Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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wa­ren, so hoff­te ich auf den nächs­ten Tag. Das Hof­fen im Men­schen ist wohl un­ver­wüst­bar, ich glau­be, was als Letz­tes im Hirn ei­nes Ster­ben­den ver­geht, ist eine Hoff­nung. Der Arzt ließ mich nicht mehr zu sich kom­men, ich sah ihn nach die­ser Un­ter­re­dung nicht mehr, ein Zei­chen, dass er sein Gut­ach­ten ab­ge­schlos­sen und der Staats­an­walt­schaft ein­ge­reicht hat­te.

      Um­sonst ver­such­ten mei­ne Ka­me­ra­den, mich ängst­lich zu ma­chen. »Trau du dem falschen Hund! Ins Ge­sicht sagt er es dir so, und auf dem Pa­pier macht er es ganz an­ders.«

      Ich lä­chel­te über­le­gen. So et­was mach­te der Arzt viel­leicht mit ih­res­glei­chen, mir ge­gen­über hat­te er sich so po­si­tiv aus­ge­spro­chen, dass an ei­nem güns­ti­gen Er­geb­nis über­haupt nicht zu zwei­feln war. Über­haupt wur­de der Mann ganz falsch be­ur­teilt – auch ich war ihm in der ers­ten Zeit nicht ge­recht ge­wor­den. Das lag an sei­nem manch­mal über­heb­li­chen, höh­ni­schen We­sen, das einen ab­stieß. Aber er war ein Mann von Kennt­nis­sen und Ein­sicht, wo er konn­te, gab er je­dem eine Chan­ce. Wo es frei­lich ganz un­mög­lich war …

      Eine ein­zi­ge Sa­che nur wirk­te sich stö­rend in die­ser Zeit aus: Die Fol­gen der Un­ter­er­näh­rung mach­ten sich auch bei mir be­merk­bar, ich wur­de eben­falls von ei­ner recht stö­ren­den Fu­run­ku­lo­se be­fal­len. So­lan­ge die meist un­ter der Epi­der­mis sit­zen­den »Schweins­beu­len« nur an den Ar­men und Bei­nen auf­tauch­ten, ging es noch ei­ni­ger­ma­ßen, als sie aber auch im Na­cken und auf dem Rücken auf­tauch­ten, litt ich doch recht un­ter ih­nen. Na­ment­lich, dass ich nachts nun auf dem Bauch lie­gen muss­te, eine Stel­lung, in der ich nie habe schla­fen kön­nen, war sehr un­an­ge­nehm.

      Nun ge­hör­te auch ich zu der lan­gen Rei­he de­rer, die je­den Mor­gen vor dem Arzt­zim­mer an­tra­ten und von dem Ober­pfle­ger ge­salbt oder ge­schnit­ten und schließ­lich ver­pflas­tert wur­den. Ich bin über­zeugt, eine et­was ver­nünf­ti­ge­re Er­näh­rung mit fri­schem Ge­mü­se und Obst hät­te die Ur­sa­che die­ser als ganz selbst­ver­ständ­lich an­ge­se­he­nen Pest eher be­sei­tigt als die­ses ewi­ge He­rum­dok­tern an den Fol­gen. Aber dar­an dach­te nie­mand. Uns wur­de un­ser Pflas­ter ge­ge­ben und da­mit fer­tig! Im Gan­zen konn­te auch die­se Pla­ge mir frei­lich in mei­ner jet­zi­gen hoch­ge­mu­ten Stim­mung we­nig an­ha­ben.

      ›Wenn ich erst drau­ßen bin …‹, das war der Ge­dan­ke, den ich je­den Tag hun­dert­mal hat­te. Es war auch ganz selbst­ver­ständ­lich, dass ich mich jetzt wie­der mehr mit mei­nem Äu­ße­ren zu be­schäf­ti­gen an­fing, da ich nun in viel­leicht schon kur­z­er Zeit ent­las­sen wer­den wür­de. Ich fing wie­der an, mei­ne Hän­de, be­son­ders mei­ne Nä­gel, zu pfle­gen, die un­ter der Ar­beit ge­lit­ten hat­ten. Ich ließ mir die Haa­re schnei­den und wusch zwei-, drei­mal wö­chent­lich mei­ne Füße. Vor al­lem aber be­schäf­tig­te ich mich mit mei­nem Ge­sicht. Zu je­ner Zeit war der Ver­band ge­fal­len und mei­ne Nase längst ver­heilt. Ich hat­te mich im­mer ge­scheut, mein Ge­sicht zu be­se­hen, und das war mir leicht ge­macht, da es kei­nen of­fi­zi­el­len Spie­gel in der An­stalt gab und das Ra­sie­ren von Lexer mit dem »Clip­per« be­sorgt wur­de. Nun aber wur­de das an­ders. Ich wuss­te, der Kal­fak­tor Herbst be­saß einen klei­nen Spie­gel, den er beim Haar­schei­teln stän­dig zu­ra­te zog. Ich borg­te ihn mir jetzt manch­mal von ihm aus.

      Na­tür­lich spot­te­te er: »Wozu brauchst du denn einen Spie­gel? Willst dir wohl dei­ne Gur­ke be­trach­ten? Das lass man, die ist auch ohne An­se­hen schön ge­nug!« Er hat­te ge­nau das Rich­ti­ge mit sei­ner Ver­mu­tung ge­trof­fen, aber das brauch­te er nicht zu wis­sen. Ich mur­mel­te et­was von mei­nen Schweins­beu­len.

