erst wieder zu erinnern, was vorgefallen war. Wie gehetzt sah er sich um, zog die Beine an und sprang auf. Er wollte seine Flucht fortsetzen.
»Gönnen Sie sich etwas Ruhe, junger Mann«, meinte Josuah Parker mit ruhiger Stimme. »Vielleicht verraten Sie mir, wer auf Sie geschossen hat.«
»Er hat … er hat ihn umgebracht«, stieß der Taschendieb hervor.
»Umgebracht? Wen, wenn ich fragen darf?«
»Den Teck in der Kabine«, stöhnte der junge Mann. »Und mich wollte dieser Hund auch noch umlegen.«
»Kommen Sie …!« Parkers Stimme hatte jeden Unterton von Gelassenheit verloren. Er umspannte das rechte Handgelenk des Taschendiebes und zog ihn zum nächsten Haustelefon. Er rief das Detektivbüro des ›Jackson‹ an. Erstaunlich knapp und präzis gab Parker seine Meldung durch. Dann löste er den Hörer etwas vom Ohr und wartete.
Der Taschendieb stotterte seinen Bericht herunter. Er verhaspelte sich immer wieder, wiederholte sich und hatte Mühe, die nackten Tatsachen zu erwähnen. Parker unterbrach ihn nicht mit einem Wort. So erfuhr er, wenn auch mit Verspätung, was sich im Erdgeschoß und dann im Lift zugetragen hatte.
Wenig später meldete sich wieder das Detektivbüro des Hauses. Chefinspektor Hassler war am Apparat. Seine Stimme klang aufgeregt.
»Porch ist schwer angeschossen worden«, meldete er. »Der Revolverheld ist verschwunden. Verdammt, heute ist der Teufel los, Parker. In unserem Bau scheinen sich die Gangster der Stadt ein Stelldichein zu geben!«
*
»Sie sind wie ein Magnet«, sagte Anwalt Mike Rander. »Sie ziehen Gauner und Verbrecher an, Parker! Ihren ersten Tag im ›Jackson‹ hatte ich mir ruhiger vorgestellt!«
»Keiner bedauert diese Entwicklung mehr als ich, Sir«, gab Parker zurück. »Es ist mir zwar gelungen, zwei Mitglieder der Warenhaus-Gang zu fassen, doch dieser rätselhafte Mord in der Herrenabteilung dürfte noch einiges Kopfzerbrechen verursachen.«
Josuah Parker und Mike Rander saßen in einem Taxi. Sie waren auf dem Weg in die Mason Street. Laut Adresse auf dem Telegrammformular mußte der erhängte Frank Carpenter dort wohnen. Falls der Tote mit dem Empfänger des Telegramms identisch war. Das Telegramm in seiner Tasche war kein Beweis dafür, daß er tatsächlich Frank Carpenter war.
»Ich sehe einen innigen Zusammenhang zwischen dem Erhängten und der Schießerei im Lift«, meinte Josuah Parker nach einer kleinen Pause des Nachdenkens. »Ich möchte mich selbstverständlich auf keinen Fall festlegen, Sir, doch scheint mir, daß die Brieftasche des Erhängten von jenem Mann geraubt wurde, der von dem jungen Taschendieb anschließend im Erdgeschoß bestohlen wurde.«
»Könnte sein, Parker«, gab Mike Rander nachdenklich zurück.
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich meinen Gedankengang fortsetzen.« Parker hatte zu seiner üblichen Ruhe zurückgefunden. »Der junge Taschendieb, den ich bei der Flucht aus dem Lift abfangen konnte, sagte deutlich aus, daß der Bestohlene aus dem Erdgeschoß sich ausschließlich um die Brieftasche kümmerte und sie dem leider angeschossenen Mr. Lesley Porch entriß.«
»Blenden wir zurück«, warf Mike Rander ein. »Im Anzug des erhängten Frank Carpenter vermißten Sie eine Brieftasche. Es könnte sich tatsächlich um dasselbe Stück handeln.«
»Ich bin dessen fast sicher, Sir.«
»Hoffen wir, daß uns die Telegramm-Adresse weiterbringen wird«, seufzte Mike Rander auf. »Verflixt, und ich hatte mit ein paar gemütlichen Ferientagen hier in Frisco gerechnet. Taschen- und Ladendiebstahl hörte sich verlockend an. Und jetzt sitzen wir mitten in einem Mordfall, Parker. Viel Vergnügen! Wer weiß, wie sich dieser Mord noch entwickeln wird.«
»Keinesfalls ruhig, Sir, wenn mir diese nüchterne Prognose gestattet ist«, gab Josuah Parker zurück. »Um eine übliche Brieftasche kann es sich meiner bescheidenen Ansicht nach bestimmt nicht handeln. Diese Brieftasche muß Sprengstoff enthalten.«
»Sprengstoff welcher Art?«
»Ich wage es nicht, den Propheten zu spielen«, wich Josuah Parker aus. »Wenn Sie erlauben, möchte ich nun aussteigen und mich zu Fuß der Mason Street nähern.«
»Klar, steigen Sie aus, Parker! Passen Sie auf sich auf! Ich werde mich um den Absender des Telegramms kümmern. Hoffentlich existiert dieser Ted Surtees wirklich.«
»Ich erlaube mir, Sir, Ihnen viel Glück zu wünschen«, erwiderte Parker. Er klopfte gegen die Scheibe zwischen Fond und Taxifahrer, ließ anhalten und stieg aus, ohne sich noch mal nach seinem jungen Herrn umzuwenden.
