Menschheit nur zum Segen gereichen!“ sprach Salome, der die übermäßige Trinklust ein Greuel war, und die es peinlich berührte zu sehen, wie namentlich die jungen Bürgersöhne ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Landesherrn dem Wein in großen Mengen zusprachen.
„Eure Zustimmung erquickt meinen Sinn, wie Eure Anmut mein Herz ergötzt!
Ich wünsche mir nichts Besseres, als mit Euch, teure Salome, auch die
Maßnahmen der Regierung beraten zu können. Seid Ihr dazu gewillt?“
Salome fühlte den tieferen, verhüllten Sinn dieser Frage, und heiße Röte schoß in des klugen Mädchens Wangen, ein Zittern lief durch ihren Körper, bebenden Tones erwiderte sie: „Wie sollt' ich je in solche Lage kommen? Gebannt in die engen Schranken der Häuslichkeit, gezwungen nach Zeit und Art, zu stiller Arbeit, Sinn und Zunge gefesselt! Doch was will ich sagen, da Fürstentöchter es kaum anders haben und verdorren schier in dumpfer Kemenate!“
„So sehnt Salome sich hinaus in die Freiheit glanzerfüllter Welt?“
„Nicht das ist meines Sinnes Streben, gnädigster Herr! Ich kenne die gezogenen Grenzen und beug' mich willig diesem Gebot. Was ich ersehne heiß, wär' ein Erfassen vieler Dinge, die man kaum dem Namen nach uns einst gelehrt! Denkt nur, hoher Gebieter, wie karg die Kost gewesen, die uns Mädchen man gereicht! Ein winzig Kritzeln, etwas Lesen, des Mehreren von heiliger Religion, und in der Erdbeschreibung hat es vollauf genügt zu wissen, daß fern im Süden liegt das heilige, ewige Rom.“
„Sothanes will auch mich nicht viel bedünken, doch mag's für deutsche Fürstentöchter genügen. Ihr aber, Schön-Salome, wollt mit Gram herabdrücken Euren edlen Geistes feine Bildung! So manch' Gespräch, die feingesetzten Worte, sie verraten Euren hellen Geistes hohen Flug, die Klage über geringen Unterricht in jungen Jahren stimmt nicht zur staunenswerten Kenntnis vieler Dinge. Ich nannt' Euch doch vorhin schon einen Diplomaten, wollt' stecken Euch in meiner Juristen Schar, und warum? Weil Eures Verstandes Schärfe, ein klug Erfassen dessen, was kaum der Zunge Laut noch ausgesprochen, schon bethätigt ist vom aufgeweckten Kopf. Ihr dürstet wohl nach Erweiterung von Gedanken, denkt an hohe Ziele, die in Mädchenkemenaten nicht wollen Wurzel fassen? Gern beut ich die Hand, Euch zu verhelfen zum Flug in des Geistes höhere Regionen! Mein Fürstenwort geb' ich zum Pfand!“
Das Mahl war zu Ende und die Zeit sehr vorgeschritten, der Tanz sollte beginnen. Die höfische Etikette verlangte vom Fürsten und Erzbischof, sich nun ins Palais zurückzuziehen, so gern Wolf Dietrich auch mit Salome noch gesprochen. „Ich sehe Euch bald wieder!“ flüsterte er dem schönen Fräulein zu, und ein heißes Verlangen flog durch seinen geschmeidigen Körper. Noch ein lodernder Blick, dann erhob sich der Fürst, um den nun die Höflinge sich scharten.
Leutselig wandte sich der Fürst nun an den Bürgermeister und sprach in formvollendeter Rede, die dem Ruf Wolf Dietrichs als vorzüglicher Kanzelredner voll entsprach, seinen fürstlichen Dank aus für das Fest und die gute Tafel. Geschmeichelt akklamierten die Patrizier den Landesherrn mit lebhaften Hochrufen, unter welchen Wolf Dietrich sich von beiden Alts, dann von Salome verabschiedete. Freundlich nickend nach allen Seiten schritt der junge Fürst durch den Saal, Trompetenschall und Trommelwirbel ertönte, bis die Ratsherren vom Geleite zurückkehrten.
Die Jugend bekam ihr Recht, die Ratsherren zogen sich in eine Stube zurück, um sich vom Bürgermeister Näheres über die fürstlichen Äußerungen erzählen zu lassen, und die Frauen hielten ein Plauderstündchen ab, das völlig Salome und den ihr vom jungen Fürsten gewordenen, geradezu auffälligen Huldigungen gewidmet war. Salome selbst fühlte sich erschöpft und müde; jetzt sich von Junkern und Bürgersöhnen zum Tanz führen zu lassen, war dem Fräulein unmöglich. Zu viele Gedanken kreisten durch den Kopf, es schwindelte Salome, und unabweisbar ward das Verlangen, allein zu sein in traulich stiller Kemenate. So trat Salome just im Augenblick, da Wilhelm Alt sich zu den Ratsherren in die Nebenstube begeben wollte, zum Vater und bat ihn um Geleit nach Hause.
