Anwalt bestellen und Gegenklage erheben in der Scheidungssache Sommer gegen Sommer, und ich würde beantragen, Magda als schuldigen Teil zu verurteilen. Hatte ich doch einen Zeugen, den Oberwachtmeister Fritsch, vor dem sie selbst den Ehebruch zugegeben hatte. Ach, ich würde Magda noch alle Ursache geben, dieses unbesonnene Eingeständnis zu bereuen, und ich hatte allen Grund zur Hoffnung, dass auch dieser hochanständige, erfolgreiche Geschäftsmann Herr Heinrich Heinze ihr schwere Vorwürfe deswegen nicht ersparen würde!
Darüber hinaus würde ich aber noch den Antrag stellen, dass der scheidende Richter den beiden ehebrecherischen Teilen die Ehe miteinander für ewig verbieten sollte. Oh, sie sollte diese ersehnte Art Glücklichsein schon kennenlernen, die gute Magda, unter meiner Fuchtel! Ich würde mein Geschäft verkaufen und den beiden immer auf den Fersen bleiben, ein steter Racheengel, ein ewiges Mahnmal begangener Schuld! Mir würde das schon nicht über werden; war ich ein schlechter Partner in der Liebe, wie Magda plötzlich entdeckt hatte, so war ich ein umso besserer im Hassen!
Und ich malte mir aus, wie ich auf meinen Reisen im Hotelzimmer neben dem ihren schlafen und durch geheimnisvolle Klopfzeichen ihren Schlaf stören würde. Ich sah mich, unerkennbar verkleidet, in das gleiche Zugabteil wie sie steigen und hinter einer dunklen Brille hervor ihr Tun beobachten; ich fuhr mit einem Auto hinter ihnen drein und bremste erst im allerletzten Augenblick, mich an ihrer Todesangst weidend, und ich sah sie – herrlichstes Bild meiner Rache – sterben, hingemordet von mir, aber unentdeckbar, und ihn an ihrer Seite knien, völliger Verzweiflung hingegeben, und ich stand neben ihm und flüsterte ihm meine Tat ins Ohr, gewiss, sie war unentdeckbar.
Ich raste, die Bilder jagten sich in meinem Hirn, ich hatte Fieber. Meine Gefährten schliefen schon längst, und noch immer stand ich am Zellenfenster, spann das Gewebe meiner Rache immer dichter und verworrener, zum kalten Gefunkel der Sterne aufblickend.
Der Morgen kam und fand mich leer und in fast völliger Apathie. Ich werde mein Frühstück ja wohl mit den anderen gegessen haben, erinnern kann ich mich nicht daran. Noch vor dem Antreten zur Arbeit benutzte ich einen unbewachten Augenblick und schlüpfte in meine Arbeitszelle hinüber – der Anblick meiner Leidensgenossen ekelte mich. Ich nahm ein paar Borsten zwischen die Finger und versuchte, sie in das Bürstenloch einzuführen; ich hatte zu viele gegriffen, wie in meiner ersten Anfängerzeit! Ich ließ sie achtlos auf den Boden fallen und ging an den Schrank. Ich hatte jetzt in ihm Briefpapier und Umschläge, ich musste den Brief an den Anwalt schreiben. Aber, so dringlich mir das auch in der Nacht noch erschienen war, jetzt konnte ich mich nicht dazu aufraffen.
Ich starrte eine Weile auf das Papier, dann ging ich ans Fenster. Draußen herbstelte es schon. Graue Nebelschwaden zogen über das Land. Ich sah die ersten frühen Kartoffelbuddler zwischen den Reihen. »Es wird Herbst«, sagte ich zu mir. »Das ist schlimm.« Ich wusste selbst nicht, was ich meinte. Ich wusste nur, dass es schlimm um mich stand, sehr schlimm.
