vom Ende der Welt, von Nippenburg und Bumsdorf, und hier sitzt man mit einer Welt von Komplimenten im Sack, wie ein junges Mädel, das auf einen Heiratsantrag wartet, und kann sie sowenig an den Mann bringen als jenes, sondern muss eben warten, bis es dem Herrn gefällig ist nachzufragen, wie das Befinden ist. Hurra, mein Sohn, jetzt stürze dich mit verdoppelter Schnelligkeit an meinen Busen! Du bist als ein großer Mann, als ein ungeheurer Mensch, sowohl was den Charakter als was das Talent anbelangt, aus dem Hinterstübchen des Vetters Wassertreter hervorgegangen. Küsse mich, mein Kind; noch eine solche Rede wie die gestrige, und sie werfen dich hier gradesogut vor die Tür wie der Alte in Bumsdorf! Aber der Schlüssel liegt noch immer unter dem Uhrgehäuse, und ich brauche wieder nicht mehr zu sagen. O Leonhard, Leonhard, dass ich dieses noch erleben durfte! Den alten Goethe hab ich nur von hinten gesehen, aber dich kann ich von hinten und vorn herzen, was fast ein noch größerer Genuss ist. Ja, so musste er aussehen, der Mann mit dem vernichtenden Blick, der berufen war, für einen Gulden Entree die Person, dem deutschen Philistertum den Kopf auf afrikanische Art zu waschen! O herrje, das Volk hier in der Residenz wird fürs erste sicher nicht wieder verlangen, dass du ihm spanisch kommst!«
»Ja, Sie sind ein Sohn, der seinem Vater Freude macht!« sprach der Ritter, seine Brieftasche mit siebenfältigen Lederriemen verknüpfend und sie mit einem Seufzer tief in seine Brusttasche versenkend. Erst nachdem der Ausspruch getan war, erinnerte er sich, dass auch Hagebucher senior sein Glück wohl zu tragen wisse, blickte etwas verlegen den Redner von unten nach oben an und ergänzte seinen Stoßseufzer durch ein bedeutungsreiches »Ja so!«, welches dem Vetter Wassertreter zu einem neuen herzerfrischenden Gelächter verhalf. Mit gutem Appetit ließ sich Leonhard am Tische nieder und trug kauend und schlürfend den ebenfalls mit ungeschwächten Kräften und munterer Behändigkeit von neuem ans Werk gehenden Alten die besten Grüße an die Heimat – an den Bumsdorfer Gutshof, an Frau Klaudine, an Mutter und Schwesterchen und wo möglich auch an den Papa auf. Um halb zehn Uhr gab’s einen gerührten Abschied; Sievers, der Vasall, welcher in der Hauptstadt an einem fortwährenden leichten Schwindel zu leiden schien, meldete, die Post werde in einer halben Stunde abgehen; der Oberkellner brachte die Rechnung und die Nachricht, dass eine Droschke vor der Tür halte. Man leerte ein letztes Glas, wünschte dabei einander alles Gute und verpflichtete sich, zu jeder Zeit das Beste voneinander zu denken. Nippenburg und Bumsdorf schickten auch noch dem Professor und des Professors Töchterlein ihre schönsten Grüße, und der Dynast sprach die gediegene Absicht aus, denselben in den allernächsten Tagen zwei merkwürdig schöne und in betreff der Trichinen über jeden Verdacht erhabene Schinken sowie einen gleichfalls garantierten Korb voll frischer Würste folgen zu lassen. Nachdem nun noch Leonhard recht unnötigerweise seine Verwunderung darüber ausgesprochen hatte, dass der Leutnant nicht auch erscheine, um dem Erzeuger Lebewohl zu sagen, und nachdem der landbebauende Greis seine Meinung energisch dahin veröffentlicht hatte, ihm liege nicht das geringste an dem Schlingel!, fuhr man ab, das heißt, Leonhard sah von der Pforte des Wirtshauses aus die beiden Alten und den Vasallen abfahren und blickte ihnen ernst bis zur nächsten Ecke nach. In dem Augenblicke, wo der Vasall vom Bock zum letztenmal mit dem Hute winkte, fühlte der Afrikaner einen Schlag auf der Schulter und vernahm dicht neben sich den vergnügten Ruf:
»Da fahren sie hin! Fort ist er! Hurra! Bumsdorf und Nippenburg für immer!«
Der Herr Leutnant Hugo von Bumsdorf hatte, im Billardzimmer des Hotels verborgen, seinen kindlichen Gefühlen allen möglichen Zwang angetan; aber länger hatte er’s nicht getragen. Da stand er jetzt und ließ den schönsten, innigsten, zartesten Regungen seiner Seele freiestes Spiel.
