möchte.«
»Wer?« fragte Roberta wenig interessiert und gähnte ungeniert.
»Er sagt, er sei mit Ihnen verabredet.«
»Mhmm?« Roberta warf einen Blick auf den Timer, konnte aber keine Eintragung entdecken. »Also gut, ich komme«, gab sie trotzdem nach. »Er soll warten.«
Müde stemmte sie sich aus dem Stuhl, trank ihren Kaffee aus und drückte Herrmann die leere Tasse in die Hand.
»Trinken Sie auch einen«, riet sie ihm freundlich. »Das verkürzt zwar nicht die Zeit bis zu Ihrer Rente, aber Kaffee weckt die Lebensgeister.«
Damit schob sie den Vorhang beiseite und trat in die Hektik des Messelebens hinaus. Im nächsten Moment hätte sie beinahe auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre wieder in den Aufenthaltsraum geflüchtet. Der Besucher, der angeblich mit ihr verabredet war, stand zwar mit dem Rücken zu ihr, aber sie erkannte ihn trotzdem sofort.
Er schien ihre Anwesenheit zu spüren, denn er drehte sich um, bevor Roberta wieder verschwinden konnte.
»Robbi!« Mit ausgestreckten Armen kam Stephan Hollrieder auf sie zu. »Roberta Simonas. Meine Güte, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, dich wiederzusehen!«
Roberta schluckte trocken. Ih-
re Zunge fühlte sich wie ein rie-
siger vollkommen ausgelaugter Schwamm an.
»Was – was tust du hier?« brachte sie schließlich mühsam heraus.
Stephan nahm sie, ohne auf den Tumult um sich herum zu achten, einfach in die Arme.
»Ich habe dich überall gesucht«, gestand er ihr mit glücklicher Stimme. »Es tut mir so leid, was damals geschehen ist. Aber es hat mir auch die Augen geöffnet. Jetzt weiß ich, daß ich mich in Melinda getäuscht habe. Ich liebe dich, glaube mir. Ich liebe dich wirklich.«
Seine Worte machten Roberta unglaublich froh, aber die Stimme des Zweifels wollte trotzdem nicht verstummen.
»Und das soll ich dir glauben?« fragte sie zurückhaltend, während sie sich aus seiner Umarmung löste. »Damals warst du überzeugt, daß Melinda keiner Menschenseele etwas zuleide tun kann. Du konntest dich nicht entscheiden…«
»Doch!« widersprach Stephan leidenschaftlich. »Ich habe mich schon in der Nacht, du erinnerst dich, als wir zusammen am Strand waren, von ihr getrennt. Das war auch der Grund, weshalb sie das Kaninchen umgebracht hat. Sie ist einfach grenzenlos rachsüchtig.«
»Und jetzt soll ich einfach ›vergessen-vergeben‹ sagen und dich in meine Arme schließen?« Roberta wich noch einen Schritt von ihm zurück. »Nein, Stephan, so einfach ist das nicht. Beweise mir erst einmal, daß du es wirklich ernst meinst.«
»Ich soll…?« Stephan ließ die Hände sinken. »Oh, Roberta, was verlangst du, das ich tue?«
Roberta schluckte. Im Hintergrund machte ihr Herrmann Schüller heftige Zeichen. Sie mußte sich für die Lesung und anschließende Autogrammstunde vorbereiten.
»Willy und Julchen leiden immer noch unter dem Verlust ihres Kaninchens«, erklärte Roberta rasch. »Entschuldige dich bei ihnen, mach irgend etwas, damit sie wieder glücklich sind. Dann überlege ich mir die Sache vielleicht.«
»Aber Roberta!« wollte Stephan protestieren. Er hatte noch so vieles, das er Roberta erklären wollte, Dinge, die ihm auf dem Herzen brannten, aber sie gab ihm keine Gelegenheit dazu.
»Die beiden wohnen übrigens an der großen Bockenheimer Nummer einhundertelf«, rief Roberta ihm noch, über die Schulter gewandt, zu, dann war sie wieder hinter dem Vorhang verschwunden.
Stephan starrte ihr vollkommen irritiert hinterher. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Nein, so einfach ließ er sich nicht abspeisen. Roberta mußte ihm die Chance geben, die Sachlage zu erklären.
Er machte einen Schritt vorwärts und stoppte. Ein baumlanger, in schwarzer Uniform gehüllter Bodyguard, versperrte ihm den Weg hinter den Stand.
