George Sand

Gesammelte Werke


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leich­ter Köpf­chen hin­durch und blieb am Ende des Or­gel­cho­res vor ei­nem klei­nen We­sen ste­hen, das, die El­len­bo­gen auf die Knie ge­stützt, die Fin­ger in den Ohren, um nicht von dem Lärm ge­stört zu wer­den, sei­ne Auf­ga­be halb­laut, um nie­man­den zu stö­ren, ler­nend, und zu­sam­men­ge­bückt wie ein Äff­chen, auf ei­ner Stu­fe saß; mit fei­er­li­cher und tri­um­phie­ren­der Mie­ne blieb er ste­hen, den Fuß und den Arm vor­ge­streckt, wie Pa­ris der den Ap­fel reicht, hier nicht der Schöns­ten, aber der Folg­sams­ten.

      – Con­sue­lo? die Spa­nie­rin? rie­fen in der ers­ten Über­ra­schung die jun­gen Cho­ris­tin­nen wie aus ei­nem Mun­de, dann brach ein all­ge­mei­nes, ho­me­ri­sches Ge­läch­ter aus und lock­te die Röte des Ver­drus­ses und des Zor­nes auf die ma­je­stä­ti­sche Stirn des Leh­rers. Die klei­ne Con­sue­lo, de­ren ver­stopf­te Ohren von der gan­zen Un­ter­re­dung nichts ge­hört hat­ten, und de­ren zer­streu­te Au­gen aufs Ge­ra­te­wohl um­her­blick­ten ohne et­was zu se­hen, so ver­tieft war sie in ihre Ar­beit, – Con­sue­lo merk­te An­fangs nicht im ge­rings­ten auf all den Tu­mult, und als sie end­lich die Auf­merk­sam­keit wahr­nahm, wel­che sie er­regt hat­te, ließ sie ihre Hän­de aus den Ohren auf ih­ren Schoß und ihr Heft von ih­rem Scho­ße auf die Erde fal­len; starr vor Er­stau­nen saß sie da, ver­wirrt nicht, doch ein we­nig er­schreckt, und zu­letzt stand sie auf und blick­te hin­ter sich, um zu se­hen, ob etwa dort ir­gend et­was Son­der­ba­res oder Lä­cher­li­ches wäre, das statt ih­rer zu ei­ner so lär­men­den Lus­tig­keit An­lass ge­ben moch­te.

      – Con­sue­lo, sag­te der Mae­stro, in­dem er sie ohne wei­te­re Er­klä­rung bei der Hand nahm, komm her, mein gu­tes Kind, und sin­ge mir das Sal­ve Re­gi­na von Per­go­le­se, das du seit vier­zehn Ta­gen übst und wor­an die Clo­rin­de schon ein Jahr lernt.

      Con­sue­lo ging, ohne zu ant­wor­ten, ohne Furcht, ohne Stolz, ohne Ver­le­gen­heit, mit dem Sing­leh­rer an die Or­gel; die­ser setz­te sich und gab mit tri­um­phie­ren­den Bli­cken sei­ner jun­gen Schü­le­rin den Ton an. Rein, ein­fach, ohne An­stren­gung sang Con­sue­lo und es klan­gen un­ter den tie­fen Wöl­bun­gen der Ka­the­dra­le hin die Töne der schöns­ten Stim­me, die je­mals dort er­schol­len war. Sie sang das Sal­ve Re­gi­na ohne sich des kleins­ten Ge­dächt­nis­feh­lers schul­dig zu ma­chen und ohne einen Ton zu wa­gen, der nicht un­ta­del­haft rein und voll ge­riet und im­mer am rech­ten Orte aus­ge­hal­ten oder los­ge­las­sen; sie folg­te nur ganz wil­len­los, aber mit der größ­ten Pünkt­lich­keit den An­wei­sun­gen, wel­che der ein­sich­ti­ge Leh­rer ihr ge­ge­ben hat­te, und führ­te mit ih­ren ge­wal­ti­gen Mit­teln die wohl­be­dach­ten und rich­ti­gen In­ten­tio­nen des treff­li­chen Man­nes aus; so leis­te­te sie mit der Uner­fah­ren­heit und Un­be­wusst­heit ei­nes Kin­des was wohl Kennt­nis, Fer­tig­keit und Be­geis­te­rung ei­ner vollen­de­ten Sän­ge­rin nicht voll­bracht hät­ten: sie sang mit Voll­kom­men­heit.

      Recht gut, mein Kind, sag­te der alte Meis­ter, der mit sei­nem Lobe stets spar­sam war. Du hast mit Auf­merk­sam­keit stu­diert und du hast mit Be­wusst­sein ge­sun­gen. Das nächs­te Mal sollst du mir die Can­ta­te von Scar­lat­ti wie­der­ho­len, die ich dir ein­ge­übt habe.

      – Si, Si­gnor Pro­fes­so­re, ant­wor­te­te Con­sue­lo. Kann ich nun ge­hen?

      – Ja, mein Kind. Mes­de­moi­sel­les, die Stun­de ist aus.