»Ich sage Ihnen, Hagebucher, das war gestern ein heißer Tag für uns alle beide, und wenn er Ihnen so schwer wie mir in den Knochen liegt, so werden Sie heute früh zu Bett gehen und Ihrem Schutzpatron ein recht anständiges Wachslicht versprechen, wenn er Sie ruhig die Decke über den Kopf ziehen lässt. Ich hatte mich auf manches eingerichtet und mich für allerlei kleine Verdrießlichkeiten mit dem nötigen Stoizismus gewappnet; aber, sollten Sie es glauben, schon der zweite Jude war diesem entarteten Greise zu viel, der dritte machte ihn vollkommen rabiat, und als nun gar im Laufe der Unterhaltung die Rede auf den armen Roland kam – Sie kennen das vortreffliche Vieh und wissen Blut und Zucht zu schätzen, Hagebucher – da – o Hagebucher, ein letzter schöner Rest kindlicher Pietät verbietet mir das Wort, schweigen wir! Lassen wir still den Mantel über den Papa Noah fallen, und genießen wir heiter und unbefangen unsere Jugend; denn siehe, es wird auch für uns die Zeit kommen, da wir von Bumsdorf herziehen werden, um die Schulden unserer Söhne zu bezahlen.«
»Die letztere Vorstellung sollte einen jungen Gesellen wie Sie freilich reizen, die Gegenwart nach Möglichkeit zu genießen«, rief Leonhard lachend. »Einem alten Knaben gleich mir wird ein solcher Gedanke weder am guten noch am bösen Tage hinderlich oder förderlich werden.«
Er ärgerte sich aber doch ein wenig, als der Leutnant treuherzig sprach:
»Da haben Sie recht, Hagebucher.«
Sie hatten beide Arm in Arm den Torweg des Hotel de Prusse verlassen und schritten vertraulich nebeneinander durch die Straßen. Jetzt aber zog plötzlich Herr Hugo von Bumsdorf seinen Arm aus dem des Afrikaners und sagte:
»Wissen Sie, Hagebucher, wenn mir diese bunte Jacke nicht längst zum Ekel geworden wäre und wenn es mir irgend darauf ankäme, Karriere zu machen und im vierzigsten Jahre Hauptmann zweiter Klasse zu werden, so würde ich mich ganz gehorsamst hüten, mit Ihnen hier so bras dessus, bras dessous am hellen Mittag vor den Augen der Hauptstadt zu wandeln. Haben Sie eben den Blick des Geheimen Kriegsrats Canini bemerkt? Nicht?! Nun, umso besser für die Ruhe Ihrer armen Seele. Ich sage Ihnen, der Mann gilt etwas, Sie aber gelten nichts; im Gegenteil, seit dem vorigen Abend gibt es keinen zweiten Menschen, der so tief in der Achtung und Neigung der dirigierenden Kreise steht wie Sie. Bester Freund, wenn der Staat einmal anfängt, Prämien für das Ausplaudern der Wahrheit auszusetzen, dann wollen wir Sie wiederrufen; aber bis dahin färben Sie sich gefälligst selber schwarz und verziehen Sie sich ruhig wieder in das heißeste Afrika; Sie werden dort unbedingt kühler sitzen als hier bei uns. Fragen Sie nur meine arme Cousine Nikola; die hat auch gemeint, es sei eine Kleinigkeit und jedes Menschen angeborenes Recht, ein vergnügter, frischer und ehrlicher Kerl zu bleiben; aber man hat sie nach Gebühr mit der Rute in die Ecke zurückgefegt, und sie sitzt jetzt still genug in dieser Ecke. Was sehen Sie mich an? Na, mein Gutester, ein Unterleutnant, welchem vom Papa der Kopf gewaschen wurde wie mir, ist zu jeder philosophischen Betrachtung