Mike Rander sah hingegen seinem Butler nach. Unmerklich schüttelte er den Kopf über Parker. Man sah es diesem skurrilen Mann wirklich nicht an, daß er innerhalb kurzer Zeit zu einem gefürchteten Verbrecherschreck geworden war …
Die Mason Street stieg steil an.
Bei der Planung von San Francisco hatten die derzeitigen Planer übersehen, wie gebirgig und hügelig das Gelände war. Auf dem Reißbrett waren die Straßen entstanden und tatsächlich auch gebaut worden. Das war der Grund für die vielen Steigungen in dieser Stadt, die in die Beine der Fußgänger und in die Getriebe der Autos ging.
Aus alten Zeiten waren einige der Cable-Cars übernommen worden, einfache, offene Straßenbahnen, die per Zahnrad oder Zugkabel über die steilen Steigungen geschleppt wurden.
Solch eine Straße war die Mason Street. Und an dieser Straße lag das Haus, in dem der erhängte Frank Carpenter wohnen sollte. Josuah Parker ließ sich von einer in den Gleisen kreischenden Cable-Car überholen. Er brauchte nur noch wenige Schritte zu tun, dann stand er vor einem bereits angejahrten Appartementhaus.
An den Hinweistafeln im Erdgeschoß orientierte sich der Butler. Er war fast überrascht, tatsächlich den Namen Frank Carpenter zu finden. Absender und Empfänger des bewußten Telegramms in der Brusttasche des Ermordeten schienen also zu stimmen.
Frank Carpenter wohnte in der zweiten Etage.
Es gab zwar einen Lift. Verständlicherweise verzichtete der Butler darauf, ihn zu benutzen. Seit knapp einer halben Stunde hatte er eine Abneigung gegen Fahrstühle. In ihnen konnte zuviel passieren.
Er benutzte die Treppe, die mit einem abgetretenen Kokosläufer belegt war. In der zweiten Etage blieb er vor der Tür des Mr. Frank Carpenter stehen.
Dahinter war alles ruhig.
Parker legte seinen schwarz behandschuhten Zeigefinger auf den Klingelknopf. Seine linke Augenbraue hob sich erstaunt, als er sofort nach dem Läuten Schritte hörte. Die Tür wurde geöffnet. Eine junge, sehr angenehm aussehende Dame von etwa 25 Jahren sah den Butler erstaunt an.
»Sie wünschen?« fragte sie und trat unwillkürlich einen halben Schritt zurück. Eine Erscheinung wie die des Butlers hatte sie bisher bestimmt nur im Film gesehen, in einem englischen Film, um genau zu sein. In einem Film also, in dem ein original englischer Butler mitwirkte.
»Mein Name ist Parker«, stellte sich der Butler vor. »Genauer gesagt, Josuah Parker. Ich begrüße Sie!«
»Was wollen Sie mir verkaufen?« erkundigte sich die junge Dame. Sie sah nicht nur angenehm aus, sie war ausgesprochen attraktiv anzusehen. Mittelgroß, schlank, trug sie einen knapp sitzenden Hausanzug, der ihre Figur nachdrücklich unterstrich. Ihr blondes Haar fiel in sanften Wellen auf die Schultern herab.
»Ich würde sagen, daß ich auf Empfehlung von Mr. Frank Carpenter komme«, erklärte der Butler höflich und lüftete seine schwarze steife Melone noch mal.
»Oh, Onkel Frank! Das ist etwas anderes. Kommen Sie doch herein, Mr. Parker!«
Sie gab die Tür frei und führte ihn in einen Wohnraum mit zwei niedrigen Fenstern. Es gab hier den üblichen, imitierten Kamin, die Sitzgruppe mit tiefen Sesseln und die niedrigen Wandschränke, auf denen Leuchter standen. Auf dem Boden lag ein dicker grauer Wollteppich.
»Ich bin Helen Angus«, stellte sich nun auch die junge Dame vor. »Ich führe