Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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ver­wirrt. Bei ihm war je­den­falls sein Name sein Schick­sal, das ver­riet schon sein Ge­sicht.

      Ta­ge­lang war er ganz stumm, und dann hat­te er wie­der Zei­ten, in de­nen er mit hei­te­rer, ho­her Stim­me (und doch im­mer fast ton­los, ganz ohne Re­so­nanz) vie­les er­zähl­te: vom aus­dör­ren­den Son­nen­gott, vom Glas­haus auf dem Mont­blanc, in dem die nächs­te Eis­zeit zu ver­brin­gen war, und von den Kas­ta­ni­en und Ei­cheln, die durch eine von ihm er­dach­te »Säf­teum­keh­rung« ess­bar wer­den wür­den. Da­durch wür­de un­se­re An­stalts­ver­wal­tung in die Lage ver­setzt wer­den, uns mit bes­se­rer Kost und doch ganz um­sonst zu er­näh­ren. (Wie bei uns al­len, kreis­ten auch bei Qual die Ge­dan­ken wohl ver­wirrt, doch un­abläs­sig um das biss­chen Fres­sen.)

      Zu an­de­ren Zei­ten war Qual wie­der stumm oder streit­bar und reiz­süch­tig, dann gin­gen ihm alle weit aus dem Wege. Er stand in dem – viel­leicht ganz un­be­grün­de­ten – Ruf, ein »kal­ter Mör­der« zu sein, um ein ein­zi­ges Wort wür­de er je­den Men­schen um­brin­gen. Ich glau­be, dass die­ser Ruf ganz un­be­grün­det war; ich habe je­den­falls kein ein­zi­ges Mal er­lebt, dass er die Hand ge­gen einen an­de­ren er­ho­ben hät­te.

      Qual hat­te einen wirk­lich großen Kum­mer: dass er sei­ner An­sicht nach nicht rich­tig Deutsch spre­chen und schrei­ben konn­te. Oft ver­si­cher­te er mir, er wür­de all sein Es­sen von ei­ner gan­zen Wo­che für das Buch »Lies und schreib rich­tig Deutsch« hin­ge­ben. Da­bei sprach er ein sehr viel bes­se­res und ge­wähl­te­res Deutsch als fast alle an­de­ren In­sas­sen im Bau, sei­ne flüs­tern­de und da­bei doch hei­te­re Sprech­wei­se ver­moch­te sei­nen Wor­ten so­gar eine Art von Ch­ar­me zu ver­lei­hen.

      Wenn ich, für den er eine ge­wis­se Vor­lie­be ge­fasst hat­te, ihm das zur Be­ru­hi­gung sei­nes Kum­mers ver­si­cher­te, so sag­te er lä­chelnd: »Nein, nein, ich weiß, was ich weiß. Und da­bei hät­te ich so gut Deutsch ler­nen kön­nen, ›uns’ Mud­ding‹ sprach ein so rei­nes und schö­nes Deutsch, aber nie mit mir. Mit mir muss­te sie im­mer talt­schen und al­bern, sie ver­dreh­te je­des Wort auf die kin­dischs­te Wei­se. Das war sehr un­recht von ›uns’ Mud­ding‹; es hat mir im Le­ben viel ge­scha­det, dass ich kein gu­tes Deutsch sprach. Sie hät­ten mich auch nie fest­neh­men kön­nen, wenn ich rich­tig Deutsch ge­spro­chen hät­te – wie konn­ten sie mich über­haupt fest­neh­men? Wer gab ih­nen das Recht dazu?«

      Die letz­ten Wor­te hat­te er schon fast un­hör­bar zu sich selbst ge­spro­chen, und nun hat­te sich sein kran­ker Geist wie­der in dem krau­sen Ge­spinst sei­ner wir­ren Ge­dan­ken ver­lo­ren; von mei­ner Ge­gen­wart wuss­te er nichts mehr.

      Aber mit »uns’ Mud­ding« hat­te es Qual oft, im­mer hat­te er dann et­was an ihr aus­zu­set­zen: dass sie al­les weg­schenk­te, dass sie sich nie Ruhe gönn­te, dass sie über­haupt viel zu gut war. Aber alle die­se Aus­s­tel­lun­gen mach­te er mit ei­nem so hei­te­ren, leich­ten Ton, dass man ge­ra­de aus ih­nen die Lie­be des al­tern­den Man­nes zu der längst ge­stor­be­nen Mud­ding spür­te; er sprach mit ei­ner fröh­li­chen Über­le­gen­heit von ihr und blieb da­bei doch im­mer der ge­hor­sa­me Sohn ei­ner gu­ten Mut­ter.

      Qual war der Sohn ei­nes Schlos­ser­meis­ters in ei­ner klei­nen hol­stei­ni­schen Stadt. Kurz vor dem Tode des Va­ters hat­te er, da­mals schon als Ge­sel­le in ihr ar­bei­tend, die Schlos­se­rei über­nom­men und als Meis­ter wei­ter be­trie­ben. Was ihn zu sei­ner bes­tia­li­schen Tat ge­trie­ben, weiß ich nicht. Das al­les lag schon zwei Jahr­zehn­te zu­rück, seit­dem leb­te Qual in fes­ten Häu­sern. Auch bei uns ar­bei­te­te er in der An­stalts­schlos­se­rei und ge­noss so­gar eine ge­wis­se Frei­heit. Nie sag­te ihm ein Be­am­ter ein Wort, er ver­lang­te al­ler­dings auch nie et­was, war mit al­lem zu­frie­den.