Zwei Zeilen eines Gedichts, das ich einmal gelesen, zogen mir durch den Kopf: »Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.« Hartnäckig kamen sie wieder, sie wiederholten sich in mir mit einer verzweifelten Hartnäckigkeit. »Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.« Zwei Worte gesellten sich noch dazu: »Fliege fort, fliege fort!« Ja, wer fortfliegen könnte von dieser beschmutzten Erde, von diesem besudelten Ich! Aber immer wieder: »Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.« Und immer nachklingend die Mahnung: »Fliege fort! Fliege fort!«
Ich sah nach dem starken Schneidemesser hinüber, mit dem ich die Borsten glatt schnitt. Es würde ein Leichtes sein, sich mit ihm den Arm aufzuschneiden, dass ich verblutete. Aber ich wusste, ich würde nie den Mut dazu haben. Denn ich war feige, in dieser Minute gestand ich es mir rückhaltlos ein, dass ich ein Feigling war; bei der Aufzählung meiner schlechten Eigenschaften hatte Magda diese noch vergessen. »Fliege fort!« Und doch zu feige …
So fand mich der Oberpfleger, der mich unter den zu Verbindenden vermisst hatte. Er fuhr mich hart an: Meine Furunkel würden nie besser werden, wenn ich nicht selbst für regelmäßiges Verbinden sorgte!
Ich folgte ihm vollständig gleichgültig ins Arztzimmer. Der Strom der Leidenden hatte sich schon verlaufen, ich war der Letzte. Der Oberpfleger riss mir die Verbände ab, salbte und jodierte oder stach auch einmal in einen ihm reif scheinenden Furunkel. Und so empfindlich ich sonst gegen Schmerz bin, an diesem Morgen machte mir das alles gar nichts. Ich war völlig stumpf.
Dann klingelte das Telefon im Glaskasten. Der Oberpfleger ging dorthin, die Tür weit offenlassend. Einen Augenblick stand ich noch regungslos, dann suchte mein Blick den Medikamentenschrank, seine Tür stand weit offen. Rasch trat ich einen Schritt auf ihn zu. Dort lag Vergessen für viele Stunden, Auslöschen der unerträglichen Qual, unter der ich jetzt lebte. Gute, Frieden schenkende Schlafmittel für viele Tage. Meine Hand griff nach einem Glasröhrchen, als mein Blick auf eine Reihe Flaschen fiel, die im untersten Fach standen. Gleich vornan stand eine helle Flasche mit dem Etikett: »Alkohol 95%«.
Ich hatte keinen Entschluss gefasst, ich handelte rein mechanisch. Ich kümmerte mich auch nicht um die offenstehende Tür oder den Oberpfleger, der jeden Augenblick zurückkommen musste. Ich nahm die Flasche und ging zu dem in die Wand eingelassenen Waschtisch. Ich nahm ein Wasserglas und füllte es zu zwei Dritteln mit Alkohol, dann füllte ich Wasser nach, sehr vorsichtig. Meine Hand hat dabei nicht gezittert. Ich setzte das starke Gemisch an den Mund und trank es mit drei, vier Schlucken leer.
Einen Augenblick stand ich wie betäubt, eine ungeheure Helle breitete sich rasch in mir aus. Ich lächelte, ach, das Glück, noch einmal das schrankenlose, herrliche Glück. Meine Elinor, du reine d’alcool! Wie ich dich liebe! Wie – ich – dich – liebe! Dann bin ich bewusstlos vornüber zu Boden gestürzt, gerade auf mein geschändetes Gesicht.
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Es hat keinen Termin meinetwegen gegeben. Das Verfahren gegen mich wurde nach § 51 eingestellt und meine dauernde Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt verfügt. Einen Scheidungstermin gab es wohl, aber ich brauchte zu ihm nicht zu erscheinen, damals war ich schon entmündigt. Ein Obersekretär, vorne in der Verwaltung der Anstalt, ist mein Vormund geworden. Übrigens sind wir beide schuldig geschieden, aber Magda hat ihren Heinrich Heinze heiraten dürfen, über meinen Antrag ist gar nicht verhandelt worden. Ich bin ja nur ein Geisteskranker. Ich habe die Heiratsanzeige in der Zeitung gesehen. Jetzt haben sie zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen; sie haben die Geschäfte zusammengelegt …
Was