es noch unbehaglicher. Der »Zuger« war ein verdammt gefährlicher Jaß. Wenn man Pech hatte, konnte man ohne viel Mühe fünfzehn Franken verlieren… Und fünfzehn Franken waren eine Summe!… Es ging nicht gut an, Spielverluste auf die Spesenrechnung zu setzen. Aber dann interessierte ihn wieder das Verhalten seiner beiden Partner beim Spiel so stark, daß er schließlich nickte.
Aeschbacher zog die Tafel zu sich heran, zeichnete mit der Kreide auf den oberen Holzrand drei Buchstaben: S.E.A. Dann begann er die Karten zu mischen und auszuteilen. Der alte Ellenberger hatte eine Stahlbrille aus der Rocktasche gezogen und sie auf seine Nase gesetzt…
Beim ersten Spiel konnte Studer hundertfünfzig weisen. Er atmete auf.
»Wachtmeister« sagte der Gemeindepräsident und kratzte mit dem Fingernagel in seinem Katerschnurrbart, »Ihr geht, hab' ich gehört, bald in Pension?…«
Studer sagte: »Ja.«
»So«, mit einem einzigen Griff breitete Aeschbacher die Karten fächerförmig aus, hielt sie vor die Nase und:
»Ich hätte für Sie… Ich hätte für Sie eine interessante Beschäftigung. Ein Freund von mir«, fuhr er vertraulich fort, »hat ein Auskunftsbureau aufgetan und sucht einen tüchtigen Mann, der Sprachen beherrscht, der etwas Verstand im Kopf hat, der Untersuchungen selbständig führen könnte. Eintritt so bald wie möglich. Daß man Sie von der Polizeidirektion ohne weiteres gehen läßt, dafür will ich schon sorgen. Ich habe meine Beziehungen. Einverstanden? Ich telephoniere dann morgen…«
– Studer solle sich von dem Schlangenfanger nicht einlieren lassen, meinte der alte Ellenberger. Der Schlangenfanger verspreche immer den Mond, aber wenn man näher hinsehe, sei es nicht einmal ein Weggli.
Aeschbacher blickte böse auf.
– Ellenberger solle so gut sein und die Klappe halten, es gebe sonst Durchzug, meinte er gehässig. – Dann solle der Herr Gemeindepräsident seine Vorschläge machen, wenn er mit dem Studer unter vier Augen sei. Wenn er sie so öffentlich mache, so sei es nur recht und billig, wenn auch er seine Meinung sage.
Studer mischte die Karten.
Am Tisch nebenan war Armin Witschi aufgestanden, hatte die Kellnerin um die Taille gefaßt und zog die sich Sträubende zum Tanzboden. Auch der Coiffeurgehilfe mit den roten Lippen war aufgestanden, hatte Sonjas Arm genommen. Sonja schien nicht gern mitzugehen…
Studer starrte auf die beiden Paare, wie sie auf dem erhöhten Podium enganeinandergeschmiegt tanzten. Sonja hatte ihre Hand gegen die Schulter des Coiffeurgehilfen gestemmt, um ein wenig Abstand zu halten. Die Musik spielte und Schreier sang den Refrain mit:
»Grüezi, Grüezi, so sagt man in der Schweiz.
»Allez! allez!« sagte Aeschbacher ungeduldig, »Spiel geben!« Aber auch er drehte sich um und beobachtete die Tanzenden.
»Ja, ja, die Sonja«, er nickte. »Ein gutes Meitschi!«
– Der Aeschbacher müsse das ja besser wissen als andere, meinte Ellenberger leise, dann ließ er wieder ein dröhnendes Lachen hören, das so gar nicht zu seinem mageren Körper paßte…
In der Tür, die vom Haus in den Garten führte, erschien die Wirtin, sah sich suchend um, entdeckte den Tisch der drei und kam auf ihn zu.
»Herr Gemeindepräsident«, sagte sie mit der Stimme des jodelnden Gritli Wenger, »Ihr werdet am Telephon verlangt.
So, sagte Aeschbacher. Vielleicht erhalte er Nachricht von seinem verschwundenen Auto.
Studer wurde aufmerksam.
– Wann denn das Auto fortgekommen sei? erkundigte er sich. – Gestern abend, war die Antwort. Er habe es hier vor dem ›Bären‹ stehen lassen, aber wie er dann um Mitternacht habe heimwollen, sei es fortgewesen. Er habe vergessen, es abzuschließen.