      Als ich mei­ne Nase zu­erst im Spie­gel sah, er­schrak ich sehr. Sie war durch den Biss völ­lig de­for­miert, kurz vor der Na­sen­spit­ze hat­te sich ein tiefer Sat­tel ge­bil­det, aus dem sich die Spit­ze schief und mit brand­ro­ten Nar­ben be­deckt er­hob. Sie sah wirk­lich ab­scheu­lich aus, ich war völ­lig ent­stellt. (Die­ser ver­damm­te Po­la­kow­ski! An mei­nem gan­zen Un­glück ist ei­gent­lich die­ser Po­la­kow­ski schuld!)

      Auch die wei­te­re Prü­fung mei­nes Ge­sich­tes be­frie­dig­te mich nicht, die Fol­gen des Hun­gers präg­ten sich be­reits deut­lich in ihm aus. Es war fast asch­far­ben, die Au­gen tief in die Höh­len ge­sun­ken. Ein fünf Tage al­ter spitz­stopp­li­ger Bart be­deck­te den un­te­ren Teil des Ge­sich­tes. Der Spie­gel ver­riet nur, dass ich auch in die­sem Sin­ne in die­ses To­ten­haus ein­ge­reiht war: Ich sah wahr­haf­tig nicht bes­ser aus als sei­ne schlimms­ten Ge­s­pens­ter! Nicht bes­ser? Vi­el­leicht schlim­mer!

      Und ich war ein­mal ein leid­lich gut aus­se­hen­der Mann ge­we­sen, ge­wohnt, einen gu­ten An­zug un­se­res bes­ten Schnei­ders mit Chic zu tra­gen. »Was ha­ben sie aus dir ge­macht?!«, sag­te ich trau­rig zu mei­nem Spie­gel­bild. Mit ei­nem tie­fen Seuf­zer gab ich den Spie­gel an Herbst zu­rück.

      »Na, nicht schön ge­nug?«, frag­te er mit ge­spiel­tem Er­stau­nen.

      »Die­se ver­damm­ten Schwei­ne­beu­len!«, schimpf­te ich. »Wenn wir we­nigs­tens an­stän­dig zu fres­sen krieg­ten! Aber die Mohr­rü­ben heu­te Mit­tag wa­ren wie­der das rei­ne Was­ser! Da­bei kann kein Mensch ge­sund blei­ben!«

      Da­mit hat­te ich ihn bei dem un­er­schöpf­li­chen The­ma des Hau­ses: dem Fraß, und von mei­nem per­sön­li­chen Aus­se­hen wur­de nicht mehr ge­spro­chen.

      In der Fol­ge borg­te ich mir noch öf­ter den Spie­gel des Kal­fak­tors aus, von nun an aber in sei­ner Ab­we­sen­heit und ohne ihn zu fra­gen. Ich fand schon beim drit­ten oder vier­ten Mal her­aus, dass ich mein Aus­se­hen zu un­güns­tig be­ur­teilt hat­te. Als ich mich erst ein paar­mal im Spie­gel be­trach­tet hat­te, fand ich, dass ich ei­gent­lich ganz er­träg­lich aus­sah. Je­den­falls ge­wöhn­te man sich rasch an die­se klei­ne Ent­stel­lung, ich hat­te mich dran ge­wöhnt, Mag­da wür­de sich dar­an ge­wöh­nen wie mei­ne Mit­bür­ger, wie je­der­mann. Es gab Teil­neh­mer des Welt­krie­ges, die viel schlim­mer ent­stellt wa­ren, und doch hat­ten sie hüb­sche jun­ge Frau­en hei­ra­ten kön­nen und leb­ten glück­lich mit ih­nen. Ich war völ­lig da­von über­zeugt, dass die­se zer­narb­te Nase mei­nem Glück mit Mag­da kei­nen Ein­trag tun wür­de.

      60

      Ich soll­te sehr bald Ge­le­gen­heit be­kom­men, ei­ni­ge Er­fah­run­gen dar­über zu sam­meln. An ei­nem Nach­mit­tag kam der Ober­wacht­meis­ter Fritsch in mei­ne Zel­le und be­fahl mir kurz: »Mit­kom­men!« Fritsch, ein flei­schi­ger Mann mit blü­hen­dem Ge­sicht, war ei­ner je­ner Auf­sichts­be­am­ten, de­nen man auch ein­mal eine Fra­ge stel­len konn­te. Er sah in uns nicht nur Ver­bre­cher.

      »Was ist denn los?«, frag­te ich ihn. »Zum Me­di­zi­nal­rat?«

      »I wo«, ant­wor­te­te er. »Be­such. Ihre Frau. Der Me­di­zi­nal­rat hat er­laubt, dass Sie Zi­vil an­zie­hen. Ein biss­chen schnell, Som­mer, Ihre Frau war­tet, und ich habe we­nig Zeit.«

      Er führ­te mich auf die Klei­der­kam­mer, wo auf ei­nem Re­gal mein Kof­fer ziem­lich ein­sam da­stand – die meis­ten Kran­ken wa­ren ja auf Le­bens­zeit un­ter­ge­bracht und brauch­ten kei­ne Zi­vil­sa­chen mehr. Auf ei­nem Tisch sit­zend, sah der Ober­wacht­meis­ter mir zu, wie ich mich erst aus­klei­de­te, dann wie­der an­klei­de­te. Im­mer wie­der trieb er zur Eile. Aber es ging nicht so schnell. Mei­ne