Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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buck­li­ge Stirn, in die stets ein Wisch fil­zi­ger Haa­re hing, war von vie­len Längs­fal­ten ge­furcht. Er sprach nur we­nig, und das we­ni­ge, was er sprach, war nur Ze­te­rei und Mord. Wie Quan­gel bald aus den Re­den der Wa­chen er­fuhr, war Karl­chen Ziem­ke frü­her selbst ein pro­mi­nen­tes Mit­glied der SS ge­we­sen, er hat­te eine au­ßer­or­dent­li­che Hen­kers­mis­si­on zu er­fül­len ge­habt, und wie vie­le Men­schen die­se be­haar­ten Tat­zen um­ge­bracht hat­ten, das wür­de nie zu er­fah­ren sein, denn Karl­chen wuss­te es selbst nicht.

      Doch für den Be­rufs­mör­der Karl­chen Ziem­ke hat­te es selbst in die­sen mord­lus­ti­gen Zei­ten oft nicht ge­nug zu mor­den ge­ge­ben, und da war er in sol­chen be­schäf­ti­gungs­lo­sen Zei­ten dazu über­ge­gan­gen, auch dann Mor­de zu be­ge­hen, wenn sie nicht von sei­nen Vor­ge­setz­ten an­ge­ord­net wor­den wa­ren. Wenn er es da­bei auch nicht ver­schmäh­te, sei­nen Op­fern Geld und Wert­sa­chen ab­zu­neh­men, so war doch nie das Rau­ben der Grund zu sei­nen Übel­ta­ten ge­we­sen, son­dern stets nur die rei­ne Mord­lust. Und schließ­lich war man ihm dar­auf ge­kom­men, und da er so un­ge­schickt ge­we­sen war, nicht nur Ju­den, Volks­fein­de und ähn­li­ches Frei­wild um­zu­brin­gen, son­dern auch ein­wand­freie Ari­er und dar­un­ter so­gar einen Par­t­ei­ge­nos­sen, so saß er nun erst ein­mal hier im Bun­ker, und es war noch un­ge­wiss, was mit ihm ge­sche­hen soll­te.

      Karl­chen Ziem­ke, der so vie­le ohne einen schnel­le­ren Herz­schlag in den Tod ge­schickt hat­te, war es angst um das ei­ge­ne kost­ba­re Le­ben ge­wor­den, und in sei­nem Kopf, der nicht viel mehr Ge­dan­ken, als ein fünf­jäh­ri­ges Kind hat, in sich trug, aber sehr viel bö­se­re, war der Ge­dan­ke auf­ge­taucht, dass er sich vor den Fol­gen sei­ner Ta­ten ret­ten konn­te, wenn er den Wahn­sin­ni­gen spiel­te. Er hat­te sich da­für die Rol­le ei­nes Hun­des aus­ge­dacht. Oder sie war ihm auch von ir­gend­wel­chen Ka­me­ra­den an­ge­ra­ten wor­den, was das Wahr­schein­li­che­re war, und er führ­te die­se Rol­le mit Kon­se­quenz durch, das zeig­te, dass sie ihm lag.

      Meist lief er völ­lig nackt auf al­len vie­ren in der Zel­le her­um, bell­te hün­disch, fraß aus sei­ner Schüs­sel wie ein Hund und leg­te es im­mer wie­der dar­auf an, Quan­gel in die Bei­ne zu bei­ßen. Oder er ver­lang­te von dem al­ten Werk­meis­ter, dass er ihm stun­den­lang eine Bürs­te zu­warf, die Karl­chen dann ap­por­tier­te, wo­für er ge­strei­chelt und be­lobt wer­den woll­te. Oder Quan­gel muss­te die Ho­sen Karl­chens wie ein Sprung­seil schwin­gen, wor­über dann Karl­chen un­un­ter­bro­chen sprang.

      Zeig­te sich der Werk­meis­ter nicht wil­lig ge­nug, so über­fiel ihn der »Hund«, warf ihn zu Bo­den und fass­te sei­ne Keh­le wie ein Hund mit den Zäh­nen, und nie war es si­cher, dass aus dem Spiel nicht Ernst wur­de. Die Wa­chen hat­ten eine tie­fe Freu­de an den Er­göt­zun­gen Karl­chens. Oft stan­den sie lan­ge in der Zel­len­tür und hetz­ten den Hund, sie mach­ten ihn scharf, und Quan­gel muss­te al­les über sich er­ge­hen las­sen. Ka­men sie aber in ih­rer be­trun­ke­nen Wut, sie an den Ge­fan­ge­nen aus­zu­las­sen, so war­fen sie Karl­chen auf die Erde, er brei­te­te sei­ne Arme auf der Erde aus und fleh­te sie an, ihm die Ge­där­me aus dem nack­ten Leib zu tre­ten.

      Mit die­sem Man­ne war Quan­gel ver­ur­teilt, Tag für Tag, Stun­de um Stun­de, Mi­nu­te nach Mi­nu­te zu­sam­men­zu­le­ben. Er, der stets für sich al­lein ge­lebt hat­te, konn­te nun nicht mehr eine Vier­tel­stun­de für sich al­lein sein. Selbst nachts, wenn er den Trös­ter Schlaf such­te, war er vor sei­nem Quä­ler nicht si­cher. Plötz­lich hock­te er an sei­nem Bett, hat­te die Pran­ke auf Quan­gels Brust ge­legt und ver­lang­te Was­ser oder auch einen Platz auf Quan­gels La­ger. Der muss­te bei­sei­terücken, er schüt­tel­te sich vor Ekel vor die­sem Kör­per, der nie ge­wa­schen wur­de, der haa­rig war wie der ei­nes Tie­res, der aber nichts von der Rein­heit und Un­schuld der Tie­re hat­te. Und dann bell­te Karl­chen lei­se und fing an, das Ge­sicht Otto Quan­gels ab­zu­le­cken und nach dem Ge­sicht den gan­zen Kör­per.

