Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Va­ter­stadt. Mir schweb­te so et­was vor, auf ein stil­les Dorf zu zie­hen und dort als ein un­be­kann­ter, rasch al­tern­der Mann mei­nen Le­bens­abend zu ver­brin­gen, in ei­ner stil­len Stu­be, in der ich im­mer wei­ter Bürs­ten ma­chen wür­de …

      So et­was schweb­te mir vor. Ja, es war ein we­nig Freu­de in mich ein­ge­kehrt, eine fast be­hag­li­che Selbst­ge­nüg­sam­keit er­füll­te mich – am bes­ten ist die­se Zeit mit je­ner zu ver­glei­chen, die ich auf dem Holz­hof des Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis­ses ver­brach­te. Frei­lich fehl­te hier der Mord­horst, aber ei­gent­lich fehl­te er mir nicht. Mord­horst hat­te im­mer ge­trie­ben, ge­ta­delt und ge­hetzt – und ich lieb­te jetzt den Frie­den. Der Bau mit sei­nem Schmutz und Geiz und Neid war ent­setz­lich, aber er war nun ein­mal so – was hat­te es für einen Zweck, sich da­ge­gen auf­zu­leh­nen? Wir Ge­fan­ge­ne, wir Kran­ke gal­ten doch gar nichts!

      Am Schluss des zwei­ten Mo­nats ver­tausch­te ich mein gan­zes Pa­ket Fein­schnitt­ta­bak ge­gen ein un­ge­fass­tes Brenn­glas und konn­te mir nun, auch in mei­ner Ar­beits­zel­le, die Pfei­fe im­mer an­bren­nen, wenn die Son­ne schi­en. Da kam ich mir rei­cher und glück­li­cher als je in mei­nem Le­ben vor, wenn ich so an mei­nem Fens­ter lehn­te und mit tiefer Freu­de mei­ne zehn oder zwölf Züge Ta­ba­krauch in mich hin­ein­sog. Es war mir, als habe ich in mei­nem Le­ben noch nie so tief ge­nos­sen und mich ge­freut wie hier in der war­men Zel­le. Vi­el­leicht hat­te da die Ge­nüg­sam­keit mei­nes Schlaf­ka­me­ra­den Holz, sei­ne Gabe, sich auch an den kleins­ten Din­gen zu freu­en, schon auf mich ab­ge­färbt.

      1 der zwei­te Gras­schnitt <<<

      56

      Un­ru­he tru­gen in den stil­len Frie­den die­ser Tage nur mei­ne Un­ter­hal­tun­gen mit dem Arzt, meist dau­er­te es ein paar Tage, bis ich mich nach ih­nen wie­der völ­lig be­ru­higt hat­te und zu mei­nem stil­len Be­ha­gen zu­rück­ge­kehrt war. Im Gan­zen ver­lie­fen sie nicht güns­tig für mich, wenn auch kei­ne so schlimm wur­de wie jene Ers­te. Es war mir lei­der ganz un­mög­lich, mich ihm ge­gen­über so zu ge­ben, wie ich wirk­lich war. Nie ge­wann ich im Ver­kehr mit ihm jene Frei­heit und Selbst­si­cher­heit, die mir doch drau­ßen selbst­ver­ständ­lich ge­we­sen wa­ren. Im­mer be­drück­te mich ein dunkles Schuld­ge­fühl, als müss­te ich vor ihm um je­den Preis et­was ver­ber­gen und ver­heim­li­chen. Nie wur­de ich ganz mei­ne Furcht vor sei­nen ge­hei­men Lis­ten und Knif­fen los; bei der harm­lo­ses­ten Fra­ge plag­te mich der Ge­dan­ke: ›Wie will er dich jetzt wie­der rein­le­gen?‹ Nie sah ich den hel­fen­den Arzt in ihm, son­dern im­mer den Ge­hil­fen des Staats­an­wal­tes, der mich in schwe­rer, ver­wor­re­ner Stun­de des Mord­ver­suchs an mei­ner Frau be­schul­digt hat­te und der al­les auf­bie­ten wür­de, mich in die­sen Mau­ern zu hal­ten.

      Wenn ich mich wirk­lich ein­mal über­wand und dem Me­di­zi­nal­rat er­zähl­te, was mein Herz be­weg­te, fiel ich auch da­mit re­gel­mä­ßig her­ein. Zum Bei­spiel er­zähl­te ich ihm ei­nes Ta­ges ganz frei­mü­tig von mei­nen so ver­än­der­ten Zu­kunfts­plä­nen, mich auf ein stil­les Dorf zu­rück­zu­zie­hen und ganz der Bürs­ten­ma­che­rei zu le­ben. Ich hat­te ge­glaubt, für die­se Plä­ne die Bil­li­gung des Arz­tes zu fin­den, ja sein Lob, und war über­rascht und maß­los ent­täuscht, als er ener­gisch den Kopf schüt­tel­te und sag­te: »Das sind ja blo­ße Fan­tas­te­rei­en, Som­mer. Sie streu­en sich ja selbst Sand in die Au­gen. So kön­nen Sie nicht le­ben, und so wol­len Sie auch gar nicht le­ben. Sie brau­chen Ihre Mit­menschen, und vor al­lem, Som­mer, brau­chen Sie eine füh­ren­de, hel­fen­de Hand. Nein, das ha­ben Sie sich wie­der nur in Ih­rer ganz un­be­grün­de­ten Aver­si­on ge­gen Ihre Frau aus­ge­dacht. Ma­chen Sie sich doch ein­mal von dem Ge­dan­ken frei, dass Ihre Frau Ih­nen scha­den will! Sie, Sie al­lein ha­ben ihr viel Bö­ses ge­tan, und wenn Ihre Frau nicht ein so an­stän­di­ger Mensch wäre, hät­te sie alle Ur­sa­che, ein biss­chen böse über Sie zu sein. Aber nicht ein ab­fäl­li­ges Wort über Sie hat sie zu Pro­to­koll ge­ge­ben, im­mer sucht sie, Sie zu ent­schul­di­gen! Und da er­zäh­len Sie mir, dass Sie nicht mehr mit ihr le­ben und ar­bei­ten wol­len! Was für ein Mensch sind Sie doch, Som­mer! Kön­nen Sie denn nie eine Sa­che se­hen, wie sie wirk­lich ist? Müs­sen Sie sich im­mer Flau­sen vor­ma­chen?«