Studer fluchte innerlich. Nicht einmal auf den Murmann war Verlaß. Warum hatte der Landjäger ihm das nicht erzählt?
– Er komme gleich wieder zurück, sagte Aeschbacher und ging mit der Wirtin. Seinen dicken Bauch trug er vor sich her wie ein Hausierer das Brett, auf dem er seine Waren ausgelegt hat.
Der alte Ellenberger war plötzlich wieder der sehr vornehme Freund des Residenten, er redete sein gepflegtes Französisch und gab Studer zu verstehen, er müsse sich vor dem Gemeindepräsidenten in acht nehmen.
Studer erwiderte, er habe gemeint, der Aeschbacher sei dümmer als ein zweitägiges Kalb?
Das sei nur eine Redensart gewesen, meinte Ellenberger und ließ die Karten in einer Kaskade auf den Tisch sprühen. Er sei nicht dumm, der Aeschbacher, oh nein… Es würde ihn, Ellenberger, gar nicht wundern, wenn auch der Diebstahl des Autos nichts weiter sei als ein Trick. Da kam aber der Gemeindepräsident schon zurück. Ein unangenehm höhnisches Lächeln zog seinen Katerschnurrbart schief.
»In Thun haben sie den Mann erwischt«, sagte er. »Ich muß es holen gehen. Aber Ihr sollt ans Telephon kommen, Wachtmeister, der Untersuchungsrichter will mit Euch reden…«
»Heut? Am Sonntag?«
»Ja… Dann könnt Ihr heut abend nach Bern zurückfahren. Der Fall ist erledigt…«
»Hä?« sagte der alte Ellenberger.
Aber Aeschbacher drückte seinen breitrandigen Filzhut auf den Kopf, grüßte: »Lebet wohl!« und verließ den Garten.
Der Untersuchungsrichter war wirklich am Telephon.
Seine ersten Worte waren:
»Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister…«
»Gestanden?« brüllte Studer ins Telephon. Er begann richtig wild zu werden. Es kam auch wirklich zu viel zusammen: Der Traum der vorigen Nacht, der Revolver, die leeren Hülsen in der Vase auf dem Klavier, das Angebot des Gemeindepräsidenten, die Spannung zwischen Ellenberger und Aeschbacher, Sonja Witschi, besonders die Sonja, die mit dem Coiffeurlehrling tanzte – und dann, vor allem, die Antwort des Landjägers Murmann auf die Frage, ob er den Schlumpf für schuldig halte: ›Chabis‹, hatte der Murmann gesagt… und nun flötete der Untersuchungsrichter ins Telephon:
»Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister…«
»Wann?« fragte Studer böse zurück.
»Heute nach dem Mittagessen, um halb eins, wenn Sie die genaue Zeit interessiert…« Auch noch Ironie! Das war zuviel für den Wachtmeister Studer!
»Gut«, er sprach ganz leise. Ich werde morgen früh nach Thun kommen, Herr Untersuchungsrichter.«
»Halten Sie das für opportun?« fragte die Stimme.
Das Wort ›opportun‹ schlug dem Faß den Boden aus. Konnte der Mann nicht deutsch sprechen? Konnte er nicht sagen, wenigstens, ob man es für ›gegeben erachte‹? Nein, ausgerechnet ›opportun‹!
»Ja«, krächzte Studer, »sogar für notwendig!«
Räuspern am andern Ende des Drahtes.
»Ich meinte nur«, sagte der Untersuchungsrichter versöhnlich. »Nämlich, ich habe auch mit dem Herrn Staatsanwalt gesprochen und der meinte auch, eine weitere Untersuchung des Falles erübrige sich. Wir wollten Ihre Abberufung veranlassen…«
Weiter kam der Untersuchungsrichter nicht.
»Bitte«, Studer sprach sein schönstes Hochdeutsch. »Das können Sie ruhig tun. Ich würde Ihnen aber dennoch raten, sich in der Fachliteratur über Geständnisse zu orientieren. Es gibt nämlich diverse Geständnisse… Übrigens können Sie mich abberufen lassen, wenn es Ihnen Freude macht. Ich habe nämlich daran gedacht, Ferien zu nehmen. Und Gerzenstein gefällt mir ausnehmend. Die Luft ist so gesund… Vielleicht laß ich meine Frau nachkommen. Wann haben Sie den Autodieb erwischt?«
»Hämhäm«, sagte der Untersuchungsrichter. »Den Autodieb? Heut morgen hat ihn ein Polizist angehalten. Ein Vorbestrafter…«
»Hat er mit Schlumpf gesprochen?«