eine Plage ist es, sich immer von neuem darauf besinnen zu müssen, ob das Schwarze schwarz und das Weiße weiß ist. Ist das meine Nase, oder ist sie’s nicht? Bin ich Abul Täubrich ibn Täubrich, Pascha von Damaskus, oder bin ich es nicht? Ja, der Herr Baron wird genauer wissen, was er ist, und Allah segne ihm sein Verständnis. Nach Merseburg schnürt man sein Bündel, und nach Smyrna gerät man, und im Schlaf wird man wieder abgeladen in der Kesselstraße, wie der schnurrige Abu Hassan, von welchem der Erzähler im Chan zu Jericho erzählte. Da stehen die Leute im Kreis um einen her und lachen, und jedes Stück Brot kriegt man nur auf Kosten seiner Selbstästimation zu essen: die Kinder laufen einem in den Gassen nach, und die Alten treiben in den Häusern ihr Spiel mit einem. So macht man sich denn seine Stellung zurecht, und je weiter man die Augen aufreißt, desto blinder wird man, und je fester man sie schließt, desto klarer wird einem, wer man ist und wo man eigentlich zu Hause ist. Da hört man das Leben nur wie ein Gesumm um sich her: was geht es einen an, man sitzt ja in seinem eigenen Kiosk und –«
»Bismillah! Die seidene Schnur Ihnen um den Hals!« fuhr der Afrikaner den armen Pascha von Damaskus, außer sich vor Ungeduld, an. »Von dem Baron von Glimmern und nicht von dem schnurrigen Abu Hassan sollen Sie mir erzählen. Weder ich bin der Sultan Shahriar noch Sie die kluge Scheherazade; jetzt nehmen Sie sich zusammen; was wissen Sie von dem Baron Glimmern?«
Täubrich-Pascha faltete die Hände über dem Magen und sprach das Folgende mit dem Ton und Ausdruck eines abschnurrenden Uhrwerkes:
»Der Herr Baron begannen ihre Karriere im hiesigen Leibbataillon als Fähnrich und avancierten baldigst zum Leutnant; in dieser Stellung hatten sie die Ehre, das Vertrauen Seiner Hoheit des Prinzen Reinald in hohem Grade zu gewinnen, und Seine Hoheit waren ein großer Liebling ihres Herrn Onkels, des Höchstseligen regierenden Herrn; also haben die beiden jungen Leute sich das Leben am hiesigen Ort recht angenehm gemacht, es ist eine lustige Zeit gewesen und viel Geld in den eigenen Taschen und noch mehr Geld in den Taschen anderer Leute; das rollte und klang an allen Ecken und Enden, und wer etwas dagegen zu sagen hatte, der tat am besten, wenn er sich mit einem Achselzucken begnügte; denn es haben sich einige nicht geringe Herrschaften in jenen fidelen Tagen die Finger böse verbrannt; aber davon bekommt selbst unsereins nicht die letzte Wahrheit heraus, weil zu viele sind, denen dran liegt, dass ein recht hübscher dichter Schleier drübergeworfen werde, und also zum Exempel, Sidi, wenn die Frau Hofrätin Fehleysen selber Ihnen nicht ihre Geschichte und die des Herrn Hofrats und des Herrn Leutnants Viktor erzählt hat, so kann ich Ihnen auch nicht helfen. Als ich aus dem Orient heimkam, da hatten Seine Hoheit der Prinz Reinald längst sich die schöne, berühmte Dresdener Ballettänzerin, Fräulein Armida, an die linke Hand antrauen lassen und lebten mit ihr in Paris, da waren die Frau Hofrätin und der Herr Sohn lange verschollen; aber der Herr von Glimmern waren noch vorhanden; es ist nicht seine Schuld gewesen, dass der Prinz Reinald die schöne Armida heiratete, sondern er hatte sein möglichstes getan, es zu verhindern, und es wäre sehr unrecht, ihm zum Beispiel auch den Tod des Rats Fehleysen schuld zu geben; o Jerusalem, in Syrien ist’s schön, aber hierzulande lässt es sich doch auch leben; ja, und der Herr von Glimmern sind immer weiter avanciert, auch