Lisa Simon

Mami Staffel 7 – Familienroman


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Blicke unter den gesenkten Lidern wanderten in den Nachbarsgarten hinüber. Und tatsächlich, da stand Melinda Bornemann, in einem schicken Hosenanzug, der eher in ein Büro als in diese herbfriesische Gegend paßte.

      Das Gesicht wie immer perfekt geschminkt, ein spöttisch-zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht, so als habe sie gerade einen lukrativen Abschluß getätigt.

      Roberta hob den Kopf, um Melinda geradewegs in die Augen zu sehen. Die Nachbarin hielt diesem Blick stand. Ja, sie erwiderte ihn sogar, und das mit einer Feindseligkeit, die Roberta erschreckte.

      Hastig wandte sie den Kopf und sah zu Willy hinüber, der indessen seine Rede beendet hatte. Roberta nahm die Zwillinge an der Hand und brachte sie ins Haus, um ihnen erst einmal einen Kakao zu kochen, doch ihre Gedanken weilten bei Melinda, die noch immer auf der Terrasse stand und zu ihnen her-überstarrte.

      Der Verdacht, der in Roberta schwelte, wurde allmählich zur Gewißheit, je länger sie sich die Haltung der Frau vor Augen hielt.

      Melinda hatte keinerlei Mitleid oder wenigstens interessierte Anteilnahme gezeigt. Ganz im Gegenteil, sie hatte merkwürdig zufrieden gewirkt. Und dann dieses geradezu hämische Lächeln, als die Kinder ihre Blumensträußchen niederlegten. Der Hohn in Melindas Blicken, mit denen sie die traurige Zeremonie beobachtete, ihre geradezu schamlose Art, ihren Triumph zur Schau zu stellen. All das deutete auf sie als Täterin hin.

      Aber wie war sie an das Gift gekommen? Was für ein Gift war es gewesen?

      Zweifelnd betrachtete Roberta die Möhren, die noch auf der Terrassenbrüstung standen. Sie ro-chen schwach nach – ja, wonach? Sollte sie das Zeug analysieren lassen?

      Wieder wanderten ihre Blicke zum Nachbarhaus hinüber. Melinda war verschwunden. Die verschlossenen Fenster wirkten abweisend, ja, feindselig.

      Nein, sie würde keine langwierigen Untersuchungen anstellen! Entschlossen packte Roberta das Schüsselchen und trug es in den Garten. Dort vergrub sie die Möhrenreste tief genug, damit die Tiere, die hier nachts herumstrichen, sie nicht wieder ausgraben konnten. Anschließend wusch sie das Schüsselchen im Badezimmer sorgfältig aus und kehrte zu den Kindern zurück, die in der Küche vor ihren Tassen saßen.

      Anni, die treue Schäferhündin, saß neben dem Tisch und ließ die beiden nicht aus den Augen, so als ahne sie, daß den Zwillingen Gefahr drohte.

      Beim Anblick des Hundes festigte sich der Entschluß, den Roberta soeben gefaßt hatte. Sie hing an dem Tier, das ihr seit fünf Jahren ein treuer Begleiter gewesen war. Anni war gutmütig bis zur Trotteligkeit und, wie fast alle Hunde, äußerst verfressen. Für jemanden, der etwas Böses im Schilde führte, also kein Problem, sie mit einem vergifteten Leckerli aus dem Wege zu räumen.

      Und wenn dieser Jemand leicht psychopathische Züge besaß, würde er sich nicht damit zufriedengeben, einen Hasen und eine treudoofe Schäferhündin zu vergiften. So ein Jemand würde auch vor den Kindern nicht haltmachen!

      Hatte Melindas Auftritt gestern am Strand nicht gezeigt, welche Aggressionen in ihr schlummerten?

      »Mir gefällt es hier jetzt überhaupt nicht mehr.« Willys verzag-

      te Stimme schreckte Roberta

      aus ihren Gedanken. Sie gab

      sich einen Ruck und trat an den Tisch.

      »Mir auch nicht«, erwiderte sie freundlich. »Wißt ihr, ich habe mir überlegt, ob wir nicht den Rest der Ferien irgendwo anders verbringen wollen. Vielleicht in Greetsiel oder in Norddeich oder wo es sonst schön ist. Na, was haltet ihr davon?«

      »In Norddeich!« Julchen klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Dann können wir jeden Tag zu den Robben gehen.«

      »In Ordnung.« Roberta begann, die Tassen einzusammeln. »Dann schlage ich vor, daß wir jetzt aufräumen und packen. Wenn wir uns beeilen, können wir mit der Fünfzehn-Uhr-dreißig-Fähre übersetzen. In Norddeich finden wir bestimmt eine Wohnung oder ein Haus, wo wir für den Rest der Ferien wohnen können.«

      »Aber den Bollerwagen nehmen wir mit?« fragte Willy noch, um dann, als Roberta nickte, mit seiner Schwester aus der Küche zu stürmen. Gleich darauf hörte Ro-

      berta die beiden die Treppe hin-

      aufpoltern. Anni folgte ihnen, ganz der wachsame, besorgte Schäferhund.

