Günter Dönges

Butler Parker Jubiläumsbox 6 – Kriminalroman


Скачать книгу

an. »Um mich präzise auszudrücken, Miss Angus, ich hoffe, hier nicht nur Ihren Onkel anzutreffen, sondern auch Mr. Ted Surtees.«

      »Mr. Surtees?« Helen Angus sah den Butler fragend an.

      »Sie kennen Mr. Surtees nicht?« wunderte sich der Butler.

      »Nein, tut mir leid. Müßte ich ihn denn kennen?« Helen Angus sah Josuah Parker interessiert an. Bei dieser Gelegenheit stellte der Butler fest, daß die junge Dame leuchtstarke blaugraue Augen besaß, mit denen sie umzugehen verstand.

      »Ich weiß es nicht«, wich Butler Parker aus. »Vielleicht handelt es sich um einen Geschäftsfreund Ihres Onkels.«

      »So wird es wohl sein«, meinte sie. »Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«

      »Nur, wenn auch Sie etwas trinken, Miss Angus. Ich möchte überhaupt dringend empfehlen, daß Sie sich mit einem stärkenden Schluck versehen.«

      »Glauben Sie, daß ich ihn nötig haben werde?«

      »Ich fürchte, ja.«

      »Sie sagen das mit eigenartiger Betonung, Sir. Ist … ist meinem Onkel Frank etwas passiert?«

      »Leider, Miss Angus.«

      »Mein Gott …! Ist er verunglückt?«

      »In etwa. Etwas genauer ausgedrückt, er wurde ermordet, Miss Angus.«

      »Ermordet?« Sie sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an und schluckte. Langsam ließ sie sich in einen Sessel nieder. »Ermordet, sagen Sie?«

      »Es passierte im Warenhaus ›Jackson‹, in dem ich zur Aushilfe als Hausdetektiv angestellt bin.«

      »Wie war denn das möglich? Onkel Frank hatte doch keine Feinde. Hat man seinen Mörder gefunden?«

      »Bisher leider nicht, Miss Angus.

      Aber um ihn zu finden, brauche ich einige Hinweise.«

      »Ich wüßte nicht, wie ich Ihnen helfen könnte, Mister Parker.« Ihre Stimme klang mutlos und leise. »Ich kann es einfach nicht glauben, daß Onkel Frank tot sein soll.«

      »Er wollte sich nach meinen Informationen mit einem gewissen Mr. Ted Surtees treffen.«

      »Ich kenne diesen Surtees nicht.« Sie griff nach einer kleinen Lackschachtel, die auf dem Tisch stand. Ihre Hand zitterte leicht, als sie ihr eine Zigarette entnahm.

      Parker zeigte sich selbst in dieser Situation als Gentleman. Er holte sein Feuerzeug aus der Westentasche und reichte ihr Feuer. Helen Angus zuckte nervös zurück, als es aufflammte. Ein mittlerer Flammenwerfer hätte nicht mehr Feuer spucken können. Parkers Feuerzeug war glatt geeignet, behelfsmäßig als Schweißbrenner eingesetzt zu werden.

      »Darf ich fragen, ob und wo Ihr Onkel arbeitete?« lautete Parkers nächste Frage.

      »Onkel Frank ist … ich meine, war Konstrukteur. Sein Leben verlief ohne jede Aufregungen. Mein Gott, warum hat man ihn umgebracht?«

      »Ich werde es im Laufe der Zeit herausfinden, Miss Angus, und mir dann die Freiheit nehmen, Ihnen Bericht zu erstatten«, versprach Josuah Parker. »Wann haben Sie Ihren Onkel zuletzt gesehen? Erhielt er heute vormittag nicht ein Telegramm?«

      Sie nickte.

      »Kennen Sie den Inhalt des Telegramms?«

      Sie schüttelte den Kopf. Sie griff in den Ärmel ihrer Bluse und zupfte ein Taschentuch hervor. Sie tupfte sich die ersten Tränen ab und schluchzte.

      »Ihr Onkel war heute nicht im Büro?« fragte Parker weiter.

