immer vergnügten sich diejenigen am meisten, die Gewinn und Verlust des Tages oder der Stunde am wenigsten berechnen konnten. Täubrich-Pascha war fest überzeugt, dass sein Patron, wie er sich ausdrückte, heute gradso einen großen Sieg über die Residenz gewonnen habe als der König Xerxes von Griechenland über den Kaiser Alexander von Persien. Sievers, der stahlherzige Vasall des Hauses Bumsdorf, hatte einen Taler von seinem jungen Herrn Hugo empfangen und hielt ihn im seligsten Bewusstsein fortwährend warm in der linken Hand und in der linken Tasche seiner gelben ledernen Hose. Beide, der Pascha und der Vasall, saßen in der Küche des Hauses Reihenschlager, und beide Mägde des Hauses hatten Befehl, ihnen den Aufenthalt drin so angenehm als möglich zu machen. Als die Glocke der Mitternacht erklang, fand es sich, dass die Zeit in den untern Räumen des Hauses viel schneller und angenehmer hingegangen war als in den oberen, und es bedurfte längerer und dringender Überredung, um den biedern Knappen zu bewegen, die Rieke vom rechten Knie freizulassen und seinem Ritter in den Pelz zu helfen.
Pilz und Schaumlöffel hatten viel von ihren Studentenjahren gesprochen, aber die besten Schnurren in Anbetracht der Gegenwart des Fräuleins für sich behalten müssen. Der Herr von Bumsdorf hatte mit dem Fräulein Ökonomie – Gartenwirtschaft, Milchwirtschaft und Federviehzüchtung – getrieben. Von der Vorlesung war kaum noch die Rede gewesen, und Leonhard Hagebucher durfte sich seinen unruhigen Gedanken, dem Gewimmel von Fragezeichen in seiner Seele ungestört hingeben: jeder der Anwesenden hatte sich vorgenommen, ihm seine Ansichten über den Abend in einem ruhigen Augenblick ausführlich mitzuteilen; allein diese stille Minute hatte sich für niemanden gefunden. Es war übrigens auch besser so.
Als die Herren aufbrachen, drückte der koptische Professor seinem Mitarbeiter an der großen Grammatik die Hand und sprach dumpf:
»Morgen, lieber Hagebucher!«
Und Hagebucher antwortete zerstreut:
»Es wird sich wohl für alles eine Zeit finden! – Fräulein Serena, ich danke herzlich für die gütige Bewirtung.«
»O ich habe zu danken!« rief die kluge Tochter des gelehrten Vaters. »Sie haben uns heute ganz andere Dinge, als in meinem Kochbuche zu finden sind, zusammengerührt und aufgetragen! Nun, der liebe Gott möge jedem von uns einen guten Schlaf nach der Aufregung verleihen.«
»Ein guter Wunsch! Wollen Sie einen Kuss dafür, Liebchen?« rief der Vetter Wassertreter, aber Serena versteckte sich lachend und kopfschüttelnd hinter dem Papa, und auch der Wegebauinspektor fuhr endlich in seinen Pelz. Man nahm Abschied; dreimal nahm man Abschied. Zuerst an der Tür des Speisezimmers, sodann oben und zuletzt unten an der Treppe; an der Haustür aber fasste der Vetter den Hospes in die Arme, streckte ihm den Kopf über die rechte Schulter und stöhnte: »O Pilz, dein Keller!«, streckte ihm den Kopf über die linke Schulter und seufzte: »O Pilz, dein Herz!«, schob ihn sodann von sich, legte ihm beide Hände auf die Schultern, blickte ihm gerührt in die Augen und stammelte unter einem langen, langen Kuss:
»O Pilz, deine Tochter!… Gute Nacht, Pilz!« –
Es kostete einige Mühe, die beiden alten Herren und den Vasallen im Hotel de Prusse in ihre Betten zu bringen; aber endlich gelang es, wie alles, was man mit Geduld und Liebe angreift. Gegen ein Uhr wandelten Hagebucher und Täubrich allein ihrer Behausung in der Kesselstraße zu – der Pascha betrunken-weinerlich, Leonhard vollkommen nüchtern, dessenungeachtet aber verwirrt und betäubt wie kein anderer Bewohner der Residenz in dieser Nacht.
