmerzt. Sofern auf dieser Eigenschaft das Gefühl der Ehre beruht,