etwas Schreckliches ein! Es war ja Freitag, und am Sonnabend wurden wir erst rasiert: Mein Stoppelbart war im allerschlimmsten Zustand! »Herr Oberwachtmeister!«, rief ich flehend, »darf ich mich noch schnell rasieren? Hier im Koffer ist mein Rasierapparat. Ich mache wirklich ganz schnell. Erlauben Sie es doch.«
»Ganz ausgeschlossen, Sommer«, sagte Oberwachtmeister Fritsch kühl. »Was denken Sie wohl, wie viel Zeit ich habe? Und außerdem: Sie können doch Ihre Frau nicht so lange warten lassen!«
»Aber es ist doch so wichtig, dass ich bei diesem ersten Zusammensein wenigstens einigermaßen anständig ausschaue! Was soll denn meine Frau von mir denken?«
»Was das angeht, Sommer«, meinte der Fritsch kühl, »glaube ich, dass auch Rasieren Sie nicht wesentlich verschönt. Hat Ihre Frau sich mit Ihrer Nase abgefunden, wird sie die paar Haare auch schlucken!«
»Aber sie hat die Nase doch noch nie so gesehen!«, rief ich immer verzweifelter. »Das ist doch erst im Untersuchungsgefängnis passiert!«
Aber alles half mir nichts, Fritsch blieb unerbittlich, und ich musste mit ihm, die traurigste Figur von der Welt; auch das gnädigst vom Arzt bewilligte Zivil konnte daran nichts ändern, außerdem war es vom langen Liegen im Koffer völlig zerdrückt.
Ich trete mit dem Beamten in das Verwaltungsgebäude ein. Der Gang vor mir ist lang, trübe und dunkel, mir zittern die Knie, ich möchte mich an die Wand lehnen und um eine Minute der Sammlung und Ruhe bitten. Aber die Stimme des Oberwachtmeisters klingt befehlshaberisch hinter mir: »Los! Los, Sommer! Die dritte Tür rechts!« Wenn er jetzt nur nicht so militärisch laut brüllen würde, jetzt kann ihn doch Magda schon hören!
Die Hand auf die Klinke und aufgemacht die Tür! Kein Zagen hilft, unbarmherzig wirst du vorwärts gezwungen in diesem Leben, du Armer, es gibt nicht Ruhe, nicht Verweilen!
Ich sehe Magda, sie hat am Fenster gesessen, nun ist sie aufgestanden und schaut mir entgegen. Einen Augenblick bemerke ich den Ausdruck von fragendem Erstaunen in ihrem Gesicht.
Aber schon eile ich auf sie zu, die Arme ausgebreitet, ich rufe: »Magda, Magda, dass du gekommen bist! Ich danke dir so …« Ich schließe sie in meine Arme, ich will sie auf den Mund küssen wie in jenen alten Tagen, die nun wieder neu werden sollen …
Und ich bemerke einen Ausdruck schaudernder Abwehr in ihrem Gesicht. »Bitte, nicht!«, flüstert sie, noch in meinen Armen, plötzlich fast atemlos. »Bitte nicht hier!«
Ich habe sie losgelassen, alle Freude ist aus mir gewichen, ein kaltes drohendes Schweigen ist in mir.
Sie sieht mich an, noch immer liegt ein Ausdruck verwirrten Staunens auf ihrem Gesicht. »Ich hätte dich beinahe nicht erkannt«, flüstert sie, noch immer atemlos. »Was ist mit dir geschehen? Was hat dich da …«, sie wagt nicht einmal das Wort auszusprechen, »was hat dich da so verändert?«
Oberwachtmeister Fritsch hat sich in unserem Rücken auf einen Stuhl gesetzt und räuspert sich jetzt recht laut.
Ich weiß, dass es unzulässig ist, wenn wir beide hier so am Fenster stehen und miteinander tuscheln. Mit gespielter Leichtigkeit sage ich: »Wollen wir beide uns nicht hier an den Tisch setzen, Magda?« Wir tun es.
