flatternd und schlagend, einem verendenden, grausigen, beflügelten Untiere gleich, menschliche Schreie ausstoßend und fast sofort beginnend, in gebrochener Lebenskraft einherzukriechen.
Mabel wusste kaum mehr, was nun geschah; aber einen Augenblick später ward sie durch einen heftigen Druck von rückwärts nach vorn gedrängt, bis sie, vom Kopf bis zu den Füßen zitternd, vor einer formlosen Masse, dem zermalmten, stöhnenden und sich windenden Körper eines zu ihren Füßen liegenden Mannes stand. Etwas wie artikulierte Laute stieß er aus; sie unterschied deutlich die Namen: Jesus und Maria.
»Lassen Sie mich durch, ich bin ein Priester«, drang es plötzlich an ihr Ohr.
Einen Augenblick stand sie still, betäubt durch die Plötzlichkeit all dieser Dinge, und beobachtete beinahe verständnislos den grauhaarigen jungen Priester, der, auf den Knien liegend, dem geöffneten Überrocke ein Kruzifix entnommen hatte. Sie sah ihn sich tief niederbeugen, mit der Hand ein kurzes Zeichen machen und hörte ihn in einer ihr unbekannten Sprache murmeln. Dann stand er wieder auf, das Kruzifix hochhaltend, und sie sah, wie er sich voran bewegte nach der Mitte des in Blut schwimmenden Platzes, da und dorthin, wie nach einem bestimmten Zeichen ausschauend. Jetzt kamen über die Treppen des großen, zu ihrer Rechten gelegenen Hospitals Leute herabgerannt, ohne Hut, und ein jeder einen, einer altmodischen Handkamera ähnlichen Gegenstand tragend. Sie wusste, wer diese Männer waren, und ihr Herz schlug erleichtert. Es waren die Euthanasiebeamten.1 Dann fühlte sie sich bei den Schultern gepackt und zurückgestoßen und fand sich sofort wieder in der vordersten Reihe einer hin- und herschwankenden, schreienden Menge und hinter einer Kette, die sich aus Polizisten und Zivilisten gebildet hatte, um dem Andrang abzuwehren.
1 Original: »ministers of euthanasia«, in der ersten Fassung sinnlos mit »Diener Euthanasias« übersetzt. <<<
3.
Oliver war von einem panischen Schrecken befallen, als seine Mutter eine halbe Stunde darauf mit der Nachricht hereinstürzte, eines der Regierungsflugschiffe sei eben, als der Vierzehneinhalb-Uhr-Zug seine Passagiere in Brighton abgesetzt hatte, auf den Bahnhofsplatz herabgestürzt. Er wusste nur zu genau, was das zu bedeuten hatte, denn er erinnerte sich eines solchen vor zehn Jahren erfolgten Unglückes, kurz nachdem das Gesetz erlassen worden war, das Privatflugschiffe verbot. Es bedeutete, dass jedes darauf befindliche lebende Wesen getötet war und wahrscheinlich noch viele andere, die sich auf dem Platze, auf den es gestürzt war, befunden hatten, — und was dann? Der Bericht war nur zu klar: Sie musste um diese Zeit auf dem Platze gewesen sein.
Er sandte eine verzweifelte Depesche an ihre Tante und wartete, auf seinem Stuhl hin- und herrückend, auf die Antwort. Seine Mutter saß bei ihm.
»Gebe Gott —«, schluchzte sie auf und hielt verlegen inne, als er sich plötzlich nach ihr wandte.
Aber das Schicksal war gnädig gewesen, und drei Minuten, bevor Mr. Phillips mit der Antwort den Pfad entlanghumpelte, trat Mabel selbst ins Zimmer, ziemlich blass und lächelnd.
»Himmel!«, rief Oliver, tief aufatmend, während er aufsprang.
Sie hatte ihm nicht viel zu erzählen; es war noch keine Erklärung des Unglückes veröffentlicht.
Sie beschrieb den Schatten, das Zischen und den Krach des Falles. Dann stockte sie.
»Nun, meine Liebe?«, fragte ihr Gatte, dessen Wangen noch von einer ziemlichen Blässe bedeckt waren, während er sich nahe zu ihr heransetzte und ihre Hand streichelte.
»Es war ein Priester dabei«, sagte Mabel, »ich sah ihn schon vorher auf der Station.«
Oliver konnte sich eines etwas krampfhaften Lachens nicht enthalten.
»Er lag mit seinem Kruzifix sofort auf den Knien«, fuhr sie fort, »noch ehe die Ärzte erschienen. Sag’ mir einmal, mein Lieber, glauben die Leute tatsächlich alles dieses?«
»Warum nicht? Sie denken wenigstens, es zu glauben«, sagte Oliver.
»Es kam alles so — so plötzlich, und er stand da, wie wenn er alles erwartet hätte. Oliver, wie können sie nur?«
»Weshalb? Die Leute werden an alles glauben, wenn sie nur frühzeitig damit beginnen.«
»Und der Mann schien ebenfalls daran zu glauben, — der Sterbende, meine ich. Ich sah es in seinen Augen.«
Sie stockte.
»Nun, meine Liebe?«
»Oliver, was würdest du einem Sterbenden sagen?«
»Sagen? Nichts, natürlich! Was könnte ich sagen? Aber ich glaube nicht, dass ich jemals jemanden sterben sah.«
»Auch ich nicht, bis heute«, sagte die junge Dame und schauderte ein wenig. »Die Euthanasieleute waren bald an der Arbeit.«
Oliver nahm sie sanft bei der Hand.
»Mein Liebling, es musste entsetzlich gewesen sein. Wie, du zitterst ja immer noch?«
»Nein, aber höre einmal … Weißt du, wenn ich irgendetwas hätte sagen sollen, hätte ich es auch tun können. Sie lagen alle gerade vor mir, ich war verwirrt; dann aber wusste ich, dass ich nichts zu sagen hatte. Ich hätte doch nicht gut von Humanität sprechen können.«
»Meine Liebe, es ist ja bedauerlich, aber du weißt, es liegt wirklich nicht viel daran. Es ist ja alles schon vorüber.«
»Und — und sie haben sogleich ein Ende gemacht?«
»Freilich, ja!«
Mabel presste ihre Lippen ein wenig zusammen, denen ein schwerer Seufzer entfuhr. Eine Art innerer Unruhe, die sie nachdenklich machte, war während der Rückfahrt über sie gekommen. Sie wusste bestimmt, es waren nur die Nerven, aber sie konnte derselben noch nicht Herr werden. Es war, wie sie gesagt, das erste Mal, dass sie den Tod gesehen hatte.
»Und jener Priester — jener Priester denkt auch so?«
»Meine Liebe, lass dir sagen, was er glaubt. Er glaubt, dass der Mann, dem er das Kruzifix vorgehalten und über den er jene Worte gesprochen hat, nun irgendwo anders lebt, obwohl sein Gehirn tot ist; er weiß nicht ganz sicher, wo, aber entweder ist er in einer Art Hochofen, um langsam verbrannt zu werden, oder, wenn er Glück gehabt und jenes Stück Holz seine Wirkung getan hat, irgendwo über den Wolken vor drei Personen, die aber nur eins sind, obwohl es drei sind; er glaubt, dass dort noch eine große Menge andrer Leute sind, ferner