Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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et­was Schreck­li­ches ein! Es war ja Frei­tag, und am Sonn­abend wur­den wir erst ra­siert: Mein Stop­pel­bart war im al­ler­schlimms­ten Zu­stand! »Herr Ober­wacht­meis­ter!«, rief ich fle­hend, »darf ich mich noch schnell ra­sie­ren? Hier im Kof­fer ist mein Ra­sier­ap­pa­rat. Ich ma­che wirk­lich ganz schnell. Er­lau­ben Sie es doch.«

      »Ganz aus­ge­schlos­sen, Som­mer«, sag­te Ober­wacht­meis­ter Fritsch kühl. »Was den­ken Sie wohl, wie viel Zeit ich habe? Und au­ßer­dem: Sie kön­nen doch Ihre Frau nicht so lan­ge war­ten las­sen!«

      »Aber es ist doch so wich­tig, dass ich bei die­sem ers­ten Zu­sam­men­sein we­nigs­tens ei­ni­ger­ma­ßen an­stän­dig aus­schaue! Was soll denn mei­ne Frau von mir den­ken?«

      »Was das an­geht, Som­mer«, mein­te der Fritsch kühl, »glau­be ich, dass auch Ra­sie­ren Sie nicht we­sent­lich ver­schönt. Hat Ihre Frau sich mit Ih­rer Nase ab­ge­fun­den, wird sie die paar Haa­re auch schlu­cken!«

      »Aber sie hat die Nase doch noch nie so ge­se­hen!«, rief ich im­mer ver­zwei­fel­ter. »Das ist doch erst im Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis pas­siert!«

      Aber al­les half mir nichts, Fritsch blieb un­er­bitt­lich, und ich muss­te mit ihm, die trau­rigs­te Fi­gur von der Welt; auch das gnä­digst vom Arzt be­wil­lig­te Zi­vil konn­te dar­an nichts än­dern, au­ßer­dem war es vom lan­gen Lie­gen im Kof­fer völ­lig zer­drückt.

      Ich tre­te mit dem Be­am­ten in das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de ein. Der Gang vor mir ist lang, trü­be und dun­kel, mir zit­tern die Knie, ich möch­te mich an die Wand leh­nen und um eine Mi­nu­te der Samm­lung und Ruhe bit­ten. Aber die Stim­me des Ober­wacht­meis­ters klingt be­fehls­ha­be­risch hin­ter mir: »Los! Los, Som­mer! Die drit­te Tür rechts!« Wenn er jetzt nur nicht so mi­li­tä­risch laut brül­len wür­de, jetzt kann ihn doch Mag­da schon hö­ren!

      Die Hand auf die Klin­ke und auf­ge­macht die Tür! Kein Za­gen hilft, un­barm­her­zig wirst du vor­wärts ge­zwun­gen in die­sem Le­ben, du Ar­mer, es gibt nicht Ruhe, nicht Ver­wei­len!

      Ich sehe Mag­da, sie hat am Fens­ter ge­ses­sen, nun ist sie auf­ge­stan­den und schaut mir ent­ge­gen. Ei­nen Au­gen­blick be­mer­ke ich den Aus­druck von fra­gen­dem Er­stau­nen in ih­rem Ge­sicht.

      Aber schon eile ich auf sie zu, die Arme aus­ge­brei­tet, ich rufe: »Mag­da, Mag­da, dass du ge­kom­men bist! Ich dan­ke dir so …« Ich schlie­ße sie in mei­ne Arme, ich will sie auf den Mund küs­sen wie in je­nen al­ten Ta­gen, die nun wie­der neu wer­den sol­len …

      Und ich be­mer­ke einen Aus­druck schau­dern­der Ab­wehr in ih­rem Ge­sicht. »Bit­te, nicht!«, flüs­tert sie, noch in mei­nen Ar­men, plötz­lich fast atem­los. »Bit­te nicht hier!«

      Ich habe sie los­ge­las­sen, alle Freu­de ist aus mir ge­wi­chen, ein kal­tes dro­hen­des Schwei­gen ist in mir.

      Sie sieht mich an, noch im­mer liegt ein Aus­druck ver­wirr­ten Stau­nens auf ih­rem Ge­sicht. »Ich hät­te dich bei­na­he nicht er­kannt«, flüs­tert sie, noch im­mer atem­los. »Was ist mit dir ge­sche­hen? Was hat dich da …«, sie wagt nicht ein­mal das Wort aus­zu­spre­chen, »was hat dich da so ver­än­dert?«

      Ober­wacht­meis­ter Fritsch hat sich in un­se­rem Rücken auf einen Stuhl ge­setzt und räus­pert sich jetzt recht laut.

      Ich weiß, dass es un­zu­läs­sig ist, wenn wir bei­de hier so am Fens­ter ste­hen und mit­ein­an­der tu­scheln. Mit ge­spiel­ter Leich­tig­keit sage ich: »Wol­len wir bei­de uns nicht hier an den Tisch set­zen, Mag­da?« Wir tun es.

