Dominic Multerer

Marken müssen bewusst Regeln brechen, um anders zu sein


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werden. Das gelang mir, weil ich schneller und wendiger war.

      Marke, das bin ich!

      Im Gegensatz zu einem BWLer hatte ich kein Handbuch in der Hand, in dem geschrieben stand, wenn Situation A, dann B entscheiden. Der Augenblick entschied. Schnell musste ich ein Verständnis für Kunden und Markt entwickeln. Lief eine Sache nicht besonders gut, hatte ich im nächsten Moment die Möglichkeit, es anders zu probieren. Hatte ich dann Erfolg, gab ich mich damit jedoch nicht zufrieden. Ich probierte weiter. Mit jedem Probieren wuchs mein Wissen und mit dem Wissen wuchs und wächst bis heute meine Erfahrung. Die Grundlage meiner Erfahrung ist jedoch die Praxis und kein tausend Seiten starkes Buch mit viel Theorie, aber ohne Bodenhaftung und Praxisrelevanz. Die Realität redet Klartext!

      Am 16. November 2008 veröffentlichte das Handelsblatt einen Artikel über mich, in dem ich als »Deutschlands vermutlich jüngster Marketingchef« tituliert wurde. Als solcher fühlte ich mich aber noch gar nicht. Ich tat einfach das, was mir Spaß machte. So beschloss ich eines Tages, mein eigenes Ding zu machen, und gründete meine eigene Firma. Das war Anfang 2010; zu dem Zeitpunkt befand ich mich noch immer in der Steuerausbildung. Ein halbes Jahr später ließ ich da den Hammer fallen. Seitdem bin ich anders unterwegs. Parallel dazu habe ich für mich selbst noch eine Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation gemacht. Warum für mich selbst, fragen Sie sich? Das macht doch jeder für sich selbst. Nein, manchmal habe ich den Eindruck, die Leute machen das für Fremde, um sich ein Eintrittsticket in die Arbeitswelt zu besorgen. Nun ja. Das alles bildete den Hintergrund, warum ich Dinge so sehe, wie ich sie sehe und begreife. Irgendwann fing ich auch an, Vorträge zu halten; inzwischen spreche ich sogar regelmäßig als Dozent an Hochschulen. So kann es gehen.

      Diese unterschiedlichen Wege bin ich einfach gegangen. Es ergab sich eben. Bei aller Dynamik habe ich dennoch entschieden: Ich mache das jetzt so, und wenn es nicht funktioniert, dann mache ich es anders. Ich habe mir jedoch keinen großen Kopf gemacht und nicht lange über mein Handeln nachgedacht. Langsam wurden mir Dinge bewusst. Es entstand ein »Bewusstsein«. Warum ist etwas so? Warum entscheide ich so und nicht anders? Welche Auswirkung hat das? Mir wurde klar, das Bewusstwerden ist der Beginn von allem. Da ich selbst mehr und mehr zur Marke wurde, musste ich mich hinterfragen und überlegen, wohin ich will. Bestimmt haben Sie in Ihrem Alltagsleben ebenfalls die Erfahrung gemacht: Wenn Ihnen ein Umstand klar ist oder Sie sich einer Situation bewusst sind, kann eine Entscheidung eindeutig gefällt werden. »Ich mache es!« ist eine konsequente Aussage. Das wiederum zieht in der Regel auch Kompromisslosigkeit nach sich. Wenn Ihnen das bewusst ist, werden Sie feststellen, dass Sie in solchen Situationen erfolgreicher waren als in unklaren Entscheidungsprozessen.

      Es ist leider häufig so, dass sich Menschen nicht trauen, eine konsequente Entscheidung zu treffen. Ich sehe das so: Die meisten Menschen leben in einer »Komfortzone«. Es ist zwar nicht schön, es könnte besser sein, aber es geht noch. Der Kompromiss bestimmt das Handeln. Statt selbst zu handeln, lässt man das Agieren durch andere zu. Das ist der Nährboden für den viel zitierten Einheitsbrei. Solche Argumente kommen aus der gleichen Ecke wie »Das tut man nicht!«. Das ist destruktiv und bringt keinen nach vorn, weder einen selbst noch die Marke oder den Kunden.

      Bewusstsein entwickeln

      Der Aufbruch, etwas Neues zu wagen, passiert in vielen Fällen dann, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Erst dann beginnt man zu fragen: Wie konnte es so weit kommen? Was ist falsch gelaufen? Das bewusste Hinterfragen bereitet den neuen Weg. Und diesen Weg muss man dann konsequent gehen. Man hat nur diese Chance. Die Motivation ist unter solchen Umständen eine völlig andere als in Zeiten, in denen alles mehr oder minder rund läuft.

      Motivation durch eine Krisensituation

      Motivation aus der Not ist sehr stark. Es geht ums Überleben. Wäre es nicht schon vorher sinnvoll, zuzuhören, wenn Kunden oder Geschäftspartner sagen: »Jungs, wenn Ihr so weitermacht, kommt der Abgrund – wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Irgendwann hat sich das Pferd durchgeritten und landet in der Lasagne«? Doch ohne sichtbare und fühlbare Not sind viele Unternehmen sehr veränderungsträge. Sie begreifen nicht, dass in solchen Momenten noch Zeit und Ruhe wäre, zu überlegen, wie man das Ruder herumreißen könnte, wie man sich klar und neu positioniert oder wie man ein Ziel oder eine Vision entwickelt. Wenn man an der Wand steht, dann ist die Zeit knapp … oder es ist zu spät! Hier entspringt auch der Impuls für die Motivation, bewusst Regeln zu brechen. Aber ich brauche trotz allem ein Ziel und jemanden, der mich auf diesem Weg begleitet.

