zu Jahrhundert unsterbliche Diamanten einfügt in die Krone der Dichtung jener Länder, in denen die schönen Künste gepflegt werden. Er führte den Geist der alten Zeiten ein; er vereinigte in ihr das Drama, den Dialog, das Porträt, die Landschaft und die Schilderung; er wies dem Wunderbaren und dem Wahren seine Stellung an, jenen Elementen der Epik, und bei ihm berührte sich die Poesie mit der Vertraulichkeit der niedrigsten Sprache. Aber da er weniger ein System ersonnen, als vielmehr im Feuer der Arbeit oder durch die Logik der Arbeit seine Manier gefunden hatte, so war ihm nie der Gedanke gekommen, seine Dichtungen miteinander zu verknüpfen, so daß durch die Nebeneinanderordnung eine vollständige Geschichte entstand, deren jedes Kapitel ein Roman war und jeder Roman eine Zeitgeschichte. Als ich diesen Mangel der Bindung erkannte, der übrigens die Größe des Schotten nicht schmälert, sah ich zugleich das System, das der Ausführung meines Werkes günstig war, und die Möglichkeit, es auszuführen. Wenn ich auch sozusagen geblendet war durch die überraschende Fruchtbarkeit Walter Scotts, der sich stets gleich und stets originell bleibt, so verzweifelte ich doch nicht, denn ich fand die Wurzel dieses Talentes in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Menschennatur. Der Zufall ist der größte Romandichter der Welt: um fruchtbar zu werden, braucht man nur zu studieren. Die französische Gesellschaft sollte der Historiker sein, ich nur ihr Sekretär. Wenn ich die Inventur der Laster und Tugenden aufnahm, wenn ich die hauptsächlichsten Daten der Leidenschaften sammelte, wenn ich die Charaktere schilderte, wenn ich die wichtigsten Ereignisse des sozialen Lebens auswählte, wenn ich durch die Vereinigung der Züge vieler gleichartiger Charaktere Typen schuf, so konnte es mir vielleicht gelingen, die von so vielen Historikern übersehene Geschichte zu schreiben: die der Sitten. Mit viel Geduld und großem Mut konnte ich über das Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts jenes Buch zustande bringen, nach dem wir alle uns sehnen, das uns Rom, Athen, Tyrus, Memphis, Persien und Indien unglücklicherweise über ihre Zivilisationen nicht hinterlassen haben, und das nach dem Beispiel des Abbé Barthélemy der mutige und geduldige Monteil für das Mittelalter zu schreiben unternahm, jedoch in wenig anlockender Form.
Aber diese Arbeit war noch nichts. Der Schriftsteller, der sich an eine solche genaue Wiedergabe hielt, konnte ein mehr oder minder treuer, mehr oder minder glücklicher, geduldiger oder mutiger Schilderer der menschlichen Typen, ein Erzähler der Dramen des Alltagslebens, ein Archäolog des sozialen Apparates, ein Namengeber für die Berufe und ein Registrator des Guten und Bösen werden; um mir aber das Lob zu verdienen, nach dem jeder Künstler streben soll, mußte ich da nicht die Ursachen oder die Ursache für all diese sozialen Wirkungen studieren? Mußte ich nicht den verborgenen Sinn in dieser ungeheuren Häufung von Gestalten, Leidenschaften und Ereignissen erhaschen? Und wenn ich diese Ursache, diese treibende Kraft in der Gesellschaft, gesucht (ich sage nicht: gefunden) hatte, mußte ich da nicht über die natürlichen Prinzipien nachgrübeln und erforschen, worin sich die Gesellschaften von der ewigen Regel, vom Wahren und Schönen entfernen oder sich ihnen nähern? Trotz der Ausdehnung der Prämissen, die für sich allein schon ein Werk sein konnten, verlangte das Ganze, um ein Ganzes zu werden, einen Schluß. So geschildert, mußte die Gesellschaft den Sinn ihrer Bewegung in sich selber tragen.
Das Gesetz des Schriftstellers, das, was ihn zu einem solchen werden läßt, ja, ich scheue mich nicht zu sagen, was ihn dem Staatsmann gleich, wenn nicht gar überlegen macht, das ist eine irgendwie über alle menschlichen Dinge gefällte Entscheidung, eine absolute Hingabe an Prinzipien. Machiavelli, Hobbes, Bossuet, Leibniz, Kant, Montesquieu sind die Wissenschaft, die die Staatsmänner anwenden. »Ein Schriftsteller muß in der Moral und in der Politik feste Anschauungen haben, er muß sich als einen Erzieher der Menschen betrachten; denn um zu zweifeln, bedürfen die Menschen keiner Lehrer«, sagt Bonald. Ich habe mir diese großen Worte, die so gut das Gesetz des monarchischen Schriftstellers sind wie das des demokratischen, früh zur Richtschnur genommen. Und wenn man mich also mir selber entgegenhalten will, so wird es sich finden, daß man irgendeine Ironie falsch gedeutet hat, oder daß man die Worte einer meiner Gestalten unsinnigerweise wider mich wendet: ein Verfahren, das den Verleumdern geläufig ist. Was den verborgenen Sinn, die Seele dieses Werkes angeht, so mögen diese Prinzipien, die ihm als Grundlage dienen, hier folgen.