      Ich sehe ihn, da ich dies schrei­be, wie­der auf sei­nem Bett lie­gen, wie er es in je­der frei­en Mi­nu­te tat – trotz des Ver­bots. Nie­mand sag­te ihm des­we­gen auch et­was, viel­leicht weil sei­ne hin­fäl­li­ge Schwä­che so sicht­bar war. Ne­ben dem Bett ste­hen sei­ne Pan­tof­feln, er hat die Knie leicht an­ge­zo­gen und stützt den Kopf mit der schön ge­wölb­ten Stirn in die Hand. Manch­mal sag­te er dann lang­sam, in tie­fe Ge­dan­ken ver­lo­ren, vor sich hin: »Ich be­kam ja kei­nen ein­zi­gen Auf­trag mehr, und Not kennt kein Ge­bot …«

      Vi­el­leicht war wirk­lich Not der Schlüs­sel zu sei­ner Tat. Wie dem auch sei, ich habe den Mör­der Qual ger­ne ge­mocht. Es hat mir weh­ge­tan, als sie ihn ei­nes Ta­ges in den An­bau tru­gen, in die Ster­be­zel­le, in der die meis­ten von uns ihr Le­ben be­schlie­ßen wer­den. Er starb an der Tu­ber­ku­lo­se, der To­des­gei­ßel die­ses To­ten­hau­ses.

      52

      Mein zwei­ter Schlaf­ge­nos­se war der Kal­fak­tor Herbst, mein Nach­fol­ger im Na­men, ich habe ihn frü­her schon kurz er­wähnt. Mit ihm schloss ich zu­erst im Bau eine Art Freund­schaft, die aber bald des­we­gen in die Brü­che ging, weil bei mir nicht das Ge­rings­te zu ho­len war. Herbst, ein jun­ger Bur­sche von fünf­und­zwan­zig Jah­ren, der aber schon über fünf Jah­re in un­se­rem Bau war und vor­her schon eine zwei­jäh­ri­ge Ge­fäng­niss­tra­fe in ei­nem Ju­gend­ge­fäng­nis ab­ge­ris­sen hat­te, war ei­gent­lich von Be­ruf Schläch­ter und nicht frei von je­ner un­be­denk­li­chen Bru­ta­li­tät, die man man­chen Män­nern die­ses Be­ru­fes nach­sa­gen zu kön­nen glaubt.

      Er war ein großer, stäm­mi­ger Bur­sche, mit ei­nem lan­gen, fet­ten Ge­sicht, fast to­ten, star­ren­den Au­gen und rot­blon­dem Haar, an dem er je­den Mor­gen min­des­tens eine Vier­tel­stun­de her­um kämm­te und bürs­te­te, zum leb­haf­ten, aber aus wei­ser Vor­sicht stumm er­tra­ge­nen Är­ger von uns an­de­ren, de­nen er da­bei in der en­gen Zel­le ewig im Wege stand.

      Herbs­tens Bart aber, ehe er am Sonn­abend un­ter dem »Clip­per« fiel, ei­ner Ra­sier­ma­schi­ne, die statt der ver­bo­te­nen Klin­gen ein­ge­führt war, war bren­nend rot. Das gab An­lass zu man­cher nie­der­träch­ti­gen An­mer­kung über den Cha­rak­ter un­se­res Es­sen­kal­fak­tors, An­mer­kun­gen, die lei­der nur zu viel Be­rech­ti­gung hat­ten.

      Mit ei­ner scham­lo­sen Un­be­denk­lich­keit ließ sich Herbst von al­len Sei­ten Ta­bak und Le­bens­mit­tel zu­ste­cken, Sei­fe, Obst – ohne je an eine Ge­gen­leis­tung zu den­ken. Dem, der ihm am Tage vor­her eine gan­ze Hand­voll Ta­bak ge­schenkt hat­te, ver­wei­ger­te er grob am nächs­ten Tag ein paar Krü­mel, auf de­nen der Rauch­hung­ri­ge ein biss­chen kau­en woll­te.

      Sei­ne Stel­lung als Kal­fak­tor gab ihm die­ses Über­ge­wicht. Ich lern­te bald, mit schar­fen Au­gen zu be­ob­ach­ten, bei wem der Kal­fak­tor die Es­sens­kel­le stär­ker füll­te. In ei­nem Haus, in dem der Hun­ger ein un­barm­her­zi­ges Re­gi­ment führt, hat der Es­sen­ver­tei­ler leicht re­gie­ren. An sich war es na­tür­lich ver­bo­ten, dass der Kal­fak­tor selbst das Es­sen aus­gab, das ge­hör­te zu den Pf­lich­ten der Be­am­ten. Aber die Be­am­ten hat­ten oft zu viel Ren­ne­rei, oder sie wa­ren auch gleich­gül­tig. In die­sem Hau­se hät­te ein En­gel vom Him­mel her­ab­stei­gen und das Es­sen aus­tei­len kön­nen, es wäre doch ge­murrt wor­den. So ging al­les sei­nen al­ten Lauf, und der Kal­fak­tor Herbst wur­de stets fet­ter da­bei.

      Die bes­ten Ge­schäf­te mach­te er aber beim Brot­schnei­den und -schmie­ren. Ich habe es schon ge­sagt, auch da­bei soll­te ein Be­am­ter an­we­send sein, aber Herbst nutz­te jede kur­ze