wie an seine eigene Existenz; wie fest er aber an seine eigene Existenz glaubte, kann nur durch einen längern und genauern Verkehr mit ihm deutlich gemacht werden.
Weiß und zart und zierlich erblickte er das Licht der Welt und begrüßte es mit einem schrillen Stimmchen. Der schwarze Vater und dessen schwarze Gesellen begrüßten ihn mit kopfschüttelnder Verwunderung und nannten ihn einen »ganz kuriosen Fisch«. Gegen alle Erwartung gedieh er unter der sorgsamsten mütterlichen Pflege vortrefflich, wie denn auch die gütige Mutter Natur bestens für ihn sorgte, indem sie ihn mit einem sehr reizbaren Nervensystem, einem dünnen rötlichen Haarwuchs und einer erklecklichen Menge Sommersprossen begabte, ihm aber die Zierde des Mannes, den Bart, welchen er als geborener Damenschneider doch nicht gebrauchen konnte, gänzlich vorenthielt. Er wurde ein Damenschneider, allem Gebrumm und Gepolter des Erzeugers zum Trotz; – grollend stieg der Alte, welcher allmählich für seinen Beruf viel zu fett geworden war, in seinen eigenen Schornstein hinauf, blieb in demselben stecken, wurde längere Zeit vergeblich gesucht und spät am Tage entdeckt, als er dem Rauche des Feuers, welches man zur Bereitung der Abendsuppe anzündete, den Weg versperrte. Man zog ihn an den Füßen herab, ohne dass er sich für die Gefälligkeit bedankte; ein Schlagfluss hatte ihn getroffen und ihn allen Erdensorgen schnell entrückt. Seine Witwe erhielt sich noch einige Jahre als sehr belesene Eigentümerin einer kleinen, aber ausgewählten Leihbibliothek, starb dann gleichfalls, und zwar in ziemlich bedrängten Umständen, worauf Felix Zölestin, aller schönen und romantischen Gefühle voll, auf die Wanderschaft ging gleich unserm Freunde Hagebucher, weit über Konstantinopel hinauskam und wie jener lange Zeit zu den Verschollenen gerechnet wurde.
Gleich jenem kam aber auch er zurück, und zwar auf kläglich durchgelaufenen Sohlen und von Jerusalem. Da er erst vor einigen Tagen dem Mann aus Abu Telfan einen Bericht über diese Heimkehr abstattete, so setzen wir auch hier mit Vergnügen seine eigene Relation an die Stelle der unsrigen.
»O in Jerusalem ist es schön!« rief er mit Begeisterung. »Adrianopel, Konstantinopel, Smyrna, Brussa und Jaffa haben auch ihre Annehmlichkeiten; aber Jerusalem geht dem gefühlvollen Menschen über alles! Da ist blauer Montag das ganze Jahr durch bei Juden und Christen von allen Sorten, bei Heiden und Türken, und die letztern haben die Polizei. Sie sind nicht in Jerusalem gewesen, Sidi, sonsten würden Sie auch davon erzählen können – oje, oje! Da habe ich zwei Jahre in Kondition gestanden bei einem Meister aus Böblingen im Württembergischen, und leider nur als Mannsschneider; denn das schöne Geschlecht hab ich schon in Adrianopel mit Tränen an den Haken hängen müssen. Hab’s auch ganz gut gehabt bei dem Böblinger bis zum Osterfest neunundfünfzig, da veruneinigte ich mich mit ihm, denn solches ist der Stilum; am heiligen Osterfest veruneinigt sich alles miteinander in Jerusalem, und schon eine Woche vorher exerziert der Musselim, der Gouverneur, die türkische Garnison auf die Karbatsche ein, alles zum Besten der frommen Pilger. So ist es, man muss überall erst des Landes Sitte kennenlernen, um keinen Anstoß zu geben, und als im ersten Jahre am Grünen Donnerstag der Meister bockig wird und mich aus lauter Zerknirschung einen herrgottssträflichen Lump und keinnutzigen Strahlnarr heißet, da denke ich: Täubrich, mäßige dich und fang keinen Skandal an diesen heiligen Stätten an, und in dieser Zeit will es sich gar nicht schicken. Bon – im nächsten Jahre kenne ich mich schon aus, und als mein Schwab mich diesmal einen norddeutschen