ut possessionum omnium pulcherrimam laudabat). Dem entspricht auch, daß Aristoteles (Eth. Nic. X, 7, 8, 9) das philosophische Leben für das glücklichste erklärt. Sogar gehört hieher, was er in der Politik (IV, 11) sagt: τον ευδαιμονα βιον ειναι τον κατ αρετην ανεμποδιστον, welches, gründlich übersetzt, besagt: seine Trefflichkeit, welcher Art sie auch sei, ungehindert üben zu können, ist das eigentliche Glück, und also zusammentrifft mit Goethe’s Ausspruch im Wilh. Meister: wer mit einem Talent, zu einem Talent geboren ist findet in demselben sein schönstes Daseyn. – Nun aber ist freie Muße zu besitzen nicht nur dem gewöhnlichen Schicksal, sondern auch der gewöhnlichen Natur des Menschen fremd: denn seine natürliche Bestimmung ist, daß er seine Zeit mit Herbeischaffung des zu seiner und seiner Familie Existenz Nothwendigen zubringe. Er ist ein Sohn der Noth, nicht eine freie Intelligenz. Dem entsprechend wird freie Muße dem gewöhnlichen Menschen bald zur Last, ja, endlich zur Quaal, wenn er sie nicht, mittelst allerlei erkünstelter und fingirter Zwecke, durch Spiel, Zeitvertreib und Steckenpferde jeder Gestalt auszufüllen vermag: auch bringt sie ihm, aus dem selben Grunde, Gefahr, da es mit Recht heißt difficilis in otio quies. Andererseits jedoch ist ein über das normale Maaß weit hinausgehender Intellekt ebenfalls abnorm, also unnatürlich. Ist er dennoch ein Mal vorhanden, so bedarf es, für das Glück des damit Begabten, eben jener den Andern bald lästigen, bald verderblichen freien Muße; da er ohne diese ein Pegasus im Joche, mithin unglücklich seyn wird. Treffen nun aber beide Unnatürlichkeiten, die äußere und die innere, zusammen; so ist es ein großer Glücksfall: denn jetzt wird der so Begünstigte ein Leben höherer Art führen, nämlich das eines Eximirten von den beiden entgegengesetzten Quellen des menschlichen Leidens, der Noth und der Langeweile, oder dem sorglichen Treiben für die Existenz und der Unfähigkeit, die Muße (d. i. die freie Existenz selbst) zu ertragen, welchen beiden Uebeln der Mensch sonst nur dadurch entgeht, daß sie selbst sich wechselseitig neutralisiren und aufheben.
Gegen dieses Alles jedoch kommt andrerseits in Betracht, daß die großen Geistesgaben, in Folge der überwiegenden Nerventhätigkeit, eine überaus gesteigerte Empfindlichkeit für den Schmerz, in jeglicher Gestalt, herbeiführen, daß ferner das sie bedingende leidenschaftliche Temperament und zugleich die von ihnen unzertrennliche größere Lebhaftigkeit und Vollkommenheit aller Vorstellungen eine ungleich größere Heftigkeit der durch diese erregten Affekte herbeiführt, während es doch überhaupt mehr peinliche, als angenehme Affekte giebt; endlich auch, daß die großen Geistesgaben ihren Besitzer den übrigen Menschen und ihrem Treiben entfremden, da, je mehr er an sich selber hat, desto weniger er an ihnen finden kann. Hundert Dinge, an welchen sie großes Genüge haben, sind ihm schaal und ungenießbar; wodurch denn das überall sich geltend machende Gesetz der Kompensation vielleicht auch hier in Kraft bleibt; ist doch sogar oft genug, und nicht ohne Schein, behauptet worden, der geistig beschränkteste Mensch sei im Grunde der glücklichste; wenn gleich Keiner ihn um dieses Glück beneiden mag. In der definitiven Entscheidung der Sache will ich um so weniger dem Leser vorgreifen, als selbst Sophokles hierüber zwei einander diametral entgegengesetzte Aussprüche gethan hat:
Πολλω το φρονειν ευδαιμονιας πρωτον υπαρχει.
(sapere longe prima felicitatis pars est.)
und wieder:
Εν τω φρονειν γαρ μηδεν ηδιστος βιος.
(nihil cogitantium jucundissima vita est.)
Eben so uneinig mit einander sind die Philosophen des A. T.
Des Narren Leben ist ärger denn der Tod!
(του γαρ μωρου υπερ θανατου ζωη πονηρα.)
und
Wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämens.
(ο προςτιθεις γνωσιν, προςθησει αλγημα.)
