an das Herz als an die Vernunft der Leute zu wenden. Eine leise Andeutung, dass wohl bereits einige Intrigen betreffs Gestattung oder Verhinderung von derartigen öffentlichen Vorträgen angesponnen sein könnten, beschloss die gutgemeinte Warnung. Leonhard Hagebucher konnte auf alles dieses leider nur mit einem grimmigen Lächeln antworten, dass es durchaus nicht in seiner Absicht liege, irgendeinen anderen als sich selber zum Narren zu halten. Diese Versicherung gewährte nur einen geringen Trost; der Major schüttelte das Haupt, fast geradeso bedenklich wie die höchsten Kreise, drückte dem Freunde die Hand und zog ab mit einem tiefen Seufzer, der außer allem Mitgefühl ein ganz kleines Bruchteilchen von Neid auf den Afrikaner in sich schloss.
Um sieben Uhr abends hatte Nikola von Glimmern mit ihrem Gemahl noch eine Unterredung, welche allmählich einen ziemlich bittern Charakter annahm, aber die schöne Exzellenz nicht an der Vollendung ihrer Toilette hinderte. Infolge dieses Wortwechsels fuhr der Baron jedoch noch einmal zu dem Polizeidirektor von Betzendorff und hatte mit diesem Herrn gleichfalls eine längere Unterredung, welche aber nicht mit einem Missklang endete, sondern die vollständigste Übereinstimmung der beiden Mächte in mehr als einem Punkte herbeiführte.
Ein letzter Blick in den dunkeln Abend zeigt uns im flackernden Licht der Gaslaterne eine Droschke in der Kesselstraße sowie den Professor Reihenschlager und den Vetter Wassertreter, welche den geknickten Hagebucher in das Fuhrwerk mehr heben als schieben. Sie steigen ihm nach, Täubrich-Pascha schlägt den Schlag zu, schwingt sich neben den Kutscher auf den Bock: La ilaha ilallah und Mohammed rassul Allah!
Der Herr von Bumsdorf und sein Stammhalter erreichten den Ort der Vorlesung auf verschiedenen Pfaden; der biedere Alte hatte längst den innigen Wunsch ausgesprochen, der Junge möge ihm fürs erste nicht wieder vor die Augen kommen!
Achtzehntes Kapitel
Dieses ist das achtzehnte Kapitel der Historie des Herrn Leonhard Hagebucher, welcher zwölf Jahre zu Abu Telfan im Tumurkielande in Gefangenschaft zubrachte. Es bildet sowohl formell wie dem Inhalte nach den Mittelpunkt der wahrhaften und merkwürdigen Geschichte, die Spitze der Pyramide, auf welcher der afrikanische Redner sitzt, seine schöne Seele aufknöpft und mit dem besten Willen sein Erbauliches und Beschauliches der Residenz preisgibt. Täubrich-Pascha stand an der Pforte und nahm die Eintrittskarten ab; ein ausgewähltes Publikum hatte sich auf den Stufen der Pyramide um den Redner versammelt; der Saal war zum Erdrücken voll, aber:
das Volk, nie möcht ich es kündigen oder benennen,
Wären mir auch zehn Kehlen zugleich, zehn redende Zungen,
Wär unzerbrechlicher Laut und ein ehernes Herz mir gewähret!
Es ist schon schwer genug, die allein, welche von irgendeinem Einfluss auf den Gang unserer Geschichte sind, im Auge zu behalten.
