Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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nicht weg. Sie sah sehr schön aus, als sie ge­stor­ben war, so still und fei­er­lich. Aber jetzt ist die See­le aus ihr ent­flo­hen, jetzt liegt sie da wie ein Stück ver­dor­be­nes Fleisch.«

      »Sie sol­len sie fortho­len! Ich kann sie nicht an­se­hen! Ich will die­sen Ge­stank nicht mehr at­men!«

      Und ehe Anna Quan­gel es noch hat­te hin­dern kön­nen, war Tru­del zur Tür ge­eilt. Mit den Hän­den trom­mel­te sie ge­gen das Ei­sen­blech und schrie: »Auf­ma­chen! So­fort auf­ma­chen! Hört doch!«

      Das war ver­bo­ten, je­des Lär­men war ver­bo­ten, ei­gent­lich war so­gar je­des Spre­chen ver­bo­ten.

      Anna Quan­gel eil­te zu Tru­del, sie hielt ihre Hän­de fest, zog sie von der Tür fort und flüs­ter­te angst­voll: »Das darfst du nicht tun, Tru­del! Das ist ver­bo­ten! Sie wer­den her­ein­kom­men und dich schla­gen!«

      Aber es war schon zu spät. Das Schloss knack­te, und her­ein stürz­te ein rie­sen­lan­ger SS-Mann mit er­ho­be­nem Gum­mi­knüt­tel. »Was habt ihr hier zu schrei­en, ihr Nut­ten?«, brüll­te er. »Habt ihr etwa Be­feh­le zu ge­ben, ihr Hu­ren­ge­sin­del?«

      Die bei­den Frau­en sa­hen ihn aus ei­nem Win­kel angst­voll an.

      Er ging nicht zu ih­nen, sie zu schla­gen. Er ließ den Tot­schlä­ger sin­ken und mur­mel­te:

      »Das stinkt ja hier wie ein gan­zer Lei­chen­kel­ler! Wie lan­ge liegt die denn schon hier?«

      Er war ein blut­jun­ger Bur­sche, sein Ge­sicht war blass ge­wor­den.

      »Schon den drit­ten Tag«, sag­te Frau Anna. »Ach, sei­en Sie doch so gut und se­hen Sie, dass die Tote aus der Zel­le kommt! Man kann hier wirk­lich nicht mehr at­men!«

      Der SS-Mann mur­mel­te et­was und ging aus der Zel­le. Aber er ver­schloss die Tür nicht wie­der, er lehn­te sie nur an.

      Lei­se schli­chen die bei­den an die Tür, stie­ßen sie ein we­nig wei­ter auf, nur ein we­nig wei­ter, und at­me­ten durch den Spalt die aus Des­in­fek­ti­ons- und Ab­ort­ge­rü­chen ge­misch­te Luft des Gan­ges wie ein Lab­sal.

      Dann zo­gen sie sich wie­der zu­rück, denn der jun­ge SS-Mann kam den Gang her­auf.

      »So!«, sag­te er und hat­te einen Zet­tel in der Hand. »Dann fasst man fix an! Du, Alte, nimm sie bei den Bei­nen, und du, Jun­ge, nimm sie beim Kopf. Los mit euch – ihr wer­det doch solch ein Ge­rip­pe tra­gen kön­nen?!«

      Sein Ton war bei all sei­ner Rau­heit fast gut­mü­tig, er half auch beim Tra­gen.

      Sie gin­gen einen lan­gen Gang hin­auf, dann wur­de eine ei­ser­ne Git­ter­tür ge­schlos­sen, ihr Beglei­ter wies ei­nem Pos­ten sei­nen Zet­tel, und nun ging es vie­le stei­ner­ne Trep­pen hin­ab. Es wur­de feucht, das elek­tri­sche Licht brann­te düs­ter.

      »Da!«, sag­te der SS-Mann und schloss eine Tür auf. »Das ist der Lei­chen­kel­ler. Legt sie hier­her auf die Prit­sche. Aber zieht sie aus. Klei­der sind knapp. Es wird al­les ge­braucht!«

      Er lach­te, aber sein La­chen klang ge­zwun­gen.

      Die Frau­en stie­ßen einen Schrei des Ent­set­zens aus. Denn in die­sem wahr­haf­ten Lei­chen­kel­ler la­gen tote Män­ner und Frau­en, und alle nackt, wie sie auf die Welt ge­kom­men wa­ren. Da la­gen sie, mit zer­schla­ge­nen Ge­sich­tern, mit blu­ti­gen Strie­men, mit ver­dreh­ten Glie­dern, krus­tig von Blut und Schmutz. Nie­mand hat­te sich die Mühe ge­nom­men, ih­nen die Au­gen zu­zu­drücken, sie starr­ten tot, und man­che schie­nen auch tückisch zu blin­zeln, als sei­en sie neu­gie­rig und freu­ten sich über den Zu­wachs, der ih­nen da zu­ge­tra­gen wur­de.