      Wie entwickle ich nun ein entsprechendes Bewusstsein? Ich hatte es schon durchblicken lassen, dass dies mit Erfahrung, Erleben und Nachdenken zusammenhängt. Wenn ich an meine Kindertage zurückdenke, dann war jeder Tag irgendwie neu. Ständig gab es etwas zu entdecken und zu erfahren. Meine Motivation war die Neugierde. Es war der innerliche Drang, etwas zu erfahren und zu erleben. Nur Neugierde allein reicht natürlich nicht. Wenn ich etwas unausprobiert lasse, verpasse ich eine Erfahrung. Also brauche ich neben der Neugierde Mut, mich auf etwas Neues einzulassen. Indem ich jedoch etwas ausprobiere, erfahre ich etwas. Ich bin live dabei. Es geschieht etwas in mir. Ich werde durch die Erfahrung innerlich bewegt, was mich schließlich prägt. Das Erleben ist der Schlüssel zum Bewusstsein, das durch das Nachdenken oder Rückblicken gefestigt wird.

      Was ist dann in diesem Sinne »Bewusstsein«? Jedem wird dieser Begriff bekannt sein; er wird ja auch entsprechend oft verwendet. Was »bewusst« bedeutet, erlebte ich in Thailand ziemlich eindrucksvoll. Während eines Aufenthaltes auf Ko Samui beobachtete ich gemeinsam mit einem Bekannten an einer belebten Kreuzung eine beeindruckende Aktion. Sie müssen sich das so vorstellen: Es ist schwülwarm, auf den Straßen fahren die Autos dicht an dicht, dazwischen zwängen sich Mofas. Es wird gehupt, gerufen und geklingelt. Händler transportieren ihre Ware auf schwer beladenen Handkarren oder balancieren sie auf Bambusstangen durch den dichten Verkehr. An der Straße stehen Frauen, die Essen oder andere Dinge verkaufen. Wieder andere stehen einfach im Schatten und schauen dem quirligen Alltagsleben zu. Alles wirkt sehr farbenfroh und bunt. Es riecht nach Essen und Abgasen zugleich. Es ist Abenteuer pur. Ich liebe es.

      Zwischen den Händlern, Marktfrauen, Büroangestellten, Fahrradfahrern und Touristen laufen unzählige Kinder herum. Jungen und Mädchen spielen Fangen, jagen sich gegenseitig etwas ab oder versuchen etwas von Touristen oder Büroangestellten zu bekommen. Plötzlich bemerke ich etwas Ungewöhnliches. Zwei Mädchen gehen auf einen Einheimischen zu, der sich gerade eine Zigarette gönnt, sie fragen ihn etwas und er antwortet kopfschüttelnd. Daraufhin geben sie ihm etwas in die Hand und laufen lachend weg. Nun schaut sich der Mann an, was die Kinder ihm gegeben haben. Es ist ein Zettel. Er liest ihn sich durch und in seinem Gesicht stehen Verwunderung und ein leichtes Entsetzen.

      Das Spiel wiederholt sich. Die Kinder rennen erneut zu einem Erwachsenen, fragen ihn freundlich etwas, er reagiert ablehnend, die Mädchen geben dem Erwachsenen daraufhin einen Zettel, dann laufen sie weg, und nachdem der Erwachsene den Zettel durchgelesen hat, friert seine Mimik ein.

      Während mein Bekannter und ich weiter die Kinder beobachten, zündet sich mein Bekannter eine Zigarette an. Völlig unerwartet laufen die höchstens zehnjährigen Kinder jetzt zu uns. Freundlich fragen sie in gebrochenem Englisch nach Feuer und zeigen meinem Bekannten eine Zigarette.

      Im Meer der Werbung untergehen?

      Nun frage ich Sie, wie würden Sie reagieren? Was würden Sie in dieser Situation machen? Wir standen zunächst da, als hätte uns das berühmte Pferd getreten! Natürlich haben wir nach einer gewissen Zeit der Sprachlosigkeit energisch verneint. Wir beide versuchten den Kindern zu erklären, dass Rauchen nicht gesund ist, dass es gerade für Kinder gefährlich sei und sie gar nicht erst damit anfangen sollen. Die beiden Mädchen lachten und gaben uns einen Zettel mit der Aufschrift: »Warum sorgst du dich denn so um mich, wenn es um das Rauchen geht? Du solltest dich lieber um dich sorgen!« Wie wir später erfuhren, war das eine Aufklärungsaktion des thailändischen Gesundheitsministeriums. Ich wette, Sie wären genauso überrascht, wenn nicht gar schockiert (vgl. Kapitel: Prinzip »Schockierend«).

      Warum habe ich Ihnen dieses Erlebnis beschrieben? Es zeigt eindrucksvoll, was es bedeutet, wenn einem etwas bewusst wird. Sie stehen da an einer Straße in Ihrem Urlaubsort. Vergessen