Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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An­walt be­stel­len und Ge­gen­kla­ge er­he­ben in der Schei­dungs­sa­che Som­mer ge­gen Som­mer, und ich wür­de be­an­tra­gen, Mag­da als schul­di­gen Teil zu ver­ur­tei­len. Hat­te ich doch einen Zeu­gen, den Ober­wacht­meis­ter Fritsch, vor dem sie selbst den Ehe­bruch zu­ge­ge­ben hat­te. Ach, ich wür­de Mag­da noch alle Ur­sa­che ge­ben, die­ses un­be­son­ne­ne Ein­ge­ständ­nis zu be­reu­en, und ich hat­te al­len Grund zur Hoff­nung, dass auch die­ser hoch­an­stän­di­ge, er­folg­rei­che Ge­schäfts­mann Herr Hein­rich Hein­ze ihr schwe­re Vor­wür­fe des­we­gen nicht er­spa­ren wür­de!

      Dar­über hin­aus wür­de ich aber noch den An­trag stel­len, dass der schei­den­de Rich­ter den bei­den ehe­bre­che­ri­schen Tei­len die Ehe mit­ein­an­der für ewig ver­bie­ten soll­te. Oh, sie soll­te die­se er­sehn­te Art Glück­lich­sein schon ken­nen­ler­nen, die gute Mag­da, un­ter mei­ner Fuch­tel! Ich wür­de mein Ge­schäft ver­kau­fen und den bei­den im­mer auf den Fer­sen blei­ben, ein ste­ter Ra­cheen­gel, ein ewi­ges Mahn­mal be­gan­ge­ner Schuld! Mir wür­de das schon nicht über wer­den; war ich ein schlech­ter Part­ner in der Lie­be, wie Mag­da plötz­lich ent­deckt hat­te, so war ich ein umso bes­se­rer im Has­sen!

      Und ich mal­te mir aus, wie ich auf mei­nen Rei­sen im Ho­tel­zim­mer ne­ben dem ih­ren schla­fen und durch ge­heim­nis­vol­le Klopf­zei­chen ih­ren Schlaf stö­ren wür­de. Ich sah mich, un­er­kenn­bar ver­klei­det, in das glei­che Zug­ab­teil wie sie stei­gen und hin­ter ei­ner dunklen Bril­le her­vor ihr Tun be­ob­ach­ten; ich fuhr mit ei­nem Auto hin­ter ih­nen drein und brems­te erst im al­ler­letz­ten Au­gen­blick, mich an ih­rer To­des­angst wei­dend, und ich sah sie – herr­lichs­tes Bild mei­ner Ra­che – ster­ben, hin­ge­mor­det von mir, aber un­ent­deck­bar, und ihn an ih­rer Sei­te kni­en, völ­li­ger Verzweif­lung hin­ge­ge­ben, und ich stand ne­ben ihm und flüs­ter­te ihm mei­ne Tat ins Ohr, ge­wiss, sie war un­ent­deck­bar.

      Ich ras­te, die Bil­der jag­ten sich in mei­nem Hirn, ich hat­te Fie­ber. Mei­ne Ge­fähr­ten schlie­fen schon längst, und noch im­mer stand ich am Zel­len­fens­ter, spann das Ge­we­be mei­ner Ra­che im­mer dich­ter und ver­wor­re­ner, zum kal­ten Ge­fun­kel der Ster­ne auf­bli­ckend.

      Der Mor­gen kam und fand mich leer und in fast völ­li­ger Apa­thie. Ich wer­de mein Früh­stück ja wohl mit den an­de­ren ge­ges­sen ha­ben, er­in­nern kann ich mich nicht dar­an. Noch vor dem An­tre­ten zur Ar­beit be­nutz­te ich einen un­be­wach­ten Au­gen­blick und schlüpf­te in mei­ne Ar­beits­zel­le hin­über – der An­blick mei­ner Lei­dens­ge­nos­sen ekel­te mich. Ich nahm ein paar Bors­ten zwi­schen die Fin­ger und ver­such­te, sie in das Bürs­ten­loch ein­zu­füh­ren; ich hat­te zu vie­le ge­grif­fen, wie in mei­ner ers­ten An­fän­ger­zeit! Ich ließ sie acht­los auf den Bo­den fal­len und ging an den Schrank. Ich hat­te jetzt in ihm Brief­pa­pier und Um­schlä­ge, ich muss­te den Brief an den An­walt schrei­ben. Aber, so dring­lich mir das auch in der Nacht noch er­schie­nen war, jetzt konn­te ich mich nicht dazu auf­raf­fen.

      Ich starr­te eine Wei­le auf das Pa­pier, dann ging ich ans Fens­ter. Drau­ßen herbs­tel­te es schon. Graue Ne­bel­schwa­den zo­gen über das Land. Ich sah die ers­ten frü­hen Kar­tof­fel­budd­ler zwi­schen den Rei­hen. »Es wird Herbst«, sag­te ich zu mir. »Das ist schlimm.« Ich wuss­te selbst nicht, was ich mein­te. Ich wuss­te nur, dass es schlimm um mich stand, sehr schlimm.