      Und wäh­rend Anna und Tru­del sich mit zit­tern­den Hän­den müh­ten, die tote Ber­ta mög­lichst rasch ih­rer Klei­der zu ent­le­di­gen, konn­ten sie es doch nicht las­sen, im­mer wie­der neu einen Blick hin­ter sich auf die Ver­samm­lung der To­ten zu wer­fen, auf die­se Mut­ter, de­ren lang her­ab­hän­gen­de Brust für im­mer ver­siegt war, auf einen al­ten Mann, der so si­cher ge­hofft hat­te, nach ei­nem ar­beits­rei­chen Le­ben ru­hig in sei­nem Bett zu ster­ben, nach je­nem jun­gen, weißlip­pi­gen Mäd­chen, das er­schaf­fen war, Lie­be zu ge­ben und zu emp­fan­gen, nach dem Bur­schen mit der zer­schmet­ter­ten Nase und ei­nem eben­mä­ßi­gen Kör­per, der wie gelb ge­wor­de­nes El­fen­bein aus­sah.

      Es war still in die­sem Raum, ganz lei­se ra­schel­ten un­ter den Hän­den der bei­den Frau­en die Klei­der der to­ten Ber­ta. Dann summ­te eine Flie­ge, und al­les war wie­der still.

      Der SS-Mann sah, die Hän­de in den Ta­schen, den bei­den Frau­en bei ih­rer Ar­beit zu. Er gähn­te, er brann­te sich eine Zi­ga­ret­te an und sag­te: »Ja, ja, so ist das Le­ben!« Und wie­der war al­les still.

      Dann, als Anna Quan­gel die Klei­der zu ei­nem Bün­del ver­schnürt hat­te, sag­te er: »Also ge­hen wir!«

      Aber Tru­del Her­ge­sell leg­te ihm die Hand auf den schwar­zen Är­mel und bat: »Oh, bit­te, bit­te! Er­lau­ben Sie mir doch, dass ich ein­mal hier nach­se­he! Mein Mann – viel­leicht liegt er auch hier un­ten …«

      Er sah einen Au­gen­blick auf sie her­un­ter. Plötz­lich sag­te er: »Mä­del! Mä­del! Was machst du hier?« Er be­weg­te lang­sam den Kopf hin und her. »Ich hab ’ne Schwes­ter auf un­serm Dorf, sie muss so alt sein wie du.« Er sah noch ein­mal auf sie. »Also, sieh nach. Aber mach schnell!«

      Sie ging lei­se zwi­schen den To­ten um­her. Sie sah in all die­se Ge­sich­ter, die aus­ge­löscht wa­ren. Man­che wa­ren durch Wun­den so ent­stellt, dass sie nicht zu er­ken­nen wa­ren, aber die Haar­far­be, ein Mal am Kör­per ver­riet ihr, dass es nicht Karl Her­ge­sell sein konn­te.

      Sie kam zu­rück, sehr bleich.

      »Nein, er ist nicht hier. Noch nicht.«

      Der Pos­ten ver­mied ih­ren Blick. »Also denn los!«, sag­te er und ließ sie vor­an­ge­hen.

      Aber so­lan­ge er an die­sem Tage Wa­che hat­te auf ih­rem Zel­len­gang, öff­ne­te er im­mer wie­der mal die Tür, da­mit sie bes­se­re Luft in die Zel­le be­kämen. Er brach­te ih­nen auch fri­sche Wä­sche für das Bett der To­ten – und das war in die­ser er­bar­mungs­lo­sen Höl­le ein sehr großes Er­bar­men.

      An die­sem Tage hat­te Kom­missar Laub nicht viel Er­folg mit der Ver­neh­mung der bei­den Frau­en. Sie hat­ten ein­an­der ge­trös­tet, und sie hat­ten ein biss­chen Sym­pa­thie zu füh­len be­kom­men, so­gar von ei­nem SS-Mann, sie wa­ren stark.

      Aber es ka­men noch so vie­le Tage, und die­ser SS-Mann tat nie wie­der Dienst auf ih­rem Flur. Er war wohl als un­ge­eig­net ab­ge­löst, er war noch zu sehr Mensch, um hier Dienst zu tun.

      56. Baldur Persicke macht Besuch

      Bal­dur Per­si­cke, der stol­ze Schü­ler der Na­po­la, der er­folg­reichs­te Spross vom Hau­se Per­si­cke, hat sei­ne Ge­schäf­te in Ber­lin ab­ge­schlos­sen. Er kann end­lich wie­der zu­rück­fah­ren und sich dar­in aus­bil­den, ein Herr der Welt zu sein. Er hat sei­ne Mut­ter wie­der aus ih­rem Schlupf­win­kel bei den Ver­wand­ten zu­rück­ge­holt und ihr streng be­foh­len, die Woh­nung nicht wie­der zu ver­las­sen, sonst pas­sie­re ihr al­ler­lei, und er hat auch ein­mal sei­ne Schwes­ter im KZ Ra­vens­brück be­sucht.

      Er hat ihr nicht sei­ne Aner­ken­nung für das treff­li­che An­trei­ben al­ter Frau­en ver­sagt, und abends