unter dem jetzt regierenden Herrn – Kapitän, Major, Oberstleutnant und nun zu guter Letzt Exzellenz und Intendant des Fürstlichen Hoftheaters und ehelicher Gemahl des schönen Fräuleins von Einstein. Jaja, ich hab mir häufig dahinten in der Wüste oder sonst im Orient gedacht: Täubrich, das wär so was, wenn dir jetzt auf einmal der Herr Viktor Fehleysen begegnete; es hat sich aber nicht gemacht, er soll mit vor Sebastopol zugrunde gegangen sein. Sie sagen mir, Sidi, die alte Mutter glaube nicht daran, dass der junge Herr tot sei; aber ich glaube es, trotzdem ich in der Wüste auf ihn wartete; es kommt jedoch nichts darauf an, und dem Herrn Baron von Glimmern wird’s auch einerlei sein, der hat das Glück gehabt und die Braut heimgeführt; alte Liebe rostet nicht, und man behauptet in den Kreisen, welche es wissen können, jung seien die jungen Leute nicht mehr; freilich, freilich, es ist in der Tat etwas Merkwürdiges, wie alt die Menschen geworden sind in der Zeit, dass man abwesend war unter den Palmbäumen! Wie ein neugeboren Kind kommt man sich manchmal vor, finden Sie das nicht auch, Sidi Hagebucher?«
Der träumende Schneider hatte durch diese letzte Frage nunmehr den Mann aus Abu Telfan zu wecken.
»Jawohl, Sie haben ganz recht, Täubrich!… Was sagten Sie?« rief er, aus einem Gewebe des verworrensten Denkens und Träumens mit Mühe sich losreißend; aber im nächsten Augenblick schlief Täubrich-Pascha wieder gleich einem Hasen mit offenen Augen oder hatte sich vielmehr schleunigst von neuem unter die Palmen der Levante zurückgezogen.
»Guten Abend!« sagte Hagebucher.
»Selam aleikum!« sprach Täubrich, den Oberkörper vorneigend.
Vor seinem eigenen Gemache, jenseits des dunkeln Ganges, der seine Tür von jener des Schneiders trennte, fand der Afrikaner einen Offiziersburschen mit einem sehr höflichen Billett von dem Major Wildberg, welcher im eigenen Namen und dem seiner Majorin Seine Wohlgeboren den Herrn Leonhard Hagebucher für den folgenden Tag zum Mittagessen einlud.
Fünfzehntes Kapitel
Es wird ohne Zweifel einmal eine Zeit gekommen sein, in welcher keine »Residenzen«, weder große noch kleine, mehr in unserm Weltteil existieren werden; dann aber haben vielleicht die Vereinigten Staaten von Europa ihre Geschäftsträger, Gesandten, Generalkonsuln und Konsuln an den Höfen der fürstlichen Herrschaften jenseits des Ozeans zu erhalten, und freie und erleuchtete Bürger werden mit Vergnügen die große Republik bei den Majestäten von Neuyork, Ohio, Illinois, Virginien, Louisiana und so weiter vertreten, und wird die Etikette sowie alles übrige monarchische Spielwerk in ihren Händen recht sicher aufgehoben sein, that is a fact. Bis aber dieser glückselige und wahrhaft normale Zustand eingetreten ist, wollen wir uns das Leben auch unter den jetzigen Verhältnissen so angenehm wie möglich zu machen suchen.
»Derjenige politische Zustand ist immer der normalste, welcher den meisten kleinen Eitelkeiten der Menschen gerecht wird«, sagte Leonhard Hagebucher, und der Major Wildberg, ein feiner, gutmütiger Mann von gelehrtem Äußern, ein Herr mit einer goldenen Brille, einem blonden Bart und einer angehenden Glatze, ließ die Behauptung gelten, wenn auch nicht ohne ein bedeutsames Achselzucken.
Hagebucher hatte bei dem Major zu Mittag gespeist, und zwar ganz ausgezeichnet. Jetzt vergoldeten die letzten Strahlen der scheidenden Herbstsonne das Dessert; die Kinder hatten sich zwischen die Erwachsenen gedrängt, um ihr Teil von den Annehmlichkeiten