      Zwei Zei­len ei­nes Ge­dichts, das ich ein­mal ge­le­sen, zo­gen mir durch den Kopf: »Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.« Hart­nä­ckig ka­men sie wie­der, sie wie­der­hol­ten sich in mir mit ei­ner ver­zwei­fel­ten Hart­nä­ckig­keit. »Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.« Zwei Wor­te ge­sell­ten sich noch dazu: »Flie­ge fort, flie­ge fort!« Ja, wer fort­flie­gen könn­te von die­ser be­schmutz­ten Erde, von die­sem be­su­del­ten Ich! Aber im­mer wie­der: »Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.« Und im­mer nach­klin­gend die Mah­nung: »Flie­ge fort! Flie­ge fort!«

      Ich sah nach dem star­ken Schnei­de­mes­ser hin­über, mit dem ich die Bors­ten glatt schnitt. Es wür­de ein Leich­tes sein, sich mit ihm den Arm auf­zu­schnei­den, dass ich ver­blu­te­te. Aber ich wuss­te, ich wür­de nie den Mut dazu ha­ben. Denn ich war fei­ge, in die­ser Mi­nu­te ge­stand ich es mir rück­halt­los ein, dass ich ein Feig­ling war; bei der Auf­zäh­lung mei­ner schlech­ten Ei­gen­schaf­ten hat­te Mag­da die­se noch ver­ges­sen. »Flie­ge fort!« Und doch zu fei­ge …

      So fand mich der Ober­pfle­ger, der mich un­ter den zu Ver­bin­den­den ver­misst hat­te. Er fuhr mich hart an: Mei­ne Fu­run­kel wür­den nie bes­ser wer­den, wenn ich nicht selbst für re­gel­mä­ßi­ges Ver­bin­den sorg­te!

      Ich folg­te ihm voll­stän­dig gleich­gül­tig ins Arzt­zim­mer. Der Strom der Lei­den­den hat­te sich schon ver­lau­fen, ich war der Letz­te. Der Ober­pfle­ger riss mir die Ver­bän­de ab, salb­te und jo­dier­te oder stach auch ein­mal in einen ihm reif schei­nen­den Fu­run­kel. Und so emp­find­lich ich sonst ge­gen Schmerz bin, an die­sem Mor­gen mach­te mir das al­les gar nichts. Ich war völ­lig stumpf.

      Dann klin­gel­te das Te­le­fon im Glas­kas­ten. Der Ober­pfle­ger ging dort­hin, die Tür weit of­fen­las­send. Ei­nen Au­gen­blick stand ich noch re­gungs­los, dann such­te mein Blick den Me­di­ka­men­ten­schrank, sei­ne Tür stand weit of­fen. Rasch trat ich einen Schritt auf ihn zu. Dort lag Ver­ges­sen für vie­le Stun­den, Aus­lö­schen der un­er­träg­li­chen Qual, un­ter der ich jetzt leb­te. Gute, Frie­den schen­ken­de Schlaf­mit­tel für vie­le Tage. Mei­ne Hand griff nach ei­nem Glas­röhr­chen, als mein Blick auf eine Rei­he Fla­schen fiel, die im un­ters­ten Fach stan­den. Gleich vornan stand eine hel­le Fla­sche mit dem Eti­kett: »Al­ko­hol 95%«.

      Ich hat­te kei­nen Ent­schluss ge­fasst, ich han­del­te rein me­cha­nisch. Ich küm­mer­te mich auch nicht um die of­fen­ste­hen­de Tür oder den Ober­pfle­ger, der je­den Au­gen­blick zu­rück­kom­men muss­te. Ich nahm die Fla­sche und ging zu dem in die Wand ein­ge­las­se­nen Wasch­tisch. Ich nahm ein Was­ser­glas und füll­te es zu zwei Drit­teln mit Al­ko­hol, dann füll­te ich Was­ser nach, sehr vor­sich­tig. Mei­ne Hand hat da­bei nicht ge­zit­tert. Ich setz­te das star­ke Ge­misch an den Mund und trank es mit drei, vier Schlu­cken leer.

      Ei­nen Au­gen­blick stand ich wie be­täubt, eine un­ge­heu­re Hel­le brei­te­te sich rasch in mir aus. Ich lä­chel­te, ach, das Glück, noch ein­mal das schran­ken­lo­se, herr­li­che Glück. Mei­ne Eli­nor, du rei­ne d’al­cool! Wie ich dich lie­be! Wie – ich – dich – lie­be! Dann bin ich be­wusst­los vorn­über zu Bo­den ge­stürzt, ge­ra­de auf mein ge­schän­de­tes Ge­sicht.

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      Es hat kei­nen Ter­min mei­net­we­gen ge­ge­ben. Das Ver­fah­ren ge­gen mich wur­de nach § 51 ein­ge­stellt und mei­ne dau­ern­de Un­ter­brin­gung in ei­ner Heil- und Pfle­gean­stalt ver­fügt. Ei­nen Schei­dungs­ter­min gab es wohl, aber ich brauch­te zu ihm nicht zu er­schei­nen, da­mals war ich schon ent­mün­digt. Ein Ober­se­kre­tär, vor­ne in der Ver­wal­tung der An­stalt, ist mein Vor­mund ge­wor­den. Üb­ri­gens sind wir bei­de schul­dig ge­schie­den, aber Mag­da hat ih­ren Hein­rich Hein­ze hei­ra­ten dür­fen, über mei­nen An­trag ist gar nicht ver­han­delt wor­den. Ich bin ja nur ein Geis­tes­kran­ker. Ich habe die Hei­rats­an­zei­ge in der Zei­tung ge­se­hen. Jetzt ha­ben sie zwei Kin­der, einen Jun­gen und ein Mäd­chen; sie ha­ben die Ge­schäf­te zu­sam­men­ge­legt …

      Was