      *

      Na also! Melinda wandte sich vom Fenster ab und ließ sich mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Sofa nieder. Ihr Plan hatte funktioniert. Die verhaßten Nachbarn zogen aus.

      Von nun an würde hier Ruhe herrschen. Kein Kindergebrüll mehr, kein Hundebellen, keine rasanten Flirts zwischen ihrem Verlobten und dieser langweiligen Hausmutti!

      Das wäre ja wohl lachhaft gewesen, daß ausgerechnet so eine ihr den Mann ausspannte! Nein, das kam nicht in Frage.

      Nicht, daß Melinda Stephan liebte. Sie war seiner längst überdrüssig und dachte gar nicht daran, ihn zu heiraten. Sie dachte eigentlich überhaupt nicht daran, in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Jedenfalls vorläufig nicht.

      Vielleicht später, wenn sie älter war und sie alles erreicht hatte, was sie sich vorgenommen hatte. Momentan machte ihr das Leben, so wie es war, viel Spaß. Sie brauchte die tägliche Hektik, die Hetze nach dem großen Geld, den tollen Abschlüssen und den Kampf um jede Sprosse der Karriereleiter.

      Aber für eine zweifache Mutter und Hausfrau würde sie das Feld nicht räumen. Niemand, außer ihr, sollte bei Stephan die erste Geige spielen. Und wenn sie ihm den Laufpaß gab, dann sollte er hübsch allein sein und nicht gleich eine andere haben, die ihn über die Trennung hinwegtröstete!

      Es klingelte. Der melodische Dreiklang ließ Melinda wie ertappt auffahren. Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Diele hinaus, wo Stephan gerade die Tür öffnete.

      Bei Robertas Anblick erschien ein erfreutes Lächeln auf seinem Gesicht.

      »Hallo, Robbi.« Seine Blicke umfaßten liebevoll Robertas Gestalt. »Du siehst toll aus…« Er wollte noch etwas hinzufügen, aber da fiel sein Blick auf den fix und fertig gepackten Wagen, der vor dem Gartentor parkte.

      Die Zwillinge saßen in ihren Kindersitzen auf der Rückbank, in der Mitte Anni, deren rote Zunge wie ein Fähnchen leuchtete.

      »Ihr reist ab?« Stephan war verwirrt.

      »Ja, wir reisen ab.« Robertas Hand schoß vor. Das Schälchen schlug schmerzhaft gegen sein Brustbein. Automatisch hob Ste-phan die Hände und hielt das Schälchen fest.

      »Das gehört euch«, erklärte Ro-berta, wobei sie sich keine Mühe gab, ihren Zorn zu verbergen. »Melinda hat es im Hasenpferch vergessen. Ich habe es gründlich ausgespült, nicht, damit du dich versehentlich auch noch vergiftest.«

      Stephans Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Wovon sprichst du eigentlich?«

      »Davon, daß deine Verlobte den Hasen der Kinder vergiftet hat!« schrie ihn Roberta an. »Wahrscheinlich hat er laut gepfiffen oder sonst irgendwie Unruhe verbreitet. Und Melinda ist ja so abgeschlafft. So gestreßt, da braucht sie ganz einfach Ruhe und Erholung, nicht wahr? Nun, ich habe jedenfalls beschlossen, abzureisen, ehe sie uns alle ausgerottet hat.«

      »Spinnst du?« Stephan stellte das Schälchen achtlos auf das Garderobenschränkchen. »Melinda ist zwar ein bißchen impulsiv, aber sie vergiftet doch keine Tiere. Der Hase ist bestimmt an einer ganz natürlichen Sache gestorben.«

      Roberta kniff die Augen zusammen.

      »Es war nicht natürlich, glaube mir!« fauchte sie erbost. Die Tatsache, daß Stephan seine Verlobte immer noch verteidigte, ärgerte sie maßlos. »Ich habe in der Gerichtsmedizin genügend Leichen gesehen, um zu wissen, wann jemand eines natürlichen oder eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Falls du es vergessen hast: Ich schreibe Krimis. Und ich pflege gründlich zu recherchieren.«

      »Aber welchen Grund sollte Melinda haben, einen kleinen Hasen zu vergiften?«

      »Was weiß ich.«