      Ich war na­tür­lich ver­wirrt und em­pört über die­sen ganz un­mo­ti­vier­ten An­griff; da Mag­da mir kei­ne Zei­le ge­schrie­ben, nie einen Ver­such ge­macht hat­te, mich zu se­hen, muss­te ich wohl mit Recht an­neh­men, dass ich ihr läs­tig, dass ich für sie tot und be­gra­ben war. Und wie es eben Sit­te ist, sprach sie über einen To­ten nichts Schlech­tes. Aber an­stän­dig war es von mir, ihr dar­auf­hin still aus dem Wege zu ge­hen, ihr kei­ne Schwie­rig­kei­ten zu ma­chen, sie im frei­en Be­sitz mei­nes Ei­gen­tums zu las­sen.

      Dass der Arzt die­sen mei­nen Edel­mut nicht se­hen woll­te, son­dern mit har­ten, bö­sen Wor­ten über mich her­fiel, das be­wies mir, wie vor­ein­ge­nom­men er ge­gen mich war, und das ver­schloss für die Zu­kunft noch fes­ter mei­nen Mund, mach­te mich noch be­fan­ge­ner und un­frei­er. Ei­gent­lich war er nichts an­de­res als mein Feind, ein er­bar­mungs­lo­ser Feind, der da­nach trach­te­te, mich mit al­len Mit­teln zu über­lis­ten, und der das Über­ge­wicht als An­stalts­lei­ter rück­sichts­los mir ge­gen­über aus­nutz­te. Die an­de­ren Ge­fan­ge­nen hat­ten ganz recht, mich im­mer wie­der vor ihm zu war­nen. »Trau nur dem Stie­bing nicht! Ins Ge­sicht freund­lich, und hin­ter dei­nem Rücken macht er ein Gut­ach­ten über dich, dass du dein Leb­tag nicht wie­der aus die­sem Kas­ten her­aus­kommst.« Recht hat­ten sie.

      All­zu oft ließ der Arzt mich in die­sen Wo­chen nicht zu sich ru­fen, und sei­ne An­for­de­run­gen nach mir wur­den auch nicht häu­fi­ger, nach­dem er mir er­öff­net hat­te, er sei jetzt auf­ge­for­dert, ein Gut­ach­ten über mich zu er­stat­ten. Eher das Ge­gen­teil, auch ein Be­weis da­für, dass er eine vor­ge­fass­te Mei­nung von mir hat­te und gar nichts mehr zu­ler­nen woll­te. Im All­ge­mei­nen kam der Me­di­zi­nal­rat, wenn nichts be­son­ders Drin­gen­des vor­lag, zwei­mal wö­chent­lich in die Heil- und Pfle­gean­stalt, je­den Diens­tag- und Don­ners­tag­abend. Ich wur­de aber vom Ober­pfle­ger viel sel­te­ner zu ihm ge­ru­fen, nicht ein­mal jede Wo­che ein­mal. An sich be­grüß­te ich das na­tür­lich, denn je­der Be­such bei ihm war, wie ich schon ge­sagt habe, eine Mar­ter für mich, nach der ich ta­ge­lang nicht wie­der zur Ruhe kam. Aber die­ses sel­te­ne Ho­len zeig­te doch auch, wie leicht er über die­ses Gut­ach­ten, das über mein Le­bens­schick­sal ent­schei­den soll­te, dach­te.

      An sich war mein Fall doch ge­ra­de für einen Psych­ia­ter be­son­ders in­ter­essant, ich stand bil­dungs­mä­ßig weit über dem Ni­veau der an­de­ren An­stalts­in­sas­sen, hat­te in mei­nem Le­ben et­was vor mich ge­bracht, war ein an­ge­se­he­ner Mann – und nun in die­sem To­ten­haus! Der Me­di­zi­nal­rat hät­te doch ei­gent­lich se­hen müs­sen, dass es bei mir um viel mehr als bei den an­de­ren ging, ich hat­te mehr zu ver­lie­ren, ich war auch emp­find­li­cher und lei­dens­fä­hi­ger als die­se meist recht stump­fen Ge­sel­len! Aber nein, er be­han­del­te mich völ­lig wie Hinz und Kunz, war oft ge­ra­de­zu grob mit mir, schalt mich einen un­ver­bes­ser­li­chen Lüg­ner und Flau­sen­ma­cher! Ich hat­te al­les Recht, ihm zu miss­trau­en und vor ihm auf mei­ner Hut zu sein. Wenn er mir dann wie­der mei­nen Man­gel an Of­fen­heit vor­warf, so war das ei­ner sei­ner in­kon­se­quen­ten