Da saß vor allem, mit dem Fächer an den feinen Lippen, die schöne Nikola zwischen der Mutter und dem Gemahl, als ob sie nie mit einem Wiesenblumenkranz im Schoße unter einem Bumsdorfer Hagedorn gesessen und nie dem Mann vom Mondgebirge auf seinem Wege zu dem großen Familienrat nachgelacht habe. Und die Frau Generalleutnantin von Einstein war eine kleine, schwächliche, kümmerliche Dame, welcher neunundneunzig Leute gewiss nicht zutrauten, dass sie imstande gewesen sei, den Willen, die Seele einer so stattlichen Tochter zu brechen und das Fräulein um dreißig Silberlinge zu verhandeln, welcher aber dafür der Hundertste nicht nur dieses, sondern noch manches viel Schlimmere auf das bereitwilligste und aus vollster Überzeugung schuld gab. Seine Exzellenz der Herr Schwiegersohn der trefflichen Matrone war ein feiner, schlanker Mann im Alter von zweiundvierzig bis vierundvierzig Jahren, nicht hager, aber ein wenig müde, und zwar nicht allein in den Beinen, sondern auch in den Augen. Er trug die allermodernste Art des Backenbartes zur Schau, und obgleich er keine Perücke trug, so konnte kein Zweifel obwalten, dass er eine solche mit Anstand und ohne Aufsehen zu erregen tragen könne, eine Gabe der Götter, welche nicht einem jeglichen kahlköpfigen Sterblichen verliehen wird. Er lächelte fast ebenso milde und gewinnend wie der Herr Polizeidirektor, welcher auf dem Sessel zu seiner Linken Platz genommen hatte, und tat nur seine Pflicht; denn wie würden die Räder des Wagens kreischen, und wie würden Nabe und Achse zu dampfen anfangen, wenn solche Leute und Kondukteure nicht mehr lächelten! Ob Seine Exzellenz jemals ein lautes Wort gesprochen hatte, konnten nur diejenigen wissen, welche ihn während des ersten Teils seiner militärischen Laufbahn kannten. Übrigens bediente er sich, um den Wilden Mann aus Afrika besser zu verstehen, einer zierlichen Lorgnette und schenkte ihm den ganzen Abend hindurch auf das wohlwollendste seine Teilnahme und Aufmerksamkeit, weshalb es umso wünschenswerter erschien, dass auch die übrigen Freunde vor seinem Rednerstuhl aushielten, um auch ihr Wohlwollen zur Geltung zu bringen.
Da saß die Frau Majorin Emma mit den allertreuherzigsten Augen und jenem ängstlichen Zug aus dem Lärm der Kinderstube um den Mund und »passte genau auf«. Da stand der Major an einen Pfeiler gelehnt, und dicht neben ihm stand der Professor Reihenschlager und hielt sich, zitternd vor übermächtiger Spannung, an der Stuhllehne seiner Tochter Serena, welche so gern all ihre üble Laune in Worte fasste, um für ihre Werke desto freiere Hand zu behalten. Da stand mehr im Hintergrund der Vetter Wassertreter aus Nippenburg und hielt sich, um nicht durch unzeitgemäße Verrenkungen und Purzelbäume allgemeines Ärgernis zu geben, an dem Herrn von Bumsdorf, welcher, durch übermäßiges Schuldenbezahlen und Wechseleinlösen recht elegisch gestimmt, umso fähiger war, die »ganze Predigt« anzuhören und das Unbegreiflichste begreiflich zu finden. Herr Hugo von Bumsdorf, bedeutend heiterer als sein Papa und nur ganz unbedeutend von seinem Gewissen gequält, war durch eine Seitentür in den Saal getreten und hatte eine ganze Schar jugendlicher Enthusiasten aus den nächsten Kaffeehäusern mitgebracht; es war seine feste Absicht, alle seine Verpflichtungen heute einzulösen und somit auch das am Morgen gegebene Wort: für den Erfolg des Abends mit ganzer Kraft eintreten zu wollen!
Ein letztes Rauschen, Raunen und Zischeln durch die Versammlung, ein letztes Räuspern und Stuhlrücken!
Drei Verbeugungen des Redners hinter dem grünbehängten Tischchen und den beiden Wachskerzen; ein dumpfes Gefühl der Reue, je Abu Telfan verlassen zu haben; eine tiefe Sehnsucht, spornstreichs dorthin zurückzukehren und das Gesicht tief, tief, tief in den Schoß der Madam Kulla Gulla zu vergraben!
»Meine