      Ja, dies war schwer zu er­tra­gen, und oft frag­te sich Otto Quan­gel, warum er es denn ei­gent­lich er­trug, da das Ende doch ge­wiss war, das nahe Ende. Aber da war ein Wi­der­stand in ihm, sich selbst aus­zu­lö­schen, Anna zu ver­las­sen, die er doch nicht mehr sah. Da war ein Wi­der­stand in ihm, es de­nen so leicht zu ma­chen, das Ur­teil vor­weg­zu­neh­men. Sie soll­ten ihm das Le­ben ab­spre­chen, es ihm neh­men, mit Strick oder Fall­beil, gleich­viel. Sie soll­ten nicht glau­ben, dass er sich schul­dig fühl­te. Nein, er woll­te ih­nen nichts er­spa­ren, und so er­spar­te er sich Karl­chen Ziem­ke nicht.

      Und es war selt­sam: je wei­ter die­se neun­zehn Tage vor­rück­ten, umso er­ge­be­ner schi­en ihm der »Hund« zu wer­den. Er biss ihn nicht mehr, er warf ihn nicht mehr und fass­te ihn an der Keh­le. Hat­ten ihm sei­ne SS-Ka­me­ra­den ein­mal einen bes­se­ren Bis­sen zu­ge­teilt, so muss­te er durch­aus ge­teilt wer­den, und oft lag der Hund stun­den­lang mit sei­nem rie­si­gen Rund­schä­del im Scho­ße des al­ten Man­nes, die Au­gen ge­schlos­sen, lei­se vor sich hin blaf­fend, wäh­rend die Fin­ger Otto Quan­gels durch sei­ne Haa­re fuh­ren.

      Dann frag­te sich der Werk­meis­ter oft, ob die­ses Tier über dem Vor­täu­schen ei­nes Wahn­sinns nicht wirk­lich wahn­sin­nig ge­wor­den war. Aber wenn er’s wirk­lich war, so wa­ren es sei­ne »frei­en« Ka­me­ra­den auf den Gän­gen des Bun­kers auch. Dann än­der­te es auch nichts, dann wa­ren sie samt ih­rem wahn­sin­ni­gen Füh­rer und ih­rem stän­dig blö­de grin­sen­den Himm­ler ein Ge­schlecht, das aus­ge­löscht wer­den muss­te von dem Ant­litz der Erde, da­mit die Ver­nünf­ti­gen le­ben konn­ten.

      Als es dann hieß, Otto Quan­gel käme auf Trans­port, war Karl­chen sehr un­glück­lich. Er jaul­te und wim­mer­te, er zwang Quan­gel sein gan­zes Brot auf, und als der Werk­meis­ter auf den Gang her­austre­ten und mit hoch er­ho­be­nen Ar­men das Ge­sicht ge­gen die Wand pres­sen muss­te, schlüpf­te der nack­te Mann auf al­len vie­ren aus der Zel­le, hock­te sich ne­ben ihn und jaul­te lei­se und jam­mer­voll. Dies hat­te das Gute, dass die ro­hen SS-Män­ner nicht ganz so roh mit Quan­gel um­spran­gen wie mit den an­de­ren Trans­port­ge­fan­ge­nen; ein Mann, der die Er­ge­ben­heit ei­nes sol­chen Hun­des ge­won­nen hat­te, die­ser Mann mit dem kal­ten, bö­sen Vo­gel­ge­sicht mach­te so­gar auf die Hen­kers­knech­te Ein­druck.

      Und als es dann »Abrücken!« hieß, als der Hund Karl­chen in sei­ne Zel­le zu­rück­ge­jagt wur­de, da war das Ge­sicht Quan­gels nicht mehr nur kalt und böse, da emp­fand er in sei­nem Her­zen einen leich­ten Druck, et­was wie Be­dau­ern. Der Mann, der in sei­nem gan­zen Le­ben sein Herz nur an einen Men­schen, näm­lich an sei­ne Frau, ge­hängt hat­te, sah den viel­fa­chen Mör­der, die­ses Vieh von ei­nem Men­schen, nur un­gern aus sei­nem Le­ben schei­den.

      55. Anna Quangel und Trudel Hergesell

      Vi­el­leicht war es nur Schlam­pe­rei, dass Anna Quan­gel als Zel­len­ge­fähr­tin nach Ber­tas Tode Tru­del Her­ge­sell be­kam. Vi­el­leicht aber war es auch so, dass die dem Herrn Kom­missar Laub im Grun­de ganz un­wich­tig wa­ren. Man quetsch­te aus ih­nen her­aus, was sie wuss­ten, was sie von ih­ren Ker­len er­fah­ren hat­ten, und dann wa­ren sie er­le­digt. Die wirk­li­chen Ver­bre­cher wa­ren im­mer die Män­ner, die Wei­ber lie­fen nur so mit, was frei­lich nicht hin­der­te, dass sie mit ih­ren Män­nern hin­ge­rich­tet wur­den.

      Ja, Ber­ta war ge­stor­ben, die­se Ber­ta, die der Anna ganz harm­los die An­we­sen­heit ih­rer Schwä­ge­rin ver­ra­ten