Ein durchdringender Blick schien in des Mädchens Seele lesen zu wollen, nur widerwillig gab Alt seine Zustimmung mit dem Beifügen, daß die Muhme Salome nach Hause bringen solle; zugleich wurde ein Stadtknecht, deren einige im Erdgeschoß des Trinkhauses auf Verwendung harrten, beauftragt, den Damen die Leuchte vorauszutragen.
Unauffällig entfernten sich Muhme und Nichte, denen auf der verschneiten
Gasse der Knecht das Lämpchen vorantrug. Die frische Luft der
Winternacht erquickte Salome und gierig atmeten die Lungen den reinen
Odem ein. Frau Alt kam außer Atem durch das hastige Fragen, was der
Fürst denn alles zu erzählen wußte, und durch die begeisterten Lobreden
auf die Leutseligkeit desselben. Die Muhme merkte dabei gar nicht, daß
Salome sich schweigend verhielt, und daß der Knecht um eine halbe
Gassenlänge vorausgegangen ist. Jäh verstummte die geschwätzige
Bürgermeisterin, als hinter ihrem Rücken eine Männerstimme ertönte:
„Die Schlanke ist's! Schnell!“
Blitzschnell ward ein Tuch um den Kopf der Muhme geworfen, Salome ward von vermummten Männern umringt, emporgehoben und in eine inzwischen herangebrachte Sänfte gesteckt, die in raschem Tempo dem Domplatz zu weggetragen wurde. Das alles vollzog sich schnell und lautlos; nur die entsetzte Bürgermeisterin kreischte, doch erstickte das dicke Tuch ihre Jammertöne. Bis Frau Alt dieses Tuch vom Kopf gezogen, war die Stelle menschenleer, nachtschwarz alles ringsum, die Gasse nur vom Schneelicht schwach beleuchtet. Ist es Spuk gewesen? Haben böse Geister das Mädchen von ihrer Seite gerissen oder ist Salome in den Erdboden versunken?
Der Knecht kam mißmutig ob solcher Verzögerung zurück und machte aus
seiner Stimmung kein Hehl. Dabei merkte er aber am Gezeter der
Bürgermeisterin, daß sich etwas Absonderliches ereignet haben müsse.
„Ist 'leicht etwas passiert?“ fragte er.
„Mord und Totschlag! Mich haben sie ermordet und Salome ist verschwunden! Du bist mir ein wackerer Beschützer in Nacht und Not!“ kreischte verzweifelnd Frau Alt.
Fassungslos starrte der Knecht die Bürgermeisterin an und leuchtete ihr mit dem Lämpchen ins runzelige Gesicht. Dann drehte er sich ringsum, als wollte er im Schnee das verschwundene Fräulein suchen.
„Bring' nur mich schnell nach Hause, und dann lauf' zum Bürgermeister, vermeld' ihm den Raub unserer Nichte, es sollen die Stadtknechte, die Büttel fahnden! Laßt Sturm läuten! Huhu, dort kommt wieder so ein schwarzer Mordbube, der Beelzebub selber!“
Erschrocken griff der Knecht die Bürgermeisterin beim Arm und riß sie mit sich im Sturmlauf zum Trinkhaus, das durch die Hilferufe beider im Nu alarmiert war. Die Kunde von einer Entführung Salomes wirkte auf die Festgesellschaft geradezu lähmend, sie ernüchterte die Männer und verursachte Weibern Krämpfe. Ludwig Alt vermochte das Ereignis nicht zu fassen und rief immer wieder: „Nicht möglich! Ein Mädchenraub in unserer stillen, ehrsamen Stadt von der Gasse weg! Es kann nicht wahr sein!“
Vater Wilhelm Alt schwur, die ihm angethane Schmach rächen zu wollen, wer immer der Mädchenräuber sein möge.
Sämtliche Rumorknechte und Büttel wurden aufgeboten, die nun nach Hause verlangenden Festgäste auf dem Heimweg schützend zu begleiten. Doch nichts von Räubern, nicht ein Schatten zeigte sich in den wie ausgestorben scheinenden, schneeerfüllten, vom Mondlicht schwach erleuchteten Gassen Salzburgs.
Beide Alts aber, von handfesten Knechten begleitet, visitierten unter Anführung des Rottmeisters die Thore der festgeschlossenen Stadt und hielten bei den Türmern Umfrage, ob jemand zu Roß, Wagen oder mit einer Sänfte Auslaß begehrt und erhalten habe. Dies war nach bestimmten Erklärungen der Türmer nicht der Fall, ratlos kehrten beide Alts in ihre Behausungen zurück. In Wilhelm Alt, dem Vater Salomes, aber stieg ein furchtbarer Verdacht auf, der ihm die Nachtruhe raubte.
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