Christian Morgenstern

Alle Galgenlieder


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Glockenton fliegt durch die Nacht,

       als hätt er Vogelflügel;

       er fliegt in römischer Kirchentracht

       wohl über Tal und Hügel.

      Er sucht die Glockentönin bim, die ihm vorausgeflogen; d.h., die Sache ist sehr schlimm, sie hat ihn nämlich betrogen.

      »O komm,« so ruft er, »komm, dein bam erwartet dich voll Schmerzen. Komm wieder, bim, geliebtes Lamm, dein bam liebt dich von Herzen!«

      Doch bim, daß ihrs nur alle wißt, hat sich dem bum ergeben; der ist zwar auch ein guter Christ, allein das ist es eben.

      Der BAM fliegt weiter durch die Nacht

       wohl über Wald und Lichtung.

       Doch, ach, er fliegt umsonst! Das macht,

       er fliegt in falscher Richtung.

      Das aesthetische Wiesel

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Wiesel

       saß auf einem Kiesel

       inmitten Bachgeriesel.

      Wißt ihr,

       weshalb?

      Das Mondkalb

       verriet es mir

       im stillen:

      Das raffinier-

       te Tier

       tats um des Reimes willen.

      Der Schaukelstuhl auf der verlassenen Terrasse

       Inhaltsverzeichnis

      Ich bin ein einsamer Schaukelstuhl

       und wackel im Winde,

       im Winde.

      Auf der Terrasse, da ist es kuhl,

       und ich wackel im Winde,

       im Winde.

      Und ich wackel und nackel den ganzen Tag.

       Und es nackelt und rackelt die Linde.

       Wer weiß, was sonst wohl noch wackeln mag

       im Winde,

       im Winde,

       im Winde.

      Die Beichte des Wurms

       Inhaltsverzeichnis

      Es lebt in einer Muschel

       ein Wurm gar seltner Art;

       der hat mir mit Getuschel

       sein Herze offenbart.

      Sein armes kleines Herze,

       hei, wie das flog und schlug!

       Ihr denket wohl, ich scherze?

       Ach, denket nicht so klug.

      Es lebt in einer Muschel

       ein Wurm gar seltner Art;

       der hat mir mit Getuschel

       sein Herze offenbart.

      Das Weiblein mit der Kunkel

       Inhaltsverzeichnis

      Um stille Stübel schleicht des Monds

       barbarisches Gefunkel –

       im Gäßchen hoch im Norden wohnts,

       das Weiblein mit der Kunkel.

      Es spinnt und spinnt. Was spinnt es wohl?

       Es spinnt und spintisieret...

       Es trägt ein weißes Kamisol,

       das seinen Körper zieret.

      Um stille Stübel schleicht des Monds

       barbarisches Gefunkel –

       im Gäßchen hoch im Norden wohnts,

       das Weiblein mit der Kunkel.

      Die Mitternachtsmaus

       Inhaltsverzeichnis

      Wenns mitternächtigt und nicht Mond

       noch Stern das Himmelshaus bewohnt,

       läuft zwölfmal durch das Himmelshaus

       die Mitternachtsmaus.

      Sie pfeift auf ihrem kleinen Maul, –

       im Traume brüllt der Höllengaul ...

       Doch ruhig läuft ihr Pensum aus

       die Mitternachtsmaus.

      Ihr Herr, der große weiße Geist,

       ist nämlich solche Nacht verreist.

       Wohl ihm! Es hütet ihm sein Haus

       die Mittemachtsmaus.

      Himmel und Erde

       Inhaltsverzeichnis

      Der Nachtwindhund weint wie ein Kind,

       dieweil sein Fell von Regen rinnt.

      Jetzt jagt er wild das Neumondweib,

       das hinflieht mit gebognem Leib.

      Tief unten geht, ein dunkler Punkt,

       querüberfeld ein Forstadjunkt.

      Der Mond

       Inhaltsverzeichnis

      Als Gott den lieben Mond erschuf,

       gab er ihm folgenden Beruf:

      Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen

       sich deutschen Lesern zu bequemen,

      ein

formierend und ein
– daß keiner groß zu denken hätt.

      Befolgend dies, ward der Trabant

       ein völlig deutscher Gegenstand.

      Mondendinge

       Inhaltsverzeichnis

      Dinge gehen vor im Mond,

       die das Kalb selbst nicht gewohnt.

      Tulemond und Mondamin

       liegen heulend auf den Knien.

      Heulend fletschen sie die Zähne

       auf der schwefligen Hyäne.

      Aus den Kratern aber steigt

       Schweigen, das sie überschweigt.

      Dinge gehen vor im Mond,