Wind in seiner Dachkammer aus erster Hand, und so war’s nicht unnatürlich, dass ihm träumte, er werde von einem unwiderstehlichen Verhängnis aufgehoben und mit dem Kopf voran durch eine Bretterwand getrieben. Seinem Nachbar jenseits des Ganges träumte ganz das nämliche, und auch dieses widersprach in Anbetracht der Verhältnisse weder dem Wesen des Traumes noch der augenblicklichen Stimmung und Empfänglichkeit des Träumenden.
Noch war es vollständig Nacht, als der Schneider das Feuerzeug ertastete und seine Lampe anzündete; zwischen fünf und sechs Uhr stand er, nach Befehl, vor dem Bette seines Patrons, neigte sich über ihn wie Gülnare über den zum Tode verurteilten Konrad und flüsterte:
»Da liegt er, da liegt er sanft und süß und unschuldig wie ein Kind im Schlummer und weiß nicht, was er vor sich hat!«
Ein tiefes Ächzen antwortete ihm, und unter seiner Decke hervor stöhnte Hagebucher:
»Sie irren sich sehr, Täubrich! Er weiß sehr gut, was er vor sich hat: Schlummer? Unschuld? Süßigkeit? O Täubrich, seien Sie kein Esel – ich wünsche von Herzen, dass Sie eine bessere Nacht gehabt haben mögen als ich.«
»Es war ungewöhnlich windig, Sidi.«
»Reden Sie mir nicht davon, Täubrich, ich habe große Lust, das für ein recht böses Omen zu nehmen. O Gott, weshalb musste ich mich doch auf diesen Unsinn einlassen?«
Die Gedanken und Vorstellungen, an welchen Herr Leonhard Hagebucher sich stieß, als er sich jetzt gleichfalls aufrichtete, waren viel härter als der Balken über dem Haupte des Paschas, und alle Trostgründe des letztern waren ebenso vergeblich wie der eigene schwächliche Versuch, sich selber zu überzeugen, dass man doch wohl schon etwas Schlimmeres durchgebissen habe.
Im tiefsten Schweigen bereiteten die beiden Orientalen ihren Kaffee und tranken ihn; düster qualmten die beiden Morgenpfeifen in den düstern Morgen hinein, und als der Mann vom Mondgebirge nun gar sein Heft vor sich hinlegte und anfing zu memorieren, da steckte der Wahnsinn in Person den Kopf in die Tür und versprach, heute Abend wieder nachsehen zu wollen. Wie ein totgeborenes Kind trug Täubrich das schwarze Beinkleid des Redners in das Gemach, und als er am Frack einen wichtigen Knopf nicht vorfand, entrang sich seiner Brust ein solcher Seufzer, dass Hagebucher für eine lange Zeit den Faden dessen, was er sagen wollte, total verlor und von dem zitternden Pascha nur mit äußerster Mühe zu der Überzeugung gebracht wurde, dass nur ein Knopf vermisst werde. Es war ein großer Tag, und wie es zu geschehen pflegt, so sollte an ihm eine Aufregung der anderen folgen.
