und der Mann vom Mondgebirge empfand und fühlte ihn bis in die feinsten Abtönungen und Schwingungen. Wie in ein Zauberreich sah Leonhard Hagebucher aus dem Schatten seiner Bäume in die goldgrüne Landschaft, und ein Zauber war’s, als Fräulein Nikola die drei anderen Mädchen ihre Spiele allein fortsetzen ließ, langsam gegen den Waldrand heranschritt und sich, ihren Schoß voll Wiesenblumen, neben dem aus den libyschen und äthiopischen Hexenbanden Erlösten niederließ.
»Der Himmel möge Ihre Beschaulichkeit segnen, Herr Afrikaner. Darf man wissen, was der gute Tag Ihnen Angenehmes zu sagen hat?«
»Er sagt nur: Halte den Mund, liege still und rühre dich nicht!« antwortete Leonhard, und das Hoffräulein meinte lachend:
»So wird es sein. Wir riefen Sie vorhin, den wilden Rosenstock dort für uns niederzuziehen, da die feinsten Knospen gewöhnlich in der Höhe wachsen. Sie ließen uns rufen, mein Herr, brummten höchstens, dass Sie sogleich kommen würden, und blieben liegen, so lang Sie sind. Das war, allem geheimnisvollen Naturverkehr zum Trotz, nicht höflich.«
»Es ist so schwer, sich wieder in der Zivilisation zurechtzufinden, Fräulein«, sprach Leonhard mit einem tiefen Seufzer. »Es ist eine so schwere und traurige Arbeit, zum zweiten Mal mit dem Abc des Lebens beginnen zu müssen.«
»Weshalb geben Sie sich die Mühe?« fragte Nikola von Einstein, schnell und hell von ihren Blumen aufblickend. »Ich würde es nicht tun; ich würde bleiben, wie ich wäre; gewiss, gewiss, ich würde eine solche mir vom Schicksal angewiesene magische Ausnahmestellung sicherlich nicht wieder austauschen gegen diese erbärmliche, langweilige Routine des europäischen Alltagslebens.«
»Das klingt, als hätten Sie über den Zustand meiner armen Seele ziemlich tief nachgedacht, junge Dame.«
»Natürlich! Sind Sie doch etwas ganz Neues im Kreise meiner Erfahrung! Die Historie Ihrer Abenteuer hat mich nicht wenig aufgeregt; ich danke den freundlichen Göttern, welche Sie während meines hiesigen Aufenthaltes nach Bumsdorf zurückführten. Sie sind ein Problem, Herr Hagebucher, und ein solches lässt das Wesen, welches Sie einen gebildeten Menschen nennen werden, in unsern Tagen so leicht nicht fahren, ohne es nach den verschiedensten Seiten hin gedreht und gewendet zu haben.«
»Fräulein von Einstein, wie alt sind Sie?« fragte Leonhard, sich halb aufrichtend, und das Ehrenfräulein lachte von neuem hellauf und antwortete mit einem vergnügten Seitenblick:
»Unausdenkbar alt! Weit, weit, weit hinaus über jegliches Abc. Länger als siebenundzwanzig sehr lange Jahre hat die Welt sich meiner Gegenwart zu erfreuen, und mein Taufschein soll Ihnen zur Einsicht bereit sein, wenn Sie mich demnächst einmal in der Residenz besuchen wollen, Herr Afrikaner.«
»Siebenundzwanzig Jahre? Siebenundzwanzig Jahre! ’s ist freilich ein schönes Alter für ein junges Mädchen«, sprach Herr Leonhard Hagebucher nachdenklich.
»Und umso schöner, als mir die Ketten des Tumurkielandes noch um Hand- und Fußgelenke klirren.«
»Maschallah!« rief Leonhard mit einem Blick auf den zierlichen Knöchel, welcher sich unter dem Saume des Kleides hervorgestohlen hatte. »Das wäre eine Geschichte, welche mich freilich um manchen Schritt auf meinem Wege in den europäischen Tag hinein fördern könnte. Erzählen Sie mir ein weniges von Ihren Ketten, Fräulein Nikola, Sie finden auf der ganzen Erde keinen Menschen, der weniger Missbrauch von Ihrem Vertrauen machen könnte und der mehr zu lernen hätte.«
Nikola fügte eine neue Blume ihrem Kranze ein und summte:
»Debout, ihr Kavaliere!
Ihr Pagen und Hartschiere,
Werft auf die Flügeltür!
Vor einem Fächerschlage
Wird itzt die Nacht zum Tage,
Klymene tritt herfür.«
Dann fuhr sie schnell in Prosa fort, fast ohne Atem zu schöpfen:
»Ich heiße Nikola von Einstein, mein Herr Vater war der General von Einstein, Exzellenz; meine gnädige Frau Mama ist eine geborene Freiin von Glimmern, und meinen Taufnamen trage ich Seiner Höchstseligen Majestät dem Kaiser aller Reußen Nikolaus dem Ersten zu Ehren, obgleich der Mann nicht mein Pate war. Meinen Vater rührte nach der Einnahme von Sebastopol der Schlag, und es fand sich nach seinem Tode, dass er kein so guter Rechner gewesen war, als man hätte wünschen mögen. Die Herrschaft musste eintreten, um mir eine standesgemäße Erziehung zu verschaffen; meine Mama lebt jetzt in anständiger Zurückgezogenheit, ich bin Ehrenfräulein Ihrer Hoheit der Prinzeß Marianne und befinde mich augenblicklich meiner angegriffenen Nerven wegen allhier zu Bumsdorf bei meinen Bumsdorfer Gevettern, speziell von der Vorsehung zur Mitteilung des eben Gesagten beauftragt.«
»Ich danke der Vorsehung demütigst«, sagte Leonhard; »aber –«
»Das würde für jeden anderen als den Wilden Mann aus Afrika ein sehr indiskretes Aber sein; doch, bei diesem blauen Himmel über uns, ich habe in der Tat Lust, Ihnen in dieser guten Stunde ein wenig von meinem Leben auszuplaudern; die Gelegenheit und ein von der Laune des Fatums so vernaivisierter Zuhörer finden sich vielleicht niemals wieder. Sie sind vom Monde herabgefallen, Herr Leonhard Hagebucher, und ich bin eine Hofdame der Prinzeß Marianne, Hoheit; wir tragen zwei ganze Welten zusammen, eine so kurios wie die andere – wir beide können einander nie missverstehen, Herr Hagebucher. Also:
Sie neiget sich im Kreise;
Die Damen flüstern leise:
Le sue spine ha! –
Was kümmert es die Rose,
Klymene lächelt lose,
E passo passo va.
Sie nennen mich nämlich Klymene, Herr. Der Name ist von einer Schäferquadrille her an mir hängengeblieben, ohne jedoch eine Bedeutung zu haben. Unsere Verse machen wir selber, und mein Lieblingspoet ist Herr Martin Opitz von Boberfeld, und am liebsten wäre ich ein Ehrenfräulein am Hofe zu Liegnitz oder Brieg in Schlesien gewesen. Der erste Eindruck, welchen mir das Leben gab, war ein gewaltiger Respekt, eine große Furcht vor meinem kriegerischen Vater, welcher gewiss ein tapferer und guter Soldat gewesen wäre, wenn man ihm die Gelegenheit gegeben hätte, sich als einen solchen zu betätigen. Was er war in his hot youth, when George the Third was king, weiß ich nicht und würde es sehr wahrscheinlich nicht sagen, wenn ich es wüsste; ich kann nur angeben, dass das Leben in unserm Miniaturstaate,