Dann: »Du findest, dass ich mich verändert habe? Dir gefällt mein Aussehen nicht? Nun, um dir die Wahrheit zu gestehen, es gefiel mir selber nicht, als ich mich vor Kurzem zum ersten Male wieder in einem Spiegel sah.« (Das hätte ich nicht sagen dürfen, Oberwachtmeister Fritsch kann mich nachher fragen, woher ich den Spiegel hatte, und gleich habe ich den Kalfaktor Herbst in die Pfanne gehauen. Spiegel sind doch auf der Station verboten! Man kann eben nicht vorsichtig genug sein auf dieser Station!)
Ich lache rasch: »Aber man gewöhnt sich dran, Magda, ich sehe nicht so schlimm aus, wie du jetzt denkst; ich bin eher besser als schlimmer geworden …« Bei den letzten Worten, in die ich eine tiefere Bedeutung legte, habe ich die Stimme bezeichnend gesenkt.
Aber Magda achtet nicht darauf. »Was ist denn mit deiner – Nase geschehen?« Endlich kann sie das Wort aussprechen, wenn auch erst nach kurzer Hemmung. »Sie sieht wirklich böse aus, Erwin!«
»Ein Mitgefangener wollte sie mir abbeißen, das war noch im Untersuchungsgefängnis«, berichte ich. »Es war jener Polakowski, der dein Silberzeug stahl, Magda, du weißt.« Sie sieht mich nur an, mit einem leichten Zucken um den Mund. Vielleicht hätte ich das wieder nicht sagen sollen, vielleicht denkt Magda jetzt, dass ich es war, der zuerst ihr Silberzeug stahl. Aber nein, so töricht und ungerecht kann Magda nicht denken, das Silber war von meinem Gelde gekauft, es war also mein Silber, von Diebstahl kann nicht die Rede sein. »Ich habe ja versucht, es dir wiederzubeschaffen, aber leider vergeblich. Du hast nichts mehr davon gehört, Magda?«
Sie bewegt verneinend den Kopf, als sei das alles ganz unwesentlich. »Du bist auch sonst verändert, Erwin«, beharrt sie, »deine Stimme klingt ganz anders, viel lauter …«
»Wir sind sechsundfünfzig Männer auf meiner Station, Magda«, erkläre ich ihr, »über dreißig essen mit mir in einem Raum, da muss man seine Stimme schon etwas anstrengen, wenn man verstanden werden will.«
»Ich verstehe.« Sie lächelt schwach, abwehrend. »Du führst ein sehr verändertes Leben, du, der immer so für Zurückhaltung und Isolierung war.« Aber wieder, mit einer störenden Hartnäckigkeit, kommt sie auf mein Aussehen zurück, sie kann sich gar nicht daran gewöhnen. »Du siehst aber auch sonst schlecht aus, Erwin. Fehlt dir was?«
»Nichts«, antworte ich überlegen. »Fast nichts. Ein paar Furunkel, sieh hier, im Nacken habe ich auch welche, und auf dem Rücken … Aber daran gewöhnt man sich, alle in diesem Bau haben sie …«
(Der Oberwachtmeister Fritsch räuspert sich mahnend. Das ist wohl schon unziemliche Kritik an der Anstalt. Aber ich denke nicht daran, darauf zu achten.)
Ich fahre fort: »Und wenn ich mager geworden bin und etwas grau aussehe, nun, Magda, wir bekommen hier nicht alle Tage gerade Gänsebraten mit Rotkohl, in der Hauptsache werden wir mit gutem, heißem Wasser ernährt …«
Nun ist meine Wut doch mit mir durchgegangen. Diese Wut über die Zurückweisung meiner Liebe, über das Entsetzen Magdas vor mir: Mit einer vor Hohn zitternden Stimme habe ich gesprochen, ich will ihr Herz verletzen, da ich es nicht rühren kann.
Oberwachtmeister Fritsch sagt drohend: »Noch eine solche Bemerkung, Sommer, und ich breche die Sprechstunde ab und melde Sie!«
Magda wendet sich an ihn: »Ach, bitte, nehmen Sie es ihm doch nicht übel! Sie ahnen nicht, wie er sich verändert hat, er muss Schreckliches durchgemacht haben!« Ihre Stimme zittert, ich lausche dieser schwachwerdenden weiblichen Stimme