      Dann: »Du fin­dest, dass ich mich ver­än­dert habe? Dir ge­fällt mein Aus­se­hen nicht? Nun, um dir die Wahr­heit zu ge­ste­hen, es ge­fiel mir sel­ber nicht, als ich mich vor Kur­zem zum ers­ten Male wie­der in ei­nem Spie­gel sah.« (Das hät­te ich nicht sa­gen dür­fen, Ober­wacht­meis­ter Fritsch kann mich nach­her fra­gen, wo­her ich den Spie­gel hat­te, und gleich habe ich den Kal­fak­tor Herbst in die Pfan­ne ge­hau­en. Spie­gel sind doch auf der Sta­ti­on ver­bo­ten! Man kann eben nicht vor­sich­tig ge­nug sein auf die­ser Sta­ti­on!)

      Ich la­che rasch: »Aber man ge­wöhnt sich dran, Mag­da, ich sehe nicht so schlimm aus, wie du jetzt denkst; ich bin eher bes­ser als schlim­mer ge­wor­den …« Bei den letz­ten Wor­ten, in die ich eine tiefe­re Be­deu­tung leg­te, habe ich die Stim­me be­zeich­nend ge­senkt.

      Aber Mag­da ach­tet nicht dar­auf. »Was ist denn mit dei­ner – Nase ge­sche­hen?« End­lich kann sie das Wort aus­spre­chen, wenn auch erst nach kur­z­er Hem­mung. »Sie sieht wirk­lich böse aus, Er­win!«

      »Ein Mit­ge­fan­ge­ner woll­te sie mir ab­bei­ßen, das war noch im Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis«, be­rich­te ich. »Es war je­ner Po­la­kow­ski, der dein Sil­ber­zeug stahl, Mag­da, du weißt.« Sie sieht mich nur an, mit ei­nem leich­ten Zu­cken um den Mund. Vi­el­leicht hät­te ich das wie­der nicht sa­gen sol­len, viel­leicht denkt Mag­da jetzt, dass ich es war, der zu­erst ihr Sil­ber­zeug stahl. Aber nein, so tö­richt und un­ge­recht kann Mag­da nicht den­ken, das Sil­ber war von mei­nem Gel­de ge­kauft, es war also mein Sil­ber, von Dieb­stahl kann nicht die Rede sein. »Ich habe ja ver­sucht, es dir wie­der­zu­be­schaf­fen, aber lei­der ver­geb­lich. Du hast nichts mehr da­von ge­hört, Mag­da?«

      Sie be­wegt ver­nei­nend den Kopf, als sei das al­les ganz un­we­sent­lich. »Du bist auch sonst ver­än­dert, Er­win«, be­harrt sie, »dei­ne Stim­me klingt ganz an­ders, viel lau­ter …«

      »Wir sind sechs­und­fünf­zig Män­ner auf mei­ner Sta­ti­on, Mag­da«, er­klä­re ich ihr, »über drei­ßig es­sen mit mir in ei­nem Raum, da muss man sei­ne Stim­me schon et­was an­stren­gen, wenn man ver­stan­den wer­den will.«

      »Ich ver­ste­he.« Sie lä­chelt schwach, ab­weh­rend. »Du führst ein sehr ver­än­der­tes Le­ben, du, der im­mer so für Zu­rück­hal­tung und Iso­lie­rung war.« Aber wie­der, mit ei­ner stö­ren­den Hart­nä­ckig­keit, kommt sie auf mein Aus­se­hen zu­rück, sie kann sich gar nicht dar­an ge­wöh­nen. »Du siehst aber auch sonst schlecht aus, Er­win. Fehlt dir was?«

      »Nichts«, ant­wor­te ich über­le­gen. »Fast nichts. Ein paar Fu­run­kel, sieh hier, im Na­cken habe ich auch wel­che, und auf dem Rücken … Aber dar­an ge­wöhnt man sich, alle in die­sem Bau ha­ben sie …«

      (Der Ober­wacht­meis­ter Fritsch räus­pert sich mah­nend. Das ist wohl schon un­ziem­li­che Kri­tik an der An­stalt. Aber ich den­ke nicht dar­an, dar­auf zu ach­ten.)

      Ich fah­re fort: »Und wenn ich ma­ger ge­wor­den bin und et­was grau aus­se­he, nun, Mag­da, wir be­kom­men hier nicht alle Tage ge­ra­de Gän­se­bra­ten mit Rot­kohl, in der Haupt­sa­che wer­den wir mit gu­tem, heißem Was­ser er­nährt …«

      Nun ist mei­ne Wut doch mit mir durch­ge­gan­gen. Die­se Wut über die Zu­rück­wei­sung mei­ner Lie­be, über das Ent­set­zen Mag­das vor mir: Mit ei­ner vor Hohn zit­tern­den Stim­me habe ich ge­spro­chen, ich will ihr Herz ver­let­zen, da ich es nicht rüh­ren kann.

      Ober­wacht­meis­ter Fritsch sagt dro­hend: »Noch eine sol­che Be­mer­kung, Som­mer, und ich bre­che die Sprech­stun­de ab und mel­de Sie!«

      Mag­da wen­det sich an ihn: »Ach, bit­te, neh­men Sie es ihm doch nicht übel! Sie ah­nen nicht, wie er sich ver­än­dert hat, er muss Schreck­li­ches durch­ge­macht ha­ben!« Ihre Stim­me zit­tert, ich lau­sche die­ser schwach­wer­den­den weib­li­chen Stim­me