Schon um acht Uhr erschien atemlos der Leutnant Hugo von Bumsdorf, bat inständigst um Verzeihung, weil er so früh störe, und erkundigte sich ungemein zärtlich und besorgt nach dem Befinden des Afrikaners, dem er zugleich unaufgefordert versprach, nach eigenen schwachen Kräften für den Erfolg des Abends wirken zu wollen; zugleich aber hatte er auch seine Sorgen und erlaubte sich, dieselben dem berühmten Bumsdorfer Landsmann und guten Freunde des Papas vorzutragen. Es unterlag keinem Zweifel, der »Alte« kam sicher heute in die Stadt, um den Vortrag des Herrn Hagebucher anzuhören, und da wäre es doch im höchsten Grade unangenehm, wenn der gute, aber häufig untraktable Greis sogleich allerlei bösartigem, intrigantem, gewinnsüchtigem Volk in die Hände falle, ohne von einer zwar sanften, aber festen Freundeshand zu einem richtigen, der gegenwärtigen Lebensanschauung konformen Verständnis der Dinge hingeleitet zu werden. Er, der Herr Leutnant, kannte die Schlechtigkeit der Menschen nur zu gut und wusste genau, welche Behutsamkeit im Verkehr mit ihnen erforderlich sei; sein kindliches Herz empörte sich bei dem Gedanken, den geliebten, aber etwas bockbeinigen Erzeuger mit seinen Provinzialbefangenheiten einem solchen Wirbel von Schlechtigkeit ohne den beratenden Beistand eines verständigen Freundes zu überliefern. An die innige Bitte, dem Papa doch dieser treue Knecht Eckart zu sein, knüpfte der Leutnant einen Schwall der verschiedenartigsten und verworrensten Versicherungen. Er sprach von Reue und Wehmut, von Besserung und Heimweh, von seinem Rattenfänger Whig und der Jasminlaube vor dem Hause des Steuerinspektors zu Bumsdorf. Er sprach von seiner Mutter und der Mutter Leonhards, von Freundschaft und Liebe, von der Infanteriekaserne und einem eigenen Herde, welcher letztere Goldes wert sein sollte, ihn aber von neuem auf seine Schulden brachte, weshalb er atemlos, wie er kam, fortstürzte, um des Geschickes Tücke womöglich schon am Stadttor zu parieren und den noch viel tückischeren Alten abzufangen und ihn durch unendliche Liebenswürdigkeit und Zärtlichkeit zu bezaubern und vollständig – blind zu machen.
Auf den Leutnant von Bumsdorf folgte um neun Uhr ein Billett der Baronin von Glimmern, welche Glück zu dem Tage wünschte, aber auf etwas dunkle Weise vor zu großer Unvorsichtigkeit warnte und bat, das, was der Major Wildberg heute noch vortragen werde, nach Kräften zu berücksichtigen.
In fieberhafter Erregtheit erschien um halb zehn Uhr der Professor Reihenschlager. Er brachte alle Taschen voll Notizen mit, welche er noch in das Konzept eingeschoben zu haben wünschte, und außerdem einen Gruß von Fräulein Serena, welchen er jedoch nur auf dringendes Verlangen von seiten Leonhards und etwas verlegen herausgab.
Fräulein Serena bot dem Herrn Hagebucher einen guten Morgen und wünschte, er möge sich am Abend nicht blamieren. Übrigens werde sie jedenfalls der Vorlesung anwohnen und hoffe sich unter allen Umständen zu amüsieren.
»Es kommt doch alles, an was man nicht dachte, über einen!« stöhnte der Afrikaner. »Professor, wenn ich noch einen Nervenschlag oder dergleichen ankündigte?!«
»Das wäre noch besser und in der Tat eine Blamage!« rief der koptische Gelehrte. »Mut, Mut! Wie kann ein Mensch, der den unsträflichen Äthiopen trotzte, diesem degenerierten Europäertum gegenüber so zaghaft sein?«
»Sie haben gut reden«, seufzte der Held des Tages. »Sie sitzen mitten in dem dicksten Haufen dieses Europäertums und hören gelassen zu; ich aber – – – o Gott, o Gott, die Luft geht mir von Stunde zu Stunde mehr aus, und meine einzige Hoffnung ist, dass sie mir bis acht Uhr abends völlig abhanden gekommen sein wird!«
»Ich kenne diese Symptome; sie sind beängstigend, aber weiter nicht gefährlich«, sprach der Professor mit der Gemütsruhe eines Henkers, welcher schon mehr als einen von der Leiter stieß. »Brausepulver und Selbstvertrauen helfen am sichersten darüber weg. Das erstere Mittel führe ich als alter Praktikus bei mir; hier das Natrum bicarbonicum, hier die Säure; Täubrich, besorgen Sie uns eine Flasche Brunnenwasser.«
Der Pascha kreuzte nach der Sitte