Windbeutel tituliert, da geht’s drunter und drüber, und ’s wird ein Trubel im Atelier wie an der Tür der Grabeskirche, und naturellement schmeißt man mich heraus und mein Felleisen mir nach, und da wär’s mir schlimm gegangen ohne einen guten Bekannten. Das ist ein Mönch gewesen aus dem Kloster Mar Saba, welches im Tal Kidron, dem Toten Meer zu, liegt, und der trifft auf mich, wie ich mit verbundenem Kopf auf einem Eckstein sitze, und rechter Hand liegt ein toter Esel und linker Hand ein betrunkener Pilgrim, und der, will sagen der Mönch, hat mich nach dem Fest mit sich genommen in sein Kloster auf die Stör, was man heißt auf Arbeit mit Kost und Schlafstelle. Da habe ich die ganze Garderobe für die Heiligen aufbessern müssen, und auch die Brüder hatten genug zu flicken; das war eine schlechte Arbeit, aber die Verpflegung war gut. So nähre ich mich hier in der Wüste und der frommen Einsamkeit gradsogut vom Handwerk wie in Hanau oder Offenburg, bis auch diesem Vergnügen wiederum sein Ende mit dem Knüppel gemacht wird, und ist das das merkwürdige am Orient, dass hierfür niemand zu keiner Zeit sicher ist; es wäre auch sonst zu schön! Kommt also ein Mann aus Nebi Musa zu unserm Abt und gibt an, er wisse einen Schatz im Wadi en Naar, dem Feuertal, welches gleichfalls zum Kidrontal gehört, und, Sidi, wie da das Kloster an zu lecken fing, das ist unglaublich zu erzählen. Wo und wie, wie und wo? ging das durcheinander, und der Beduin wusste auf alles einen Bescheid. Ein Christ habe den Schatz vergraben, und nur ein Christ vermöge ihn zu heben, und in der nächsten Nacht sei die rechte Zeit; denn da sei der Dschinn abwesend zu einer Vergnügungsfahrt auf Bahr Lut, dem Toten Meer, und halte mit seinesgleichen einen Schmaus bei Ain Djidi an der Säule des Salzes. Das hätte man nun wohl nicht geglaubt zu Offenburg, Hanau oder Frankfurt am Main; aber in Mar Saba glaubte man es mit Vergnügen, und in der folgenden Nacht haben wir richtig den Schatz gehoben. Das halbe Kloster samt dem Abt ist unter der Führung des Beduinen ins Feuertal gezogen, in eine Schlucht wohl tausend Fuß tief. Und als wir drin sitzen und fast kein Ausweg ist, geht es los, als ob der Geist des Christen Unrat gemerkt habe und schleunigst heimgekehrt sei, um nach seinem Recht zu sehen. Erst regnet es von allen Seiten Steine aus der Höhe, und dann regnet es Prügel aus nächster Nähe. Auf allen Seiten wird’s zu unserm Jammer lebendig; denn von vier Meilen in der Runde, aus Mird, aus Nebi Musa, aus Khan Hudrur, ja aus Gilgal und vom Dschebel al Fureidis, dem Frankenberge, ist die Bevölkerung herbeschieden, um den Spaß durch ihre Gegenwart zu verschönen. Wer einen Prügel halten konnte, hat sich damit ins Versteck gelegt und geduldig seit Sonnenuntergang auf unsere Ankunft gewartet. Vergebens hat der Abt erst seine Heiligen und dann den Gouverneur von Jerusalem angerufen, die einen konnten sowenig als der andere zu Hilfe kommen; das letzte, was ich in dieser Mondscheinnacht erblickte, war ein mir wohlbekannter Kollege, der Schneider aus Mird, welcher aus Brotneid und künstlerischer Eifersucht einen faustgroßen Kieselstein in sein Turbantuch geknüpft hatte und mich damit an den Schädel traf, dass es mir schwarz wie seine Seele vor den Augen wurde und ich besinnungslos zu denjenigen meiner geistlichen Freunde sank, welche bereits am Rande des Baches Kidron am Boden zappelten. Das war ein sehr romantisches Abenteuer, Sidi, aber ein noch größeres Wunder ist es gewesen, dass ich mich beim Erwachen aus meiner Betäubung nicht etwa im Wadi en Naar oder im Kloster Mar Saba oder im Spital zu Jerusalem, sondern hier in meiner Vaterstadt, hier im Türkenviertel,