Je mehr er über das plötzliche Erscheinen und Verschwinden jenes Mannes, welchem er zu so vielem Dank verpflichtet war, nachdachte, desto unbegreiflicher erschien es ihm. Hatte er denn wirklich recht gesehen? Hatte er sich nicht getäuscht? Hatte die Erscheinung wirklich und wahrhaftig Fleisch und Blut, und war sie nicht bloß ein Spiel der durch das eigene Wort erregten Fantasie, eine Folge der übermäßigen Exaltation des Abends? Die Antwort auf diese Frage blieb immer dieselbe: der Herr van der Mook war ebenso unvermutet im Saale der Harmonie erschienen wie einst zu Abu Telfan im Tumurkielande, Königreich Dar-Fur. In seinen Unterhosen auf dem Rande seines Bettes sitzend, sprach der Redner, nachdem er dem schlaftrunkenen Pascha die ungeheure Tatsache so klar als möglich gemacht hatte, ein letztes hohes Wort.
»Täubrich«, sagte er, »Täubrich, wenn ich morgen früh nicht wieder erwachen sollte, so geben Sie mir den größten hölzernen Löffel, den Sie auftreiben können, als Symbol mit in die Grube, und auf meinen Grabstein lassen Sie schreiben: Er bekam sein Teil!«
»O Je – rusalem!« seufzte der Schneider, und seufzend zog Leonhard Hagebucher die Füße in die Höhe, sah den Pascha aus der Tür wanken und blies das Licht aus. Dass der Herr van der Mook ihm jetzt nicht zum zweiten Mal erschien, war gleichfalls als ein beruhigendes Zeichen seines Wandelns unter den Lebendigen zu nehmen, und dass auch Leonhard am nächsten Morgen noch unter den Lebenden aufstand, bewies klar, er habe den Löffel doch noch etwas zu voreilig neben die Schüssel legen wollen.
Der Morgen kam und brachte durch die Stadtpost ein Billet, welches eine Karte mit dem Namen van der Mook und die Notiz enthielt.
»Suchen Sie mich nicht, reden Sie nicht von mir; vielleicht werden wir am Abend irgendwo zusammentreffen; verlassen Sie also nach acht Uhr Ihre Wohnung nicht. Es ist mir recht angenehm gewesen, Sie so schnell und in so günstig veränderten Zuständen wiederzufinden. Vielleicht habe ich mannigfache Gelegenheit, Ihren guten Willen und Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Leben Sie wohl.«
Gleich einem Regenguss auf ein dürstendes Saatfeld wirkte dieses Schreiben auf den afrikanischen Redner. Schnellkräftig erhob er sich aus tiefster moralischer Zerknicktheit, aus kläglichster, katzenjämmerlichster Versunkenheit. Blitzschnell fuhr er aus dem Bett und in die Kleider; unter seinen Schritten erdröhnte der Fußboden, und mit unverhohlenem Staunen blickte Täubrich-Pascha auf die merkwürdige Veränderung in Wesen und Erscheinung seines Patrons und hätte sich gern das Rezept davon ausgebeten; aber Hagebucher achtete wenig auf ihn, sondern griff bald nach Hut und Regenschirm, um nach dem Hotel de Prusse zu eilen und den Vetter Wassertreter sowie den Ritter von Bumsdorf nach Nippenburg abfahren zu sehen.
Es war, wenngleich ziemlich warm, doch ein arger Nebel; aber der graue Tag besaß nicht mehr die Macht, niederdrückend auf den Mann vom Mondgebirge zu wirken. Er schritt weit aus durch die schmutzigen Gassen und kümmerte sich um nichts. Manche Leute blieben stehen, blickten ihm nach, steckten flüsternd