anders nennen. Dieser Gesendete der Göttin des Maßes, des Einhalts und der Vergeltung ließ nichts herabhängen, sondern überreichte dem herantretenden Afrikaner ein umfangreiches, großversiegeltes Schreiben der hochlöblichen Polizeidirektion. Dieser Bote lächelte nicht; aber der Herr Polizeidirektor lächelte auf das leutseligste aus diesem Schreiben, in welchem er sich die Ehre gab, dem wohlgeborenen Herrn Leonhard Hagebucher P. P. mitzuteilen, dass, wie sehr er – der Herr Polizeidirektor – vom Nutzen öffentlicher Vorträge, gleich dem am gestrigen Abend mit hohem Interesse vernommenen, auf die Bildung und Erbauung des Publikums überzeugt sei, er sich doch nicht der Überzeugung verschließen könne, auch hier müsse das Gute dem Bessern, nämlich das Vergnügen des Publikums dem Wohlergehen desselben weichen. So müsse er – der Herr Polizeidirektor – gestehen, dass er sich leider mit der Art und Weise, wie der Herr Hagebucher das Problem, der Gesellschaft Geschichten zu erzählen, auffasse, durchaus nicht im Einklang befinde, wie denn auch von anderer sehr maßgebender Seite unbedingt dagegen Verwahrung eingelegt worden sei. Mit dem innigsten Bedauern sehe er – der Herr Polizeidirektor – sich deshalb genötigt, dem verehrten Herrn die Mitteilung zu machen, dass eine hohe Behörde nach reiflicher Überlegung zu der Überzeugung gekommen sei, es sei ihre Pflicht, ein ruhiges, aber festes Veto gegen alle fernern Produktionen dieser Art einzulegen.
Zum Schluss dieses höflichen und konfidentiellen Amtsschreibens empfahl sich der Briefschreiber dem Adressaten mit ausgezeichneter Hochachtung und hing zur letzten Zierde mit einem kunstvollen Schnörkel seinen Tauf- und Familiennamen sowie seinen Titel drunter:
»Johann v. Betzendorff,
Fürstlicher Polizeidirektor.«
Der Pascha seufzte: »O Jerusalem!« Leonhard Hagebucher aber schob den Wisch in die Tasche, ließ durch den Diener der öffentlichen Sicherheit an den Direktor derselben einen recht schönen Gruß bestellen und stieg nicht in seine Wohnung hinauf, sondern ging zum Professor Reihenschlager, weniger um sich seinen Rat und Trost, als um von dem Töchterlein eine Tasse Kaffee zu erbitten.
Der koptische Gelehrte wusste auch weder Rat noch Trost; er lag moralisch und körperlich zerschlagen auf seinem Sofa und sprach nur den Wunsch aus, sich aus dieser verruchten Welt gänzlich zurück in den Bauch der großen Pyramide ziehen zu können. Serena, helläugiger als je, wusste dagegen ihrer Heiterkeit kaum genugzutun. Summend und singend umschritt sie ihre Kaffeemaschine und behauptete, der Herr Polizeidirektor sei ein Mann ganz nach ihrem Herzen, der wisse, was sich schicke, und der Papa und der Herr Hagebucher sollten sich von Rechts wegen schönstens bei ihm bedanken, weil er so schnell solcher »Parade« ein Ende gemacht habe. Fräulein Serena Reihenschlager ging so weit zu behaupten, dass es sich eigentlich für einen gescheiten und ordentlichen Mann gar nicht schicke, sich so öffentlich zum Narren zu machen.
