Dominic Multerer

Marken müssen bewusst Regeln brechen, um anders zu sein


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kann genau das auch. Das ist dann allerdings keine Wertschätzung Ihrer Person und Ihrer Zeit.

      Ich muss dem Kunden das Warum erklären

      Was macht denn eine gute Story aus? Eine gute, erlebbare Geschichte beinhaltet drei Zutaten. Die Perspektive ist entscheidend. Eine gute Story geht von den Bedürfnissen des Kunden aus. Die Vorstellungen des Erzählers sind unwichtig. Nicht das, was ich gut finde, zählt, sondern was meine Zielgruppe und den Kunden interessiert. Das muss sich nicht mit meiner Meinung decken! Das zweite Element: Eine coole Story muss einfach sein. Die Geschichte muss so unkompliziert sein, dass der Kunde in dieser Geschichte aufgeht und sie wie ein eigenes Erlebnis weitererzählen kann. Und drittens, was darf bei einem Märchen, bei jeder spannenden Geschichte auf keinen Fall fehlen? Der Held! Geschichten leben vom Helden. Der Held Ihrer Geschichte ist die Marke. Fehlt eine der drei Komponenten, haben Sie keinen »geilen Content«. Die Geschichte fällt in sich zusammen und bleibt unbeachtet.

      Photovoltaik ist in den vergangenen Jahren als alternative Energiegewinnung nicht nur in Fachzeitschriften gelobt worden. Einige Firmen entdeckten diese Technologie für sich als Marktlücke. Im Zuge der immer heftiger werdenden Energiedebatte überlegten immer mehr Menschen und Firmen, ob Photovoltaik auch für sie eine Alternative wäre. Die Industrie griff das wachsende Interesse auf und ging mit Werbung in den Markt. Neben technischen Details warben die Photovoltaikproduzenten damit, dass man »spart«. Der Haken an der Geschichte ist jedoch, dass man erst 20.000 Euro und mehr investieren muss. Es dauert Jahre, bis der Spareffekt eintritt. Neben anderen Gründen sorgte auch diese Kommunikation für ein nachlassendes Interesse bei potenziellen Kunden.

      Sparen kann ich als Kunde überall. Jede Woche erhalte ich Anzeigenblätter, die voll sind mit »Sparangeboten«. Gut, dabei handelt es sich nicht um investitionsintensive Energieanlagen, doch auch hier wird mit »Sparen« gelockt. Dass ich spare, merke ich beim Einkaufen sofort. Ich erlebe »Sparen«, weil ich mir nach dem Einkauf noch einen Cappuccino leisten kann. Der Held, der mir beim Sparen hilft, ist die Marke meines Discounters. Bei der Photovoltaikanlage hingegen fehlt dieser Held. Ich muss zunächst in die Marke investieren, und 20.000 Euro und mehr sind für Hausbesitzer eine stolze Summe. Die Marke der Photovoltaikanlage verspricht mir zwar, dass ich spare, aber der Spareffekt geschieht hier langsam über zehn oder gar fünfzehn Jahre hinweg. Spürbar ist das zunächst mal nicht. Was sehr wohl und unmittelbar spürbar ist, ist der »Verlust« der Investitionssumme. Würde man eine andere Story erzählen, das Argument »sparen« anders übersetzen, würde man beim Verbraucher ein ganz anderes Bild erzeugen. Diese Story könnte zum Beispiel lauten: »Unsere Anlage schenkt Ihnen Freiheit. Wir verschaffen Ihnen die Unabhängigkeit von Ihrem Energiekonzern schon heute!« Die Story würde sich so vom »Dieb« zum Helden drehen, der mich aus den Fängen des Energiekraken befreit. Zudem muss ich keine zehn, fünfzehn Jahre auf mein Erlebnis warten. Spätestens wenn das Montageteam auf den Hof fährt, bin ich unabhängig! So entsteht Nähe – und ein völlig anderes Erlebnis.

      Wie wir die Story gedreht haben? Dahinter steckt eine ganz einfache Fragekette, die da lautet: was, wie, warum. Was? Eine Photovoltaikanlage! Wie? Einfach aufs Dach rauf, anschließen und fertig. Warum? So bist du unabhängig und frei und kannst deinen eigenen Strom so verbrauchen, wie du möchtest. In der heutigen Zeit sind Freiheit und Unabhängigkeit für fast alle Menschen etwas ganz Wichtiges.

      Marke ist der Ursprung von allem

      Man braucht Mut, um Grenzen zu überschreiten

      Der Schlüssel zu einer veränderten Betrachtung ist die innere Einstellung. Das betrifft alles und schließlich auch die Marke. Mir ist schon klar, ich wiederhole mich bereits jetzt in einigen Punkten. Ich tue das, weil es so wichtig ist: Das Thema Marke ist der Ursprung von allem, der Geschäftsbilanz, der Mitarbeiter, der Investitionen, der Ware, der Partner, des Marketings und schließlich der Werbung. Marke ist kein »nice to have«, kein Schnickschnack. Marke ist reiner Selbstzweck für mein Geschäft. Und dennoch machen viele nur »irgendwie« in Marke und in Marketing. Wenn »alle«, also die Mehrheit, irgendwie in Marke machen, wird es schon richtig sein. So die scheinbar einstimmige Meinung. Das kommt dem provokanten Satz gleich: Wenn alle vom Hochhaus springen, springst du dann auch? Spätestens dann kommt der Einwand: Nein, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wenn alle das machen, muss ich das doch nicht ebenfalls machen!