Der Mensch ist weder gut noch böse; er wird mit Instinkten und Anlagen geboren; die Gesellschaft verdirbt ihn keineswegs, wie Rousseau es behauptet hat, sie vervollkommnet ihn, sie macht ihn besser; aber das Interesse entwickelt auch seine schlimmen Neigungen. Das Christentum, und besonders der Katholizismus, ist als ein vollständiges System der Unterdrückung aller entarteten Neigungen des Menschen, und als solches habe ich ihn im »Landarzt« dargestellt, die größte Kraft der sozialen Ordnung.
Wenn man die Schilderung der Gesellschaft, die gewissermaßen nach dem lebenden Körper mit all seinen Vorzügen und Schwächen abgegossen wurde, aufmerksam durchliest, so ergibt sich diese Lehre, daß der Gedanke oder die Leidenschaft, die Denken und Empfinden umschließt, wenn sie das bauende Element der Gesellschaft darstellt, doch auch zugleich ihr zerstörendes Element ist. Darin gleicht das soziale Leben dem menschlichen Leben. Man kann den Völkern nur dadurch ein langes Leben geben, daß man ihre Lebenstätigkeit dämpft. Die Aufklärung oder, besser, die Erziehung durch religiöse Körperschaften ist also für die Völker das große Daseinsprinzip, das einzige Mittel, in der ganzen Gesellschaft die Summe des Bösen zu verringern und die Summe des Guten zu mehren. Das Denken, der Ursprung des Guten und Bösen, kann nur durch die Religion vorbereitet, gebändigt, gelenkt werden. Die einzige, mögliche Religion ist das Christentum. (Siehe im »Louis Lambert« den von Paris aus geschriebenen Brief, in dem der junge mystische Philosoph bei Gelegenheit von Swedenborgs Lehre auseinandersetzt, wieso es seit der Entstehung der Welt stets nur eine Religion gegeben hat.) Das Christentum hat die modernen Völker erschaffen, es wird sie auch erhalten. Daher zweifellos die Notwendigkeit des monarchischen Prinzips. Der Katholizismus und das Königtum sind Zwillingsprinzipien. Was die Grenzen angeht, in denen diese beiden Prinzipien durch Gesetze einzuschließen sind, damit sie sich nicht bis ins Absolute entwickeln können, so wird ein jeder spüren, daß ein so gedrängtes Vorwort, wie dieses es sein muß, nicht zu einem politischen Traktat werden darf. Daher kann ich mich auch nicht auf die religiösen und politischen Streitfragen des Augenblicks einlassen. Ich schreibe beim Licht zweier ewiger Wahrheiten: der Religion und der Monarchie, zweier Notwendigkeiten, die die zeitgenössischen Ereignisse verkünden und zu denen jeder verständige Schriftsteller unser Land zurückzuführen versuchen muß. Ohne ein Gegner der Wahl zu sein (sie ist ein ausgezeichnetes Prinzip der Gesetzgebung), weise ich die Wahl als einziges soziales Hilfsmittel zurück, zumal wenn sie so schlecht organisiert ist wie heute, da sie imponierende Minoritäten, an deren Gedanken und Interessen eine monarchische Regierung denken würde, überhaupt nicht vertritt. Die Wahl gibt uns, wenn sie auf alles ausgedehnt wird, die Regierung durch die Massen, die einzige, die nie verantwortlich ist und deren Tyrannei keine Grenzen kennt, denn sie nennt sich ›das Gesetz‹. Deshalb erscheint mir auch die Familie, nicht das Einzelwesen, als wahres Element der Gesellschaft. In dieser Hinsicht trete ich auf die Gefahr hin, als rückschrittlerischer Geist zu gelten, auf die Seite Bossuets und Bonalds, statt mich den modernen Neuerern anzuschließen. Da die Wahl zum einzigen Werkzeug der Gesellschaft geworden ist, so dürfte man, wenn ich selbst meine Zuflucht zu ihr nähme, daraus nicht auf den geringsten Widerspruch zwischen meinen Worten und meinen Handlungen schließen. Ein Ingenieur warnt davor, daß die und die Brücke einzustürzen droht, daß es gefährlich ist, sie zu benutzen, und er geht doch selbst hinüber, wenn sie die einzige Straße ist, auf der man in die Stadt kommt. Napoleon hatte die Wahl dem Geist unseres Landes trefflich angepaßt. Daher waren denn auch die geringsten Abgeordneten seiner Gesetzgebenden Körperschaft noch die berühmtesten Redner der Kammern unter der Restauration. Keine Kammer war so viel wert wie die Gesetzgebende Körperschaft, wenn man sie Mann für Mann verglich. Das Wahlsystem des Kaiserreichs ist also unstreitig das bessere.
Manche werden diese Erklärung hoffärtig und ruhmredig finden. Man wird mit dem Romandichter Zank suchen, weil er Geschichtsschreiber sein will; man wird ihn zur Rede stellen über seine Politik. Ich komme hier einer Verpflichtung nach, das ist meine ganze Antwort. Das Werk, das ich unternommen habe, wird so lang wie eine Weltgeschichte, und ich war seinen noch verborgenen Sinn, seine Prinzipien und seine Moral schuldig.
Ich muß notwendigerweise jene Vorreden streichen, die geschrieben wurden, um wesentlich vergänglichen Kritiken zu entgegnen, und ich will aus ihnen nur eine Anmerkung erhalten.
Die Schriftsteller,