Inzwischen will ich hier doch nicht unerwähnt lassen, daß der Mensch, welcher, in Folge des streng und knapp normalen Maaßes seiner intellektuellen Kräfte, keine geistige Bedürfnisse hat, es eigentlich ist, den ein der deutschen Sprache ausschließlich eigener, vom Studentenleben ausgegangener, nachmals aber in einem höheren, wiewohl dem ursprünglichen, durch den Gegensatz zum Musenlohne, immer noch analogen Sinne gebrauchter Ausdruck als den Philister bezeichnet. Dieser nämlich ist und bleibt der αμουσος ανηρ. Nun würde ich zwar, von einem höhern Standpunkt aus, die Definition der Philister so aussprechen, daß sie Leute wären, die immerfort auf das Ernstlichste beschäftigt sind mit einer Realität, die keine ist. Allein eine solche, schon transscendentale Definition, würde dem populären Standpunkt, auf welchen ich mich in dieser Abhandlung gestellt habe, nicht angemessen, daher auch vielleicht nicht durchaus jedem Leser faßlich seyn. Jene erstere hingegen läßt leichter eine specielle Erläuterung zu und bezeichnet hinreichend das Wesentliche der Sache, die Wurzel aller der Eigenschaften, die den Philister charakterisiren. Er ist demnach ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse. Hieraus nun folgt gar mancherlei: erstlich, in Hinsicht auf ihn selbst, daß er ohne geistige Genüsse bleibt; nach dem schon erwähnten Grundsatz: il n’est de vrais plaisirs qu’avec de vrais besoins. Kein Drang nach Erkenntniß und Einsicht, um ihrer selbst Willen, belebt sein Daseyn, auch keiner nach eigentlich ästhetischen Genüssen, als welcher dem ersteren durchaus verwandt ist. Was dennoch von Genüssen solcher Art etwan Mode, oder Auktorität, ihm aufdringt, wird er als eine Art Zwangsarbeit möglichst kurz abthun. Wirkliche Genüsse für ihn sind allein die sinnlichen: durch diese hält er sich schadlos.
Demnach sind Austern und Champagner der Höhepunkt seines Daseyns, und sich Alles, was zum leiblichen Wohlseyn beiträgt, zu verschaffen, ist der Zweck seines Lebens. Glücklich genug, wenn dieser ihm viel zu schaffen macht! Denn, sind jene Güter ihm schon zum voraus oktroyirt; so fällt er unausbleiblich der Langenweile anheim; gegen welche dann alles Ersinnliche versucht wird: Ball, Theater, Gesellschaft, Kartenspiel, Hasardspiel, Pferde, Weiber, Trinken, Reisen u. s. w. Und doch reicht dies Alles gegen die Langeweile nicht aus, wo Mangel an geistigen Bedürfnissen die geistigen Genüsse unmöglich macht. Daher auch ist dem Philister ein dumpfer, trockener Ernst, der sich dem thierischen nähert, eigen und charakteristisch. Nichts freut ihn, nichts erregt ihn, nichts gewinnt ihm Antheil ab. Denn die sinnlichen Genüsse sind bald erschöpft; die Gesellschaft, aus eben solchen Philistern bestehend, wird bald langweilig; das Kartenspiel zuletzt ermüdend.
Allenfalls bleiben ihm noch die Genüsse der Eitelkeit, nach seiner Weise, welche denn darin bestehn, daß er an Reichthum, oder Rang, oder Einfluß und Macht, Andere übertrifft, von welchen er dann deshalb geehrt wird; oder aber auch darin, daß er wenigstens mit Solchen, die in Dergleichen eminiren, Umgang hat und so sich im Reflex ihres Glanzes sonnt (a snob). – Aus der aufgestellten Grundeigenschaft des Philisters folgt zweitens, in Hinsicht auf Andere, daß, da er keine geistige, sondern nur physische Bedürfnisse hat, er Den suchen wird, der diese, nicht Den, der jene zu befriedigen im Stande ist. Am allerwenigsten wird daher unter den Anforderungen, die er an Andere macht, die irgend überwiegender geistiger Fähigkeiten seyn: vielmehr werden diese, wenn sie ihm aufstoßen, seinen Widerwillen, ja, seinen Haß erregen; weil er dabei nur ein lästiges Gefühl von Inferiorität, und dazu einen dumpfen, heimlichen Neid verspürt, den er aufs Sorgfältigste versteckt, indem er ihn sogar sich selber zu verhehlen sucht, wodurch aber gerade solcher bisweilen bis zu einem stillen Ingrimm anwächst. Nimmermehr demnach wird es ihm einfallen, nach dergleichen Eigenschaften seine Werthschätzung, oder Hochachtung abzumessen, sondern diese wird ausschließlich dem Range und Reichthum, der Macht und dem Einfluß vorbehalten bleiben, als welche