      Heute reicht es nicht mehr, wenn das Produkt gut ist

      Das Verhalten der Mehrheit scheint die Regeln des Marktes zu bestimmen, so kommt es mir vor. Wenn sich alle gleich verhalten, ist das gleich die Regel? Was sind Regeln? Wer hat sie aufgestellt? Wer sagt mir, dass ich diese nicht brechen darf? Wie soll ich mir etwas bewusst machen, wenn ich keine Vorstellung habe oder meine Vorstellung unklar ist? Wenn ich mir aber vor Augen halte, was genau die Spielregeln meiner Branche sind, dann kommt dieser Schockeffekt, dieses »Ahh!«. Erst dann wird mir etwas bewusst. Dann kann ich auch feststellen, ob es Regeln im Sinne von Gesetzen sind, nach denen sich die »träge Masse« richtet, oder nur Klischees und Gewohnheiten. Im Rahmen von geltenden Gesetzen kann ich sehr wohl mit Klischees brechen und Grenzen überschreiten. Alles, was man braucht, ist Mut, um anders zu sein.

      Das führt zum nächsten grundlegenden Problem. Kaum jemand nimmt sich Zeit für die bewusste Auseinandersetzung mit Gedanken und Ideen. In großen Betrieben ist das Denken meistens quartalsgetrieben. In kleinen und mittleren Betrieben (KMU) steht eher die Tradition im Wege, nach dem Motto »Das haben wir schon immer so gemacht«. Obwohl gerade die KMUs wesentlich dichter an ihren Produkten, Kunden, Zielgruppen und deren Geschichten sind. Gerade im deutschsprachigen Raum herrscht die Einstellung vor, wenn das Produkt gut ist, spielen Marketing und Marke kaum eine Rolle. Der Erfolg gab dieser Haltung lange Zeit sogar recht. Doch jetzt, da die Märkte enger werden und auch die internationale Qualität vergleichbar geworden ist, reicht ein gutes Produkt nicht mehr aus! Es braucht schon mehr, um am Markt erfolgreich zu bleiben. Auch das steht im Zusammenhang mit Bewusstsein.

      Zunehmend wird das in den Betrieben und Konzernen erkannt, wie am Einsatz externer Partner deutlich wird. Aber was ist, wenn die Externen selbst noch kein entsprechendes Bewusstsein entwickelt haben? Wie sollen diese Berater – damit meine ich Agenturen und Marketingverantwortliche – Ideen und Konzepte vermitteln? Das wäre so, als wollten Sie einen Führerschein machen und gingen zu einem Fahrlehrer, der zwar schon einen Fahrschulwagen besitzt, aber selbst noch in der Ausbildung steckt. Das wird nichts!

      Wichtig im Verhältnis von Berater und Kunde ist auch die Sprache. Viel zu oft wird mit dem Kunden in einer Sprache geredet, die dieser nicht versteht. Bei Formulierungen wie »Da müssen wir uns committen« flippt ein gestandener Tischler oder sogar ein Ingenieur aus. »Wir performen Ihren Betrieb mal anders« – ein Ingenieur aus einem mittelständischen Betrieb, der Spezialteile herstellt, dreht bei solchen Ausdrücken durch. Neben einem Bewusstsein für mich muss ich vor allem ein Bewusstsein für den Kunden entwickeln. Mein Denken ist unwichtig. Die Denkweise des Kunden ist entscheidend. Das erleichtert mir die Umsetzung und dann kann ich auch »machen«.

      Bei kleinen und mittleren Betrieben kommt eine weitere Hürde dazu. Sie sehen keinen Bezug zur bunten »Weiten.Werbe.Welt«. Wenn sich Beispiele rein auf Unternehmen wie Otto, Red Bull, McDonald’s oder die Deutsche Bahn beziehen, können sie damit überhaupt nichts anfangen. Das ist zu fern von ihrer eigenen Praxis und das sind ganz andere Finanzdimensionen. Dennoch kann auch ein mittelständischer Betrieb von einem Konzern lernen. Die Dimension des Unternehmens ist egal. Der Mechanismus, das »Wie«, ist entscheidend. Hier ein Beispiel, um das zu verdeutlichen.

      Was hat ein Fliesenleger mit Helmut Schmidt zu tun?

      Warum lesen Menschen Biografien von Napoleon, Helmut Schmidt oder Steve Jobs? Ein Mensch wie mein Opa könnte sagen: »Warum soll ich mir das durchlesen? Ich bin Handwerker und kein Feldherr!« Trotzdem lesen Menschen diese Geschichten. Die einen lesen Biografien zu ihrer Unterhaltung. Andere interessiert das »Wie«. Wie hat es zum Beispiel Steve Jobs geschafft, aus einer Garagenfirma einen Weltkonzern zu machen? Was kann ich mir davon abschauen? Kann ich das für mein Geschäft nutzen? Genauso funktioniert es auch mit Fallbeispielen von bekannten Konzernen oder Marken. Durch einen Sparringspartner fällt das Ableiten aus diesen Cases leichter. Marketingdienstleister, die das verstehen, stellen eine Art Trainingsprogramm