      »Nur für ein paar Stunden«, antwortete sie mit tränenerstickter Stimme. »Er wollte für eine Woche Urlaub machen und sich mal richtig entspannen.«

      »Tragisch, ausgesprochen tragisch«, stellte Parker fest. »Von welcher Firma, wenn mir diese letzte Frage gestattet ist, wollte Ihr Onkel sich denn entspannen?«

      »Engineering Development«, schluchzte sie, »bitte, lassen Sie mich allein. Ich könnte nicht mehr antworten.«

      Parker verließ still und unauffällig das Appartement. Der Vorhang zwischen Diele und Wohnraum fiel hinter ihm zu. Parker nutzte diese Gelegenheit, schnell den Briefkasten an der Tür zu öffnen. Er fand zwei Briefe, die er einsteckte. Eine Sekunde später fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

      Parker wollte keinen Diebstahl begehen. Er fand nur, daß dieses zarte, junge Mädchen nicht noch weiter strapaziert werden durfte. Dazu gehörten schließlich auch Postsachen, von denen man ja nie vorher wußte, wie angenehm oder peinlich sie waren.

      *

      Noch im Treppenhaus öffnete Parker die beiden Briefe.

      Der erste Brief war eine Antwort auf ein Bewerbungsschreiben, das Frank Carpenter an eine Ingenieurfirma in Los Angeles gerichtet hatte. Die Bewerbungsunterlagen wurden zurückgeschickt. Man bedauerte mit wenigen dürren Worten, im Moment keine freie Stelle für Mr. Carpenter zu haben.

      Parker klammerte das Foto von den Bewerbungsunterlagen ab. Hier hatte er endlich einen Beweis in der Hand, daß der Erhängte im ›Jackson‹ mit Frank Carpenter identisch war. Das Brustbild zeigte unverkennbar den Toten, den Parker am Kleiderständer entdeckt hatte.

      Der zweite Brief stammte von der San Francisco State Bank. Mr. Frank Carpenter wurde mitgeteilt, daß sein Kreditantrag in Höhe von 2000 Dollar abgelehnt worden sei.

      Parker überlegte einen Moment, nahm die schwarze steife Melone vom Kopf und barg die beiden Briefe darin. Er schob sie unter die Stahleinlage. Immerhin hatte er in den vergangenen Stunden ausgiebig mit Taschendieben zu tun gehabt. Er wollte sich nicht bestehlen lassen. Die beiden Briefe waren recht interessant. Sie deuteten darauf hin, daß Frank Carpenter in einigen Schwierigkeiten gesteckt haben mußte.

      Parker verließ das Appartementhaus.

      Er hakte den Regenschirm über den linken Unterarm, rückte sich die schwarze Melone zurecht und wollte die Mason Street in Richtung Hafen hinuntergehen.

      Sah er nicht, daß sich hinter ihm ein Wagen vom Straßenrand löste? Merkte er nicht, daß ihn dieser Wagen augenscheinlich verfolgte? Parker schritt steif und würdevoll aus. Er dachte an sein Gespräch mit Helen Angus, an den erhängten Mr. Carpenter und an die beiden Briefe. Je mehr er über sie nachdachte, desto interessanter erschienen sie ihm. Er wurde sich klar darüber, daß er die Engineering Development‹ so schnell wie möglich besuchen mußte. Dort erfuhr er gewiß mehr über den Erhängten.

      »Hallo, können Sie mir helfen?«

      Parker fühlte sich angesprochen.

      Er wandte sich zur Seite.

      Etwa anderthalb Meter von ihm entfernt hielt ein dunkler Buick am Straßenrand. Der Beifahrer hatte sich aus dem Fenster gebeugt und winkte Parker zu.

      Der Butler stutzte unmerklich. Selbst ein genauer und aufmerksamer Beobachter hätte es kaum bemerkt.

      Parker spürte augenblicklich, daß Gefahr drohte. Sein fein ausgebildeter Instinkt warnte ihn. Situationen dieser Art kannte er schließlich mehr als genug.

      Doch Parker ließ sich nichts anmerken.

      »Ich hoffe sehr, Ihnen helfen zu können«, sagte er höflich, lüftete seine schwarze Melone und trat an den Wagenschlag heran. »Wenn mich nicht alles täuscht, soll ich Ihnen mit meinen, wenn auch bescheidenen Ortskenntnissen aushelfen, nicht wahr?«

      Der Mann auf dem Beifahrersitz starrte ihn entgeistert an. Solch eine gewundene, barock zu nennende Antwort hatte er ganz sicher nicht erwartet.

      »Wie war das?« fragte er. Er verzog sein breites, grobes Gesicht, als habe er in eine besonders saure Zitrone gebissen.

      »Wohin oder was möchten Sie?« präzisierte Parker seine Frage.

      »Ach so, jetzt geht mir ein Licht auf«, meinte der Beifahrer und grinste. »Sehen Sie sich das hier mal genauer an, Alterchen.«

      Er