Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Sie hat­te kein Mark mehr in den Kno­chen, jetzt hät­te sie ei­ner nur mit ei­nem Fin­ger an­sto­ßen müs­sen, sie wäre glatt vom Kü­chen­stuhl ge­rutscht.

      Aber all­mäh­lich, wie sie dort hock­te, kehr­ten wie­der Kraft und Le­ben in sie zu­rück. So hat­te sie es denn auch ein­mal ge­schafft, ihr Wil­le hat­te sei­ne sture Hart­nä­ckig­keit be­zwun­gen. Sie hat­te ihr Heim für sich be­hal­ten, für sich ganz al­lein. Er wür­de da nicht wie­der rum­sit­zen, end­los von sei­nen Pfer­den re­den und ihr jede Mark und je­den Kan­ten Brot steh­len, den er nur er­wi­schen konn­te.

      Sie sprang auf, von neu­em Le­bens­mut er­füllt. Die­ses Stück­chen Le­ben war ihr ver­blie­ben. Nach dem end­lo­sen Dienst auf der Post brauch­te sie die­se paar Stun­den hier für sich al­lein. Der Be­stell­gang fiel ihr schwer, sehr schwer, im­mer schwe­rer. Sie hat­te schon frü­her mit dem Un­ter­leib zu tun ge­habt, nicht um­sonst la­gen die drei Jüngs­ten auf dem Fried­hof: al­les Früh­ge­bur­ten. Die Bei­ne woll­ten auch nicht mehr so. Sie war eben kei­ne Frau für das Er­werbs­le­ben, sie war ei­gent­lich eine rich­ti­ge Haus­frau. Aber sie hat­te ver­die­nen müs­sen, als der Mann plötz­lich auf­ge­hört hat­te zu ar­bei­ten. Da­mals wa­ren die bei­den Jun­gen noch klein ge­we­sen. Sie hat­te sie hoch­ge­bracht, sie hat­te sich die­ses Heim ge­schaf­fen: Wohn­kü­che und Kam­mer. Und da­bei hat­te sie noch den Mann mit durch­ge­schleppt, wenn er nicht ge­ra­de bei ei­ner sei­ner Ge­lieb­ten un­ter­ge­kro­chen war.

      Selbst­ver­ständ­lich hät­te sie sich längst von ihm schei­den las­sen kön­nen, er mach­te ja gar kein Hehl aus sei­nen Ehe­brü­chen. Aber eine Schei­dung hät­te nichts ge­än­dert, ob ge­schie­den oder nicht, Enno hät­te sich wei­ter an sie ge­klam­mert. Dem war al­les egal, der hat­te kei­nen Fun­ken Ehre im Lei­be.

      Dass sie ihn ganz aus der Woh­nung ge­setzt hat­te, das war erst ge­sche­hen, als die bei­den Jun­gen in den Krieg ge­zo­gen wa­ren. Bis da­hin hat­te sie im­mer noch ge­glaubt, we­nigs­tens den Schein ei­nes Fa­mi­li­en­le­bens auf­recht­er­hal­ten zu müs­sen, trotz­dem die großen Ben­gels ge­nau Be­scheid wuss­ten. Sie hat­te über­haupt eine Scheu, von die­sem Zer­würf­nis an­de­re et­was mer­ken zu las­sen. Wur­de sie nach ih­rem Man­ne ge­fragt, so ant­wor­te­te sie im­mer, er sei auf Mon­ta­ge. Sie ging so­gar jetzt noch manch­mal zu En­nos El­tern, brach­te ih­nen was zu es­sen oder ein paar Mark, ge­wis­ser­ma­ßen als Ent­schä­di­gung für das Geld, das der Sohn sich dann und wann von der küm­mer­li­chen Ren­te der El­tern er­schlich.

      Aber in­ner­lich war sie ganz fer­tig mit dem Mann. Er hät­te sich so­gar än­dern und wie­der ar­bei­ten und sein kön­nen wie in den ers­ten Jah­ren ih­rer Ehe, sie hät­te ihn nicht wie­der auf­ge­nom­men. Sie hass­te ihn nicht etwa, er war so ein rei­ner Gar­nichts, dass man nicht ein­mal Hass ge­gen ihn auf­brin­gen konn­te, er war ihr ein­fach wi­der­lich, wie ihr Spin­nen und Schlan­gen wi­der­lich wa­ren. Er soll­te sie bloß in Ruhe las­sen, nur nicht se­hen woll­te sie ihn, dann war sie schon zu­frie­den!

      Wäh­rend Eva Klu­ge so vor sich hin dach­te, hat­te sie ihr Es­sen auf die Gas­flam­me ge­setzt und die Wohn­kü­che auf­ge­räumt – die Kam­mer mit ih­rem Bett mach­te sie schon im­mer am frü­hen Mor­gen zu­recht. Wäh­rend sie nun die Brü­he schön bro­deln hör­te und ihr Duft sich durch die gan­ze Kü­che zu ver­brei­ten an­fing, mach­te sie sich an den Stopf­korb – mit den St­rümp­fen war es ein ewi­ges Elend, sie zer­riss am Tage oft mehr, als sie stop­fen konn­te. Aber sie war der Ar­beit dar­um nicht böse, sie lieb­te die­se stil­le hal­be Stun­de vor dem Es­sen, wenn sie be­hag­lich in wei­chen Filz­schu­hen auf dem Korb­stuhl sit­zen konn­te, die schmer­zen­den Füße weit von sich ge­streckt und ein we­nig ein­wärts ge­dreht – so ruh­ten sie am bes­ten aus.