»Ich will keinen Namen nennen«, sprach sie, »aber ich kenne Leute, die sollten ihrem Gott danken, dass niemand sie hindert, sich ihre Meinung über ihrem hinterindischen Wörterbuch und ihrer türkischen Grammatik unter vier Augen zu sagen. Es ist immer etwas anderes, ob jemand innerhalb seiner vier Wände sich auf den Kopf stellt oder ob er auf dem freien Markte auf dem Seil tanzt, und das ist meine Ansicht von der Sache!«
»Und es ist eine sehr vernünftige Ansicht, Fräulein Serena!« rief Leonhard. »Ach, in welcher prächtigen Welt lebten wir, wenn die verständigen Leute ihren guten Rat stets zur rechten Zeit kundgeben würden! Jetzt bitte ich um eine zweite Tasse Kaffee.«
»Und mir stopfe meine Pfeife, Kind«, sagte der Professor und wendete sich an den jungen Hausfreund mit den tragischen Worten: »Es ist die erste heute!«
Zwanzigstes Kapitel
Um sieben Uhr trat der Afrikaner aus der märchenhaftesten Behaglichkeit in den sehr unfreundlichen dunkeln Abend hinaus. Unter dem dreifach beruhigenden Einfluss des Töchterleins, der Pfeife und des koptischen Wörterbuchs hatte der Professor fest, aufrecht, aber gemächlich, wie es dem Mann und dem Gelehrten geziemt, in seinem Lehnstuhl Posto gefasst, und Leonhard Hagebucher musste seine Aufmerksamkeit so sehr zwischen dem Lexikon und der zierlich umherhuschenden Serena teilen, dass ihm die Stunden bis zum Dunkelwerden schnell und lieblich vorüberglitten. Mit der Dämmerung freilich kam die Erinnerung an jenen, welcher draußen vor der Tür wartete, stärker zurück; Leonhard aß nicht bei dem Professor Reihenschlager zu Nacht, sondern nahm Abschied und sah auf seinem Wege zur Kesselstraße häufig über die Schulter nach dem Herrn van der Mook aus und blieb mehr als einmal stehen, wenn ein Männerschritt in der Dunkelheit hinter ihm erklang. Der Herr van der Mook trat ihn jedoch weder in der Gasse an, noch erwartete er ihn an der Haustür; aber in dem Augenblick, als der Mann aus Abu Telfan den Schlüssel im Schloss seiner Stubentür umdrehte, erschien Täubrich auf der Schwelle seines Gemaches, winkte und flüsterte:
»Sidi, ich habe einen Gast, der Sie länger als eine Stunde bei mir erwartet.«
Mit einem Sprung stand Leonhard in der Dachkammer des träumenden Schneiders, allein er fand sich wiederum nicht dem Herrn van der Mook, sondern einem gänzlich unbekannten, ältern Herrn von militärischem Aussehen gegenüber.
Eine trübe Lampe brannte auf dem Tische und verbreitete eine kaum ausreichende Helle durch das Gemach. Neben dem Tische saß der Gast des Paschas auf dem einzigen Stuhle des Paschas, erhob sich jedoch sogleich beim Eintritt Hagebuchers, machte eine kurze Verbeugung und sprach mit einer harten Stimme:
»Mein Name ist Kind – pensionierter Leutnant der Strafkompanie zu Wallenburg. Ich komme im Auftrage eines von Ihnen gekannten Mannes, des Herrn van der Mook. Derselbe befindet sich augenblicklich in meiner Behausung ein wenig unpässlich und bittet Sie durch mich, Herr Hagebucher, ihm am heutigen Abend noch die Ehre Ihrer Gesellschaft zu schenken. Ich würde mich zu Ihrer Verfügung stellen und Sie sogleich zu ihm führen.«
Der Mann hatte etwas absonderlich Rostiges an sich, und die Anrede war nur mit einem Stück brüchigen Eisen, welches einem vor die Füße geworfen wird, zu vergleichen; doch in atemloser Aufregung erklärte sich Leonhard auf der Stelle bereit, dem Rufe seines Befreiers Folge zu leisten, und lieh seinen überströmenden Gefühlen mehr Worte, als es sonst seine Art und Gewohnheit war.
»Es ist gut, gehen wir!« sagte der Leutnant, drückte den Hut auf den Kopf, nahm den Stock unter den Arm, schritt mit einer zum Folgen einladenden Handbewegung