      Con­sue­lo nahm ihre Hef­te, ih­ren Blei­stift und ih­ren klei­nen Fä­cher von schwar­zem Pa­pier, den ste­ten Beglei­ter der Spa­nie­rin wie der Ve­ne­zia­ne­rin, den sie zwar fast nie­mals brauch­te, aber im­mer bei sich hat­te, und tat das al­les in einen klei­nen Ko­ber. Dann ver­schwand sie hin­ter den Or­gel­pfei­fen, schlüpf­te be­händ wie ein Mäu­schen über die dunkle Trep­pe, die in die Kir­che hin­ab­führt, knie­te an dem Mit­tel­schiff vor­über­ei­lend einen Au­gen­blick nie­der, und eben als sie die Kir­che ver­las­sen woll­te, traf sie bei dem Weih­was­ser einen schö­nen Herrn, wel­cher ihr lä­chelnd den We­del reich­te. Wäh­rend sie nahm, schau­te sie ihm ge­ra­d’ ins Ge­sicht mit der Un­be­fan­gen­heit ei­nes klei­nen Mäd­chens, das sei­ne Weib­lich­keit noch nicht weiß und fühlt, und misch­te so ko­misch ihre Be­kreu­zi­gung mit ih­rem Dank, dass der jun­ge Herr zu la­chen an­hob. Con­sue­lo lach­te eben­falls; aber auf ein­mal, als ob es ihr ein­fie­le, dass sie er­war­tet wer­de, fing sie an zu lau­fen und hat­te im Au­gen­bli­cke Tür­schwel­le, Stu­fen und Vor­hal­le der Kir­che hin­ter sich ge­las­sen.

      Un­ter­des­sen steck­te der Pro­fes­sor sei­ne Bril­le zum zwei­ten Male in sei­ne große Wes­ten­ta­sche, und sprach da­bei zu den Schü­le­rin­nen, wel­che ihn schwei­gend um­ga­ben:

      – Schä­men Sie sich, mei­ne schö­nen De­moi­sel­les! sag­te er. Die­ses klei­ne Mäd­chen, die jüngs­te un­ter Ih­nen, die jüngs­te mei­ner Klas­se, ist die ein­zi­ge, die ein Solo or­dent­lich sin­gen kann, und in den Chö­ren lässt sie sich durch alle Dumm­hei­ten, wel­che Sie rechts und links ma­chen, nicht ir­re­füh­ren, son­dern ich höre sie im­mer rich­tig und si­cher wie einen Kla­vier­ton. Ei­fer und Aus­dau­er be­sitzt sie, und au­ßer­dem was Sie alle, wie Sie da sind, nicht ha­ben und nie­mals ha­ben wer­den: Be­wusst­sein!

      – Aha! hat er sein Schlag­wort noch los­ge­las­sen! rief Co­stan­za, als er hin­aus war. Er hat es bloß neun und drei­ßig­mal wäh­rend der Stun­de an­ge­bracht, und er wäre wahr­haf­tig krank ge­wor­den, wenn ihm das vier­zigs­te ent­gan­gen wäre.

      – Ein rech­tes Wun­der, wenn die Con­sue­lo Fort­schrit­te macht, sag­te Zu­li­et­ta. Sie ist so arm. Sie hat an wei­ter nichts zu den­ken als wie sie nur ge­schwind et­was ler­ne, um ihr Brot zu ver­die­nen.

      – Ihre Mut­ter soll eine Zi­geu­ne­rin ge­we­sen sein, setz­te Mi­che­li­na hin­zu, und die Klei­ne hör’ ich, hat auf Gas­sen und Land­stra­ßen ge­sun­gen, ehe sie hier­her kam. Eine schö­ne Stim­me hat sie, das kann man nicht be­strei­ten; aber sie hat nicht ein Fünk­chen Geist, das arme Ding. Sie lernt aus­wen­dig, sie folgt skla­visch den An­wei­sun­gen des Pro­fes­sors, und dann tut ihre gute Lun­ge das Üb­ri­ge.

      – Mag ihre Lun­ge noch so gut sein, und hät­te sie noch so viel Geist oben­ein, sag­te die schö­ne Clo­rin­da, so möch­te ich doch nicht mit ihr tau­schen, wenn ich mei­ne Ge­stalt für die ih­ri­ge hin­ge­ben müss­te.

      – Da wür­dest Du auch nicht so gar viel ver­lie­ren, ent­geg­ne­te die Co­stan­za, wel­che nie­mals große Lust hat­te, Clo­rin­dens Schön­heit an­zu­er­ken­nen.

      – Nein! schön ist sie nicht, sag­te eine an­de­re, sie ist gelb wie eine Os­ter­ker­ze und ihre großen Au­gen sind so nichts­sa­gend, auch ist sie im­mer so schlecht an­ge­zo­gen: ge­wiss, ganz gars­tig ist sie. – Ar­mes Mäd­chen! o, es ist ein recht großes Un­glück für sie, das al­les. Kein Ver­mö­gen, kei­ne Rei­ze!

      So en­de­te Con­sue­lo’s Lob; durch die­ses Be­dau­ern hiel­ten sich die an­de­ren für die Be­wun­de­rung schad­los, wel­che ih­nen der Ge­sang des Mäd­chens ab­ge­nö­tigt hat­te.

      2.

      Es trug sich die­ses in Ve­ne­dig zu, vor etwa hun­dert Jah­ren und zwar in der Kir­che der Men­di­can­ti, als eben der be­rühm­te Mae­stro Por­po­ra da­selbst die Pro­ben der großen Ve­s­per­mu­sik be­schloss, wel­che er zu Ma­riä Him­mel­fahrt nächs­ten Sonn­tag