      Nach dem Es­sen woll­te sie an ih­ren Lieb­ling, den Äl­tes­ten, an Kar­le­mann woll­te sie schrei­ben, der in Po­len war. Sie war ganz und gar nicht mit ihm ein­ver­stan­den, be­son­ders nicht, seit er in die SS ein­ge­tre­ten war. Man hör­te in der letz­ten Zeit sehr viel Schlech­tes von der SS, be­son­ders ge­gen die Ju­den soll­te sie so ge­mein sein. Aber das trau­te sie ihm doch nicht zu, dass ihr Jun­ge, den sie ein­mal un­ter dem Her­zen ge­tra­gen hat­te, Ju­den­mäd­chen erst schän­de­te und dann gleich hin­ter­her er­schoss. So was tat Kar­le­mann nicht! Wo­her soll­te er es auch ha­ben? Sie hat­te nie hart oder gar roh sein kön­nen, und der Va­ter war ein­fach ein Wasch­lap­pen. Aber sie wür­de doch ver­su­chen, im Brief eine An­deu­tung zu ma­chen, dass er an­stän­dig blei­ben müs­se. Na­tür­lich muss­te die­se An­deu­tung ganz vor­sich­tig ge­macht wer­den, dass nur Kar­le­mann sie ver­stand. Sonst be­kam er Schwie­rig­kei­ten, wenn der Brief dem Zen­sor in die Fin­ger ge­riet. Nun, sie wür­de schon auf ir­gend­was kom­men, viel­leicht wür­de sie ihn an ein Kind­heits­er­leb­nis er­in­nern, wie er ihr da­mals zwei Mark ge­stoh­len und Bon­bons da­für ge­kauft hat­te oder, bes­ser noch, als er sich schon mit drei­zehn an die Wal­li ran­ge­macht hat­te, die nichts war wie eine ge­mei­ne Nut­te. Was das da­mals für Schwie­rig­kei­ten ge­macht hat­te, ihn von dem Wei­be wie­der los­zu­krie­gen – er war solch ein Wut­kopf manch­mal, der Kar­le­mann!

      Aber sie lä­chelt, als sie an die­se Schwie­rig­kei­ten denkt. Al­les kommt ihr heu­te schön vor, was mit der Kind­heit der Jun­gens zu­sam­men­hängt. Da­mals hat­te sie noch Kraft in sich, sie hät­te ihre Ben­gels ge­gen die gan­ze Welt ver­tei­digt und ge­ar­bei­tet bei Tag und ge­ar­bei­tet bei Nacht, bloß um ih­nen nichts ab­ge­hen zu las­sen, was an­de­re Kin­der mit ei­nem an­stän­di­gen Va­ter be­ka­men. Aber in den letz­ten Jah­ren ist sie im­mer kraft­lo­ser ge­wor­den, ganz be­son­ders, seit die bei­den in den Krieg zie­hen muss­ten. Nein, die­ser Krieg hät­te nicht kom­men dür­fen; war der Füh­rer wirk­lich ein so großer Mann, hät­te er ihn ver­mei­den müs­sen. Das biss­chen Dan­zig und der schma­le Kor­ri­dor – und dar­um Mil­lio­nen Men­schen in täg­li­che Le­bens­ge­fahr ge­bracht – so was tat kein wirk­lich großer Mann!

      Aber frei­lich, die Leu­te er­zähl­ten ja, dass er so was wie un­ehe­lich sei. Da hat­te er wohl nie eine Mut­ter ge­habt, die sich rich­tig um ihn küm­mer­te. Und so wuss­te er auch nichts da­von, wie Müt­tern zu­mu­te sein kann in die­ser ewi­gen, nie ab­rei­ßen­den Angst. Nach ei­nem Feld­post­brief war es ein, zwei Tage bes­ser, dann rech­ne­te man, wie lan­ge es her war, seit er ab­ge­schickt wor­den war, und die Angst be­gann von Neu­em.

      Sie hat­te längst den Stopf­strumpf sin­ken las­sen und nur so vor sich hin ge­träumt. Nun steht sie ganz me­cha­nisch auf, rückt die Brü­he von der bes­ser bren­nen­den Flam­me auf die schwä­che­re und setzt den Kar­tof­fel­topf auf die bes­se­re auf. Sie ist noch da­bei, als bei ihr die Klin­gel geht. So­fort steht sie wie er­starrt. Enno! denkt es in ihr, Enno!

      Sie setzt den Topf lei­se hin und schleicht auf ih­ren Filz­soh­len laut­los zur Tür. Ihr Herz geht wie­der leich­ter: vor der Tür, ein biss­chen ab, so­dass sie gut ge­se­hen wer­den kann, steht ihre Nach­ba­rin, Frau Gesch. Si­cher will sie wie­der was bor­gen, Mehl oder ein biss­chen Fett, das sie stets wie­der­zu­brin­gen ver­gisst. Aber Eva Klu­ge bleibt trotz­dem miss­trau­isch. Sie sucht, so­weit es das Guck­loch in der Tür er­laubt, den gan­zen Trep­pen­flur ab und lauscht auf je­des Geräusch. Aber al­les ist in Ord­nung, nur die Gesch scharrt manch­mal un­ge­dul­dig mit den Fü­ßen oder sieht nach dem Guck­loch hin.

      Eva Klu­ge ent­schließt sich. Sie macht die Tür auf, aber nur so weit die Ket­te es zu­lässt, und fragt: »Na, was soll’s denn sein, Frau Gesch?«

      So­fort über­stürzt