wohl in ihnen! Ach, Hagebucher, den schlimmsten Widersacher hatte der Vater in seinem eigenen Hause – von frühester Jugend an war ich ein Rebell gegen seinen Ernst und seine Strenge und habe das Meinige vollauf getan, ihm das Leben zu verdüstern, und die Mutter büßte mit, was mein leichtes Blut täglich verschuldete. Soldat wurde ich natürlich gegen den Willen des Alten; aber das nichtige Wesen passte in einer anderen Art gradsogut zu meinem Charakter wie zu dem des Leutnants dort. Wir waren wie die Mücken an einem warmen Sommertage, nur nicht so harmlos; ein ganzer Schwarm Mädchen und Junggesellen, umtanzten wir den wilden Prinzen, und die Mädchen taugten fast noch weniger als wir. Sie haben Gelegenheit gehabt, Hagebucher, die schöne Frau von Glimmern danach zu fragen, und sie wird Ihnen die Antwort sicherlich nicht schuldig geblieben sein. Nikola! Nikola! Ich sage Ihnen, Don Leonardo, es gibt keinen Namen in der Welt außer dem meiner Mutter, welcher mich grimmiger würgte. Nikola von Einstein! Leutnant, Sie haben doch recht, wir wollen die Rechnung abschließen und einen recht roten Strich durch das Debet des Herrn von Glimmern ziehen. Halali, alle Hunde auf das Fell und alle Messer in das Herz des Schuftes!… Bah, wie man sich immer von neuem so unnötigerweise aufregt. Sie war auch eine klingende Schelle, diese meine schöne Nikola, Hagebucher, und ihre Erziehung hatte sie wahrhaftig zu nichts anderm machen können. Meine arme, arme Nikola! Wir begegneten einander in dem Mückentanze und nahmen unser Teil von dieser Seifenblasenexistenz, welche man rund um uns her Leben nannte. Wir gingen im ironischen Menuettschritt umeinander herum und scherzten frivol die schönsten Stunden der Jugend hinweg. Wir vertändelten unsere besten Gefühle und schlugen all unser Gold in zwei kurzen Sommern zu der allerschlechtesten Scheidemünze. Sogar über meine Mutter lachte ich und nannte sie eine liebe, gute Törin, wenn sie das hervorkehrte, was ich ihre verjährte Taschenbüchersentimentalität nannte. Meine Mutter litt tausend Schmerzen um uns, kummervoll sah sie auf das frivole Spiel; aber auch sie konnte uns nicht vor uns selber retten. Sie wusste besser als Nikola Einstein selbst, was Nikola Einstein wert sei, und nannte sie ihr Kind, ihre liebe Tochter. – O Fluch, Fluch! Heute noch klopfe ich mich häufig mit der Frage an die Stirn: Weshalb reichtet ihr euch nicht in einer vernünftigen Minute die Hände und sprachet: Genug der Albernheiten! – ? – Es war so wenig nötig, um uns beide zu anständigen Menschen zu machen; ein Hauch, ein Blick, der Klang einer Glocke an einem stillen Abend hätte genügt, um uns für alle Ewigkeiten zusammenzuführen; und nun – nun ist sie die Baronin Glimmern, das Weib des feigen Mörders, des Betrügers, und ich bin der verwilderte, störrige Landstreicher, der Mann ohne Heimat, ohne Ehre, ohne Namen, der tolle Tierhändler und Tierbändiger Kornelius van der Mook; und ein altes Weib ist sie mit der Weile auch geworden, und das ist das beste von der Geschichte, nicht wahr, Leutnant, denn was sollte aus uns werden, wenn der Zeiger nicht rückte auf dem Zifferblatt?«
»Sicher rückt er, und wer Geduld hat und es erlebt, wird die Stunde für manch einen Wunsch und manch ein Geschäft schlagen hören«, murrte der Alte; der Herr van der Mook aber ergriff den Afrikaner an einem Knopfe, deutete auf den Leutnant der Strafkompanie und rief:
»Sehen Sie, Hagebucher, das ist ein glücklicher Mensch! Wie er da steht und wartet, wie er im rechten Moment zuschlagen wird ohne Zaudern und jegliche Rührung! Er begrub seine Kinder und geduldete sich, manch liebes, langes Jahr bewies er große Geduld; doch nun wird er zupacken – mit beiden Händen, ohne Erbarmen. Doris hieß die Kleine, welche mit dem Sekretär meines Vaters versprochen war; es ist ein hübscher Name, Hagebucher, ein Schäfername, und mein Freund Friedrich von Glimmern glaubte seinen Schäferroman ohne alle Gefahr oder, was ihm noch lieber gewesen wäre, ohne alles außergewöhnliche Aufsehen spielen zu können. Der Papa Kind saß zu Wallenburg und ritt seine Taugenichtse zusammen, der arme Adolf stand hier in der Stadt in Reih und Glied, und man konnte mit Recht erwarten, dass er sich ruhig verhalte. Doris lernte die bekannte feine Bildung, und der Herr von Glimmern hätte ihr mit Vergnügen allen Vorschub dabei geleistet. Pfui Teufel, wie nüchtern ist das Leben geworden! Das Mädchen war ehrlich und der junge Mensch, der alberne Schreiber, parierte nicht Order; aber auch die beiden unseligen Tröpfe gönnten einander nicht das rechte Wort, sondern dachten selbstverständlich das Schlechteste voneinander, bis die Katastrophe im Kasernenhof zu Wallenburg die Wahrheit an den Tag brachte. Ho, Leutnant, vielleicht wäre es doch komfortabler für alle Parteien gewesen, wenn Ihr dieser Wahrheit freien Lauf gelassen hättet; die Ohren aber klangen Euch ebensosehr wie das Herz. Na, einem Burschen, wie Ihr seid, soll man seinen Weg lassen, und wenn er seine Toten mit allem Anstand begräbt, ihm nicht dazwischenheulen; er verscharrt seinen Grimm nicht mit in der Grube.«
»Das tut er nicht«, sagte der Leutnant, »er weiß, was sich schickt, und ruft nicht die ganze Welt zu Hilfe, um zu verrichten, was er mit Geduld, Akkuratesse und gutem Willen allein besorgen kann. Es ist so viel Geschrei unter den Menschen, und wer’s vermag über sich, der soll seinen Gram mit keinem Ekel vermengen. O wären Sie, als das Dach über Ihrem Kopfe einstürzte, Herr von Fehleysen, zu mir gekommen, statt wie blind und toll in die weite Welt zu laufen, wir hätten Sie gewiss noch gerettet für ein recht erträgliches Dasein.«
»Vielleicht… ja, vielleicht!« murmelte Viktor mit einem Seufzer, fiel jedoch sogleich wieder in den alten Ton und rief mit Lachen: »Wir sind eben nicht alle aus demselben sonderbaren Metall gegossen wie Sie, tapferer Leutnant; – jetzt lassen Sie mich meine Geschichte zu Ende bringen, das wird dem Herrn Hagebucher mehr als alles andere beweisen, wie sehr Ihre Anschauungsweise vorzuziehen ist. Auf die Katastrophe zu Wallenburg folgte bald die Katastrophe in meines Vaters Hause, und ich fand keine Kraft in mir, wie ein Mann zu denken und zu handeln; der Faustschlag traf eine hohle Stirn, und damit ist alles gesagt. Ich floh gleich einem Feigling vor dem Geschrei der Menschen, vor dem Gespenst der verlorenen Ehre, vor den Blicken und dem Achselzucken meiner Kameraden, vor den Knöpfen meiner Uniform. Nicht der stolze, tote Vater, sondern das, was die Leute über ihn, über uns sagten, jagte mich hinaus. Gleich einem Wahnsinnigen riss ich die Mutter mit mir fort, aus ihrem Hause, von der blutigen Leiche des Gatten, hinaus in die Winternacht, um sie auf der Landstraße zu verlassen. Es war ein kindisches, tierisches Scheuwerden, eine Panik, wie sie nur über die Schwachen im Geist kommt. Niemals rannte ein Maulesel bei einer Estampede toller in die Prärie. Wo ich ruhig, tapfer und kalt wie Eis hätte sein sollen, da zersplitterte das bisschen Verstand und Überlegung in hundert Stückchen, wie ein Spiegel unter einem Steinwurf. Ich verließ meine Mutter und fing erst einige hundert Meilen weiter südwärts an, soweit es möglich war, zur Besinnung zu kommen. Eine schöne Besinnung, die Besinnung eines Pavians, welcher die Peitsche von seinem Wärter bekam