»Jetzt nicht«, murrte der Mann mit dunkler Stimme. »Hier wird gleich gedreht.«
Es dauerte einen Moment, ehe Stephan begriff, was mit »gedreht« gemeint war. Dann sah er das Fernsehteam, das seine Kameras und Scheinwerfer aufbaute. Keine Chance, jetzt noch mit Roberta zu sprechen.
»In Ordnung«, murmelte er und machte kehrt. Mühsam zwängte er sich durch die Menschenmenge zum Ausgang. Er hatte aufgegeben, aber nicht für immer.
Stephan war wild entschlossen, sein Glück zu erobern.
*
Der Wecker klingelte Punkt sieben Uhr. Roberta glaubte im ersten Moment zu träumen, als das Biest anfing zu lärmen. Sie hatte eine unruhige, von verrückten Träumen durchzogene Nacht hinter sich, in der der Schlaf keine Erholung gebracht hatte.
Sie schlief überhaupt schlecht seit dem Wiedersehen mit Stephan. Obwohl ihr Verstand immer wieder sagte, daß sie richtig gehandelt hatte, als sie ihn fortschickte, moserte ihr Herz ständig, weil es sich nach Stephan sehnte.
Das Schlimmste war, daß sie jetzt überhaupt nicht wußte, woran sie mit ihm war. Er hatte sich tatsächlich bei Willy und Julchen gemeldet und ihnen versprochen, ein neues Kaninchen zu besorgen. Die beiden waren im übrigen ganz begeistert von ihm.
»Wenn die doofe Bornierte nich’ dabei ist, isser ganz doll nett«, hatte Willy erst vor ein paar Tagen gesagt. Was wohl bedeutete, daß Stephan die Kinder häufiger sah.
Aber Cynthia und Richard lie-ßen sich nicht näher über die Besuche aus und Stephan selbst – dieser Mistkerl! – hatte sich seit der Buchmesse überhaupt nicht mehr bei ihr, Roberta, gemeldet! Dafür hätte sie ihn in der Luft zerreißen mögen.
Inzwischen war der Oktober beinahe vorbei. Die ersten Nachtfröste kündigten den nahen Winter an, der bereits auf den Gipfeln des Taunus und Odenwalds lauerte.
Mühsam schälte sich Roberta aus dem Bett und stieg unter die Dusche. Das eiskalte Wasser vertrieb die Müdigkeit und die Bilder der vergangenen Nacht. Allmählich gewannen die Gedanken an die Aufgaben des Tages überhand.
Zuerst mußte sie einmal in die Stadt, Einkäufe erledigen. Durch die Buchmesse, die Gott sei Dank hinter ihr lag, war einiges an Arbeit liegengeblieben. Außerdem hätte sie ihren Kühlschrank beruhigt abschalten können. Außer einem Ei und ein paar eingelegter Gurken befand sich nichts darin, wofür sich das Kühlen lohnte.
Und ein paar neue Schuhe brauchte sie auch. Roberta haßte es, Schuhe zu kaufen, deshalb befanden sich in ihrem Schrank auch nur wenige, universal einsetzbare Paare, aber jetzt, wo die kalte Jahreszeit begann, brauchte sie dringend ein paar robuste Übergangsschuhe, die sie auf ihren Spaziergängen mit Anni anziehen konnte.
Lustlos leinte Roberta die Hündin an und machte sich auf den Weg.
Samstagmorgen um neun war die Zeil noch nicht so überlaufen. Allerdings hatten dann auch noch nicht alle Geschäfte geöffnet. Aber die Gemüsehändler auf dem Markt boten schon ihre vielfältigen Waren preis, und der Metzger, bei dem Roberta einzukaufen pflegte, hatte gerade frische Fleischwürste auf die Haken gehängt.
Mit ihrem vollbepackten Korb am Arm wanderte Roberta an-schließend die Prachtmeile der Stadt entlang, auf der Suche nach einem Schuhgeschäft, das erstens schöne und zweitens bezahlbare Modelle anbot.
Obwohl Robbi gut verdiente, haßte sie es, für ihre Kleidung viel Geld ausgeben zu müssen. Schließlich hatte sie den passenden Laden gefunden.
»Komm, Anni«, forderte sie die Schäferhündin auf, die gerade interessiert an einem Fahrradständer schnüffelte. »Hier werden wir bestimmt etwas für Frauchen fin-den.«
»Roberta!« Der Zuruf ließ Robbi mitten in der Bewegung stocken. Verwundert drehte sie sich um und sah die Fußgängerzone entlang, die sich inzwischen mit Leben gefüllt hatte.
Fliegende Händler boten ihre selbstgefertigten